Die generalistische Pflegeausbildung sorgt auch vier Jahre nach Einführung immer noch für heftige Diskussionen. Aktuell führen Statistiken und Hochrechnungen in Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie Bayern zu Debatten in der Branche.
Generalistik im Visier
So hat der nordrheinwestfälische Landesvorsitzende des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernhard Rappenhöner, eine Vereinfachung der Pflegeausbildung gefordert. Denn die Abbrecherzahlen während der Ausbildung seien "alarmierend", äußerte er Kritik am Donnerstag.
"Die dramatische Abbrecherquote von 46 Prozent ist ein Ergebnis der generalistischen Pflegeausbildung."
Mit seiner Aussage bezieht sich Rappenhöner bpa-Angaben zufolge auf eine Sonderauswertung zur NRW-Landesberichterstattung Gesundheitsberufe. Zum Gesamtbericht hatte der zuständige Minister Karl-Josef Laumann (CDU) Anfang Dezember mitgeteilt, dass bisher keine vermehrten Ausbildungsabbrüche in der generalistischen Pflegeausbildung feststellbar sind.
Rückgang der Ausbildungszahlen
In der Sonderauswertung heißt es dazu:
"Abbruchquoten in der Pflegeausbildung sind nicht monokausal auf die Umstellung der Pflegeausbildung auf eine Generalistik zurückzuführen, sondern haben ihre Ursachen in anderen Einflussbereichen."
Der bpa hingegen argumentiert jetzt durchaus mit einem Zusammenhang zwischen generalistischer Pflegeausbildung und Abbrecherzahlen. Laumann habe sich für die Zusammenlegung der drei Ausbildungsberufe Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege eingesetzt. Nachdem die Azubizahlen im Land zuvor jahrelang deutlich gestiegen seien, führe dies nun zu einem generellen Rückgang der Ausbildungszahlen und einer deutlich höheren Abbrecherquote. Zeitgleich steige der Bedarf an Pflegekräften massiv.
Vorbereitung auf die Arbeit in der Altenpflege gefordert
Die Ausbildung sei für die Einrichtungen erheblich komplizierter geworden. Viele Praxiseinsätze in Kliniken und in der Kinderpflege machten es gerade für kleine Pflegedienste oder Einrichtungen in ländlichen Gebieten schwer, diese Praxisstellen zu finden und die Ausbildung zu organisieren, analysierte Rappenhöner. Dazu komme eine Reduzierung der Anwesenheiten des Azubis beim ausbildenden Betrieb.
"Viele junge Menschen, die früher bewusst in die Altenpflege gegangen sind, werden von den zusätzlichen medizinischen Inhalten aus dem Krankenhausbereich abgeschreckt."
Der bpa-Landesvorsitzende forderte Laumann auf, "den Schaden der damaligen Fehlentscheidung zu begrenzen" und sich auf Bundesebene für Vereinfachungen der Ausbildungsabläufe einzusetzen.
"Die gezielte Vorbereitung auf die Arbeit in der Altenpflege muss wieder im Mittelpunkt stehen. Praxiseinsätze, bei denen die Azubis wochenlang kilometerweit ins nächste Krankenhaus pendeln müssen, sind nicht praxistauglich. Das gesamte Pflegeberufegesetz muss auf den Prüfstand, weil es erkennbar nicht zur Absicherung und Weiterentwicklung der Ausbildung in der Pflege beigetragen hat."
Mehr Bewerbungen aus dem Ausland
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest teilte indes mit, dass die Generalistik angenommen wird. Die Lage sei zwar komplex, zeige aber auch deutliche Trends. DBfK-Nordwest-Vorsitzender Martin Dichter sagte:
"Was wir beispielsweise sehen: Die generalistische Pflegeausbildung führt nicht zu vermehrten Abbrüchen."
Außerdem ziehe sie offenbar Auszubildende aus anderen Ländern an, da es sich nun um eine international anerkannte Pflegeberufsausbildung handele. Fast alle der befragten Schulleitungen hätten angegeben, dass die Bewerbungen aus dem Ausland stark zugenommen haben.
"Wir sind also mit der Generalisierung absolut wettbewerbsfähig.“
Jedoch weise der Landesbericht auch auf Problemlagen hin. Einige davon hätten die Pflegeschulen mit viel Aufwand gemeistert. Dazu gehörten zum Beispiel die Umstellung auf die generalistische Ausbildung inmitten der Pandemie mit Einschränkungen in Schulen sowie Praxisbetrieben und infektionsbedingten Ausfallzeiten bei allen Beteiligten.
Einflüsse der Pisa-Studie auf die Pflegeausbildung
Einige neue Herausforderungen ergäben sich durch die auch in den jüngsten Pisa-Ergebnissen deutlich gewordenen Defizite der Bewerbenden. Viele Schulen hätten angegeben, Ausbildungsverträge mit Personen abgeschlossen zu haben, die sie in früheren Jahren nicht genommen hätten.
Dichter sieht darin eine Schattenseite der Internationalisierung, weil auch Auszubildende mit Visa aus Drittstaaten trotz ihrer formalen Qualifikation nicht immer geeignet seien. Hinzu komme die auch in anderen Branchen zu beobachtende Einstellung der sogenannten "Generation Z", die sich oft kurzfristig für eine Ausbildung entscheide, sie aber auch schnell wieder abbreche, sofern die persönlichen Vorstellungen nicht mit der Ausbildungs- und Arbeitsrealität übereinstimmten.
Mangel an Lehrpersonal
Kritisch sei, dass fast 27 Prozent der hauptberuflichen Lehrpersonen in Pflegeberufen 56 Jahre oder älter seien. Zwar gebe es positive Entwicklungen, da die Zahl von Absolventinnen und Absolventen aus pädagogisch orientierten Bachelor- und Masterstudiengängen zwischen 2018 und 2021 kontinuierlich gestiegen sei. Damit allein ließen sich die bevorstehenden Renteneintritte aber nicht kompensieren.
Politisch Verantwortlichen müssten für verstärkte Maßnahmen zur Bewilligung und Finanzierung zusätzlicher Studienplätze an den Hochschulen sorgen, forderte Dichter. Die vielbeschworene Attraktivitätssteigerung der Pflegeausbildung hänge schließlich entscheidend von ausreichend qualifizierten Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen ab. Wenn es genug von ihnen gebe und sie die Pflegeazubis gut begleiteten, seien Ausbildungsabbrüche "wirkungsvoll" zu verhindern.
Bayern: Positive Bilanz zur Generalistik
Im Freistaat Bayern haben nach vorläufigen Daten in diesem Jahr wieder mehr junge Menschen einen Ausbildungsvertrag für einen Pflegeberuf unterschrieben. Die zuständige Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) findet die Zahlen ermutigend. Sie zeigten, "dass die generalistische Pflegeausbildung ihre Früchte trägt".