Seit Ende Mai ist Katrin Staffler die neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Im Interview mit BibliomedPflege erklärt sie, warum sie diese Aufgabe mit voller Überzeugung angenommen hat, welche politischen Erfahrungen sie einbringt – und wie sie die Interessen von Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegefachpersonen gleichermaßen vertreten will. Ihr Ziel: weniger Bürokratie, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Handlungsspielraum für Pflegende.
Frau Staffler, Sie sind seit Ende Mai offiziell Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Was hat Sie persönlich an dieser Aufgabe gereizt?
Wenn eine solch verantwortungsvolle und gesellschaftlich wichtige Aufgabe an mich herangetragen wird, nehme ich diese auch an. So bin ich sozialisiert und so verstehe ich gelebte Verantwortung. Gerade verlässliche Pflege ist der soziale Kitt, der uns alle angeht. Das motiviert mich umso mehr. In der Pflege stehen wir vor einigen großen Herausforderungen. Ich denke dabei insbesondere an die Bevölkerungsentwicklung und den Fachkräftemangel. Mein Hauptziel ist deshalb, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Wir müssen die Versorgung pragmatischer sichern und sie von unnötiger Bürokratie und zu kleinteiligen Regelungen befreien. Hier die nötigen Weichen zu stellen, sehe ich als eine meiner Hauptaufgaben. Das geht nur gemeinsam mit allen Beteiligten: mit den Menschen mit Pflegebedarf und ihren Angehörigen, mit den Pflegekräften sowie den Diensten und Einrichtungen. Und genau dafür ist die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden das richtige Instrument. Ich freue mich sehr auf meine neue Aufgabe und werde meine ganze Kraft dafür einsetzen.
Welche Erfahrungen aus Ihrer bisherigen politischen Arbeit bringen Sie in diese neue Rolle mit?
Wie so viele Menschen in Deutschland habe auch ich Erfahrungen als pflegende Angehörige in meiner Familie gesammelt und kenne den Pflegealltag zu Hause sehr gut. Während meiner Tätigkeit am Klinikum rechts der Isar hatte ich natürlich auch beruflich mit professioneller Pflege zu tun und habe diese sehr zu schätzen gelernt. Es ist aber kein Geheimnis, dass ich nicht aus einem pflegerischen Beruf komme. Als Naturwissenschaftlerin sehe ich meine Stärke in der Analyse von Problemen. Mein unvoreingenommener Blick, mein politisches Netzwerk und meine Erfahrung werden hoffentlich dazu beitragen, gute Lösungsansätze zu finden und diese als durchsetzungsfähige Politikerin auch umzusetzen. Denn wenn wir sicherstellen wollen, dass die pflegerische Versorgung auch in Zukunft gut und bezahlbar ist, brauchen wir einen grundlegenden Wandel.
Sie vertreten drei sehr unterschiedliche Gruppen: Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und professionelle Pflegefachpersonen. Wie wollen Sie diesen Spagat – zumal ohne Erfahrung aus der Pflegebranche – meistern?
Ich werde mich mit all meiner Kraft für pflegebedürftige Menschen und ihre pflegenden Angehörigen einsetzen. Um sie geht es bei all unseren Bemühungen letztendlich. Damit Menschen mit Pflegebedarf eine qualitativ hochwertige Versorgung erhalten, braucht es unbedingt ausreichend professionelle Pflegefachpersonen. Die Gewinnung neuer Fachkräfte und die Bindung der Pflegenden an den Beruf sind die großen Aufgaben. Es geht jetzt darum, die Pflege in all ihren Facetten und insbesondere natürlich die Pflegeversicherung wieder auf eine solide Basis zu stellen. Das mache ich nicht aus dem Elfenbeinturm heraus, sondern im Dialog mit allen Beteiligten. Natürlich werde ich dabei auch von einem interprofessionellen Team unterstützt. Es wird allerdings nicht gelingen, es jeder oder jedem recht zu machen. Gerade dann ist mir eine Kommunikation auf Augenhöhe ein Herzensanliegen.
Das Amt der Bevollmächtigten der Bundesregierung für Pflege
Das Amt der Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung ist mit Kabinettbeschluss vom 8. Januar 2014 geschaffen worden. Die Pflegebevollmächtigte tritt für die Interessen der Pflegebedürftigen im politischen Raum ein und setzt sich dafür ein, dass ihre Belange im Mittelpunkt des Pflege- und Gesundheitssystems stehen. Sie ist Ansprechpartnerin für alle in der Pflege Beteiligten. Die Bundesministerien und -behörden beteiligen die Pflegebevollmächtigte bei allen Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen wichtigen Vorhaben mit Pflegebezug.
Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Herausforderungen für die professionelle Pflege in Deutschland – und wo wollen Sie konkret ansetzen?
Zu den größten Herausforderungen zählen die Arbeitsbedingungen mit hohen Arbeitsbelastungen, der Fachkräftemangel sowie die mangelnde beziehungsweise nicht immer gut umgesetzte Digitalisierung. Viele Pflegekräfte verlassen den Beruf vorzeitig oder arbeiten nur Teilzeit, da die Arbeitsbedingungen nicht optimal sind. Die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern – mit guten Personalkonzepten sowie mehr Gesundheitsschutz und Prävention –, ist eines meiner Ziele. Es ist wichtig, bereits in der Ausbildung anzusetzen, um sicherzustellen, dass Auszubildende und Berufsanfänger gesund und gut angeleitet in den Beruf starten. Ebenso müssen wir die Digitalisierung in der Pflege vorantreiben, denn digitale Technologien könnten Pflegepersonal erheblich entlasten. Dafür braucht es Know-how und eine gute Infrastruktur. Wir werden jetzt schnell das Pflegekompetenzgesetz in das Parlament bringen. Es wird zusammen mit den anderen Berufsgesetzen für einen Attraktivitätsschub sorgen und hoffentlich viele Menschen neu für die Pflege begeistern.
Pflegefachpersonen fordern seit Jahren bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und mehr Autonomie. Wie wollen Sie diese Anliegen in der Bundesregierung vertreten?
Für alle, die in der Pflege arbeiten – gerade auch für Fachpersonal –, ist bereits viel passiert. In der Pflege wird gut verdient. Auch die Vergütung der Auszubildenden liegt im absoluten Spitzenbereich. Ein gutes Gehalt ist aber nur ein Teil guter Arbeitsbedingungen. Eine bessere Personalausstattung, weniger Arbeitsdruck und mehr Zeit für die zu pflegenden Menschen gehören ebenso dazu. Hier sehe ich noch großen Nachholbedarf. Ich nehme die Forderungen der Pflegefachpersonen nach mehr Autonomie sehr ernst und werde mich dafür einsetzen, dass Pflegekräfte mehr Kompetenzen und bessere Arbeitsbedingungen erhalten. Ein Beispiel ist unser Projekt "Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege", das Langzeitpflegeeinrichtungen dabei unterstützt, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden zu verbessern. Zusammen mit der zeitnahen Einbringung des Pflegekompetenzgesetzes, das die Handlungsausweitung der Pflegekräfte zum Ziel hat, werden wir einen großen Schritt weiterkommen. Mir geht es hierbei nicht nur um die Attraktivität des Berufsfeldes, sondern auch um die Qualität der Versorgung. Ein weiteres wichtiges Thema sind verbindliche Personalvorgaben, um die Personalsituation und die Versorgung zu verbessern. Das macht den Pflegeberuf auch attraktiv und sichert die Versorgung der Menschen.

Welche Rolle spielt die Akademisierung der Pflege in Ihrer Agenda – und wie stehen Sie zur Einführung neuer Rollen wie Community Health Nurses oder Advanced Practice Nurses?
Die Akademisierung der Pflege ist für mich ein wichtiger Schritt, um die Qualität der Pflege weiter zu verbessern und Pflegefachpersonen mehr berufliche Perspektiven zu bieten. Ich komme selbst aus einem wissenschaftlichen Bereich und weiß, wie wichtig es ist, stets neue und evidenzbasierte Erkenntnisse zu gewinnen. Diese müssen dann natürlich auch in der Versorgung ankommen. Neue Rollen wie die der Community Health Nurses oder der Advanced Practice Nurses werden dazu beitragen, Versorgungslücken zu schließen und die Pflege noch stärker am Bedarf der Menschen auszurichten. Ich unterstütze daher die Förderung dieser Qualifikationen und die Integration solcher Rollen in unser Gesundheitssystem. Ich wünsche mir an dieser Stelle eine klare Stärkung der Pflegewissenschaften in Deutschland. Am Rande will ich noch anmerken, dass bei allen wohlklingenden englischsprachigen Begriffen darauf zu achten ist, den Mehrwert neuer oder anderer Rollen auch verständlich zu vermitteln. Hier sehe ich mich auch als Mittlerin.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass Pflegefachpersonen aus der Praxis in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden?
Mir ist es wichtig, dass die Stimmen der Pflegefachpersonen in die Politik einfließen. Dazu werde ich den Dialog mit Berufsverbänden, Praxisvertretungen und Einrichtungsbetreibern suchen und intensivieren. Ideal wäre es, wenn sich aus der Profession heraus eine Struktur entwickeln würde, die auf Landes- und Bundesebene als Ansprechpartner und Sprachrohr für die Politik zur Verfügung stünde.
Was möchten Sie am Ende Ihrer Amtszeit erreicht haben – woran sollen Pflegefachpersonen Ihre Arbeit messen können?
Idealerweise sind wir auf einem guten Weg: Pflegefachpersonen können eigenverantwortlicher arbeiten und die Digitalisierung spielt in der Pflege eine viel größere Rolle. Damit sollten für alle spürbare Arbeitserleichterungen einhergehen und die Versorgung sollte gesichert sein. Mir ist auch wichtig, dass die gesellschaftliche Anerkennung für den Beruf gestiegen ist und Pflegefachpersonen sehen, dass ihre Anliegen gehört und ernst genommen werden. Für mich bleibt der wichtigste Punkt aber, dass pflegebedürftige Menschen selbstbestimmt entscheiden können, wo und wie sie versorgt werden. Dafür brauchen wir die richtigen Strukturen.
Wenn Sie den Pflegeberuf in einem Satz beschreiben müssten, was würden Sie sagen? Was macht ihn für Sie heute besonders? Was muss sich ändern, damit er morgen noch attraktiver ist?
Eine Frage mit drei Sätzen und der Bitte um einen Antwortsatz. Ich versuche es aber mal: Die Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen ist unglaublich abwechslungsreich und verantwortungsvoll. Je nach Neigung oder Lebensphase kann ich entscheiden, ob ich zum Beispiel auf der Intensivstation oder in der Langzeitpflege arbeiten möchte. Der Pflegeberuf wird in der Öffentlichkeit immer stärker wahrgenommen und wertgeschätzt. Pflegende setzen sich für ihren Beruf und ihre Anliegen ein, was ich richtig finde. Aktuell sorgen wir für mehr Kompetenzen, interessante und moderne, sehr durchlässige Ausbildungs- und Karrierewege sowie noch bessere Arbeitsbedingungen, um den Beruf noch attraktiver zu machen. Das ist zwar jetzt mehr als ein Satz, aber ein Versuch, dem tollen Berufsfeld Pflege gerecht zu werden.