Pflegefachpersonen sind knapp, zudem kehren immer mehr ihrem Job den Rücken. Im Rahmen der über 5 Wochen angelegten Kampagne "Klartext" will das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) mit Videos, Posts und Live-Talks in den sozialen Medien zeigen, warum ein Job in der Pflege am DHZB lohnt. Über die Besonderheiten der Aktion sprachen wir mit Pflegedirektor Sebastian Dienst.
Herr Dienst, Mitte März haben Sie die Pflegekampagne "Klartext" gestartet. Was wollen Sie damit bezwecken?
Im Prinzip geht es um zwei Ziele. Das eine ist naheliegend: Wir wollen uns präsentieren und Pflegende auf uns aufmerksam machen, um sie für uns zu gewinnen. Das zweite Ziel ist, in einer doch überwiegend negativen Berichterstattung über Pflege mit Tatsachen unseren Beruf betreffend zu überzeugen. Es gibt viele gute Gründe, sich für einen Job in der Pflege zu entscheiden und darüber wollen wir so konkret und transparent wie möglich sprechen. Letztlich wollen wir damit auch eine gesellschaftliche Diskussion um Pflege anstoßen beziehungsweise unseren Beitrag dazu leisten.
Die Kampagne läuft fünf Wochen. Jede Woche hat einen anderen Themenschwerpunkt. Für welche Themen haben Sie sich entschieden?
Angefangen haben wir mit unserem Pflegeschlüssel. Denn dieser ist deutlich strenger als die gesetzlichen Vorgaben. Wir erläutern, wie wir unsere eigenen Vorgaben überwachen und einhalten. Weitere Themen sind zum Beispiel unsere Ausfallkonzepte und Verdienstmöglichkeiten.
Wie greifen Sie die einzelnen Themen konkret auf?
Vor allem mit Fakten. Wie genau sind die Besetzungen auf den einzelnen Stationen? Wie verläuft wirklich die Ausbildung, wie die Einarbeitung? Die Videos sind keine reinen Werbefilme, sondern wir lassen die Mitarbeitenden frei sprechen – auch in Direkteinspielungen.
Wen wollen Sie mit der Pflegekampagne erreichen?
Zunächst einmal wollen wir die Pflegenden bei uns am DHZB ansprechen und ihnen verdeutlichen, was sie jeden Tag leisten. Das macht man sich selbst viel zu selten bewusst. Aber natürlich wollen wir auch Pflegende außerhalb unseres Hauses erreichen und ihnen zeigen, was es bedeutet, bei uns in der Pflege zu arbeiten. Sicherlich steht die Profession Pflege derzeit vor vielen Herausforderungen. Dennoch ist Pflege in manchen Häusern besser organisiert ist als in anderen. Bevor Pflegende frustriert ihren Job aufgeben, weil sie denken, Pflege sei überall gleich, sollen sie lieber zu uns kommen. Ein Erlebnis, das mich zum Beispiel sehr berührt hat, verdeutlicht, was ich meine: Eine ehemalige Hospitantin war als ausgebildete Gesundheits- und Kinderkrankenschwester sehr frustriert und wollte eigentlich ihren Job wechseln. Sie erzählte mir später einmal, dass sie zu Hause geweint hatte, weil sie nicht gedacht hätte, dass die pflegerische Arbeit sie noch einmal so erfüllen könnte.
Die 5 Themenwochen am DHZB
Woche 1: Pflegeschlüssel-Vorgaben
Das DHZB hat sich eigene Pflegeschlüssel zum Ziel gesetzt, die über die Pflegepersonal-Untergrenzen-Verordnung hinausgehen. Im Rahmen der Kampagne macht die Einrichtung ihre Vorgaben öffentlich und zeigt auch, wie gut sie diese einhalten kann.
Woche 2: Ausbildung
Garantien für gute Ausbildungsbedingungen, die Rolle von Praxisanleitungen und spezielle Angebot für alle, die sich für Kinderherzmedizin interessieren, stehen im Fokus.
Woche 3: Einarbeitung
Wer am DHZB startet, wird – je nach Station und Vorkenntnissen – 3-7 Wochen eingearbeitet. Die „Neuen“ stehen zusätzlich auf dem Dienstplan, gemeinsam mit einer von 3 zuvor festgelegten erfahrenen Pflegefachpersonen.
Woche 4: Der Pflegepool
Im Pflegepool arbeiten 28 erfahrene Pflegefachpersonen, die – koordiniert von einer Ausfallmanagerin – auf allen chirurgischen sowie kardiologischen Intensiv- und Normalstationen eingesetzt werden können. So kann bei personellen Engpässen für fachlich gleichwertig qualifizierten Ersatz gesorgt werden, bei Bedarf auch kurzfristig.
Woche 5: Gehalt und Benefits
Die Tarifgehälter am DHZB sind von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig. Das Haus klärt auf, was Pflegeauszubildende oder Stationsleitungen verdienen, und zeigt, was das DHZB als Arbeitgeber noch bietet.
Ist es in einer Stadt wie Berlin besonders leicht und fast schon eine Art Selbstläufer, Pflegende anzuwerben, oder ist in der Hauptstadt der Konkurrenzdruck besonders groß?
Ja, die Konkurrenz ist groß und Mitarbeitende können sich aufgrund der Dichte der Häuser auch schneller zwischen den Einrichtungen entscheiden. Eine Einrichtung muss also spitze sein, um überhaupt punkten zu können.
Wir sind stolze Pflegende am DHZB – nicht weil wir systemrelevant sind, sondern aus Überzeugung.
Was soll aus Ihrer fünfwöchigen Pflegekampagne resultieren?
Wir wollen einen Beitrag zur sachlichen und transparenten Darstellung der Arbeitsbedingungen in der Pflege leisten. Denn insbesondere seit Beginn der COVID-19-Pandemie wird Pflege einerseits glorifiziert, andererseits als unzumutbar dargestellt. Das ärgert mich. Denn beides ist falsch. Die Kampagne wird uns intern aber sicherlich auch Einiges über uns und unsere Mitarbeitenden lernen lassen und neue Anknüpfungspunkte für Verbesserungen offenbaren.
Warum machen Sie die Kampagne ausgerechnet jetzt? Immer mehr Pflegende sind frustriert über ihren Job und denken darüber nach, ihrem Beruf den Rücken zu kehren. Corona hat diese "Berufsflucht" noch erheblich verstärkt.
Deshalb musste die Kampagne genau jetzt an den Start. Sie ist vielleicht nicht bis ins Detail perfekt. Aber wir wollen ein Signal setzen: In der Pflege ist nicht alles schlecht. Mich macht die Vielzahl an Berichten betroffen, die über enttäuschte Pflegende berichten, die ihren Job aufgeben wollen. Wir müssen in den Häusern beginnen, die Menschen im Beruf zu halten. Insbesondere die Pflegedirektionen stehen in der Pflicht und sind dafür verantwortlich. Wir am DHZB leben eine positive, motivierte und stärkende Außendarstellung unseres Berufsbilds. Unser Job macht Spaß. Bei uns stimmen die Rahmenbedingungen. Wir sind stolze Pflegende am DHZB – nicht weil wir systemrelevant sind, sondern aus Überzeugung. Wir können Menschen begeistern für einen Job in der Pflege.
Besteht nicht die "Gefahr", dass die Kampagne "verpufft"? In Corona-Zeiten haben insbesondere Pflegende vermutlich gerade ganz andere Sorgen als sich nach einem neuen Arbeitgeber umzusehen…
Nein, ich glaube, gerade jetzt ist die Kampagne wichtig. Und wie gesagt, es ist nicht eine reine Recruiting-Aktion. Es soll ein Statement sein. Wir haben noch einiges in der Pflege zu tun. Auch ich bin absolut nicht zufrieden mit der derzeitigen Situation in der Pflege. Aber es gibt gute Voraussetzungen und sehr gute Visionen und Entwicklungen. Es lohnt, sich zu beteiligen und die Profession Pflege weiterzuentwickeln.
Es lohnt, die Profession Pflege weiterzuentwickeln.
Ist die hohe Zufriedenheit der Pflegenden eine gute Marketingstrategie oder gibt es auch harte Fakten, die diese Zufriedenheit belegen?
Die Zufriedenheit hat sich verbessert, schenkt man den Einträgen auf Bewertungsportalen wie Kununu Glauben. Wir selbst messen die Zufriedenheit anhand von Krankenständen, Fluktuationsraten und der Zahl neuer Mitarbeitender, die über bestehende Mitarbeitende geworben wurden. Des Weiteren haben wir aktuell die erste von vier Mitarbeiterbefragungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden uns weitere Ansatzpunkte liefern.
Warum sind die Pflegenden am DHBZ zufriedener als in anderen Kliniken? Was machen Sie besser, Ihrer Meinung nach?
Das müssen sie die Pflegenden selbst fragen. Aber ich kann für mich antworten, dass ich zufriedener bin, weil ich weiß, dass wir gute Personalbesetzungen haben. Das macht mich ruhiger. Ich bin stolz auf die Fachlichkeit hier im DHZB. Die muss ich noch mehr formalisieren und institutionalisieren. Das ist meine Verpflichtung. Dass mich dabei meine ärztlichen Kolleginnen und Kollegen sowie die Verwaltung unterstützen, finde ich toll. Das ist ein Gefühl, das bewegt. Gemeinsam haben wir uns vorgenommen, ein Magnetkrankenhaus zu werden – Ansätze sind bereits vorhanden. Wir stehen hinter diesem Konzept der Qualitätsentwicklung und Patientenorientierung in der Pflege. Eigentlich ist es simpel: Wenn Du dich als Chef verpflichtet fühlst, für deine Mitarbeitenden sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen, und sie auch schaffst und dann deine Pflegenden immer weiterentwickeln möchtest, sie einbindest und beteiligst, dann ist eigentlich auch klar, dass die meisten sehr zufrieden sind.