• 01.07.2016
  • Praxis
Cochrane Reviews

Kann man ein Delir im Krankenhaus verhindern?

Das Delirrisiko lässt sich verringern

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 7/2016

Dieser Review untersucht, ob Interventionen einem Delir im Krankenhaus vorbeugen können. Intensivpatienten waren nicht einbezogen. Das Fazit: Durch Multikomponenten-Interventionen lässt sich die Häufigkeit eines Delirs senken.

Ein Delir ist eine häufige und schwerwiegende Erkrankung bei Patienten im Krankenhaus. Es kann für Patienten und ihre Angehörigen sehr belastend sein. Es erhöht auch die Wahrscheinlichkeit für weitere Komplikationen, die Aufnahme in ein Pflegeheim oder das Versterben im Krankenhaus. Ein Delir ist für das Gesundheitswesen ein sehr teurer Gesundheitszustand. Die Vorbeugung eines Delirs ist daher für die Patienten, ihre Familien und das Gesundheitswesen erstrebenswert. Es gibt viele Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs, zum Beispiel Infektionen, Dehydration, bestimmte Medikamente. Daher adressiert ein Ansatz zur Prävention eines Delirs, sogenannte Multikomponenten-Interventionen, diese unterschiedlichen Risikofaktoren. Einige Medikamente haben einen Einfluss auf chemische Prozesse im Gehirn, die mit der Entwicklung eines Delirs in Zusammenhang stehen, und spielen daher eine Rolle bei der Prävention. Es gibt noch eine Reihe anderer Interventionen, die auf Risikofaktoren eines Delirs im Zusammenhang mit der Narkose und medizinischen Behandlung im Rahmen chirurgischer Eingriffe abzielen.

Studienmerkmale: Diese Evidenz ist auf dem Stand vom 4. Dezember 2015. Wir fanden 39 Studien, die 16.082 Teilnehmer einschlossen und 22 unterschiedliche Multikomponenten-Interventionen, medikamentöse oder narkosebezogene Interventionen im Vergleich zur Standardversorgung, Placebo oder andere Interventionen untersuchten.

Hauptergebnisse: Wir fanden starke Evidenz dafür, dass Multikomponenten-Interventionen ein Delir sowohl in konservativen als auch in chirurgischen Abteilungen verhindern können und weniger robuste Evidenz, dass sie die Schwere eines Delirs reduzieren. Bezüglich ihrer Wirkung auf die Dauer eines Delirs ist die Evidenz nicht eindeutig. Es gibt Evidenz, dass ein Monitoring der Narkosetiefe das Auftreten eines Delirs nach einer Vollnarkose reduzieren kann. Wir fanden keine klare Evidenz dafür, dass eine Reihe von Medikamenten oder anderen Narkosetechniken oder -verfahren wirksam zur Vorbeugung eines Delirs sind.

Qualität der Evidenz: Es besteht Evidenz mit moderater Qualität, dass Multikomponenten-Interventionen die Häufigkeit eines Delirs reduzieren. Die Evidenz stützt die Implementierung von Multikomponenten-Interventionen zur Prävention eines Delirs in der Routineversorgung von Patienten im Krankenhaus. Es besteht Evidenz moderater Qualität, dass ein Monitoring der Narkosetiefe dazu genutzt werden kann, einem Delir nach der Operation vorzubeugen. Die Qualität der Evidenz für eine Reihe von Medikamenten oder anderen Narkosetechniken oder -verfahren zur Prävention eines Delirs ist schlecht – aufgrund der geringen Studienanzahl und der unterschiedlichen Qualität der Studienmethoden. Sie kann nicht dazu verwendet werden, um Änderungen in der Versorgungspraxis zu begründen.

Quelle: Siddiqi N, Harrison JK, Clegg A, Teale EA, Young J, Taylor J, Simpkins SA. Interventions for preventing delirium in hospitalised non-ICU patients. Cochrane Database Syst Rev 2016; 3:CD005563


Übersetzung: Dr. Matthias Meinck, Dr. Ralph Möhler
 




Kommentar: Das Delirrisiko lässt sich verringern

Siddiqi und Kollegen überprüften in ihrer systematischen Übersichtsarbeit die Wirksamkeit von Einzel- und Multikomponenten-Interventionen zur Delirprävention im Krankenhaus. Multikomponenten-Interventionen beinhalten verschiedene nicht-medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen, die auf unterschiedliche Risikofaktoren eines Delirs abzielen. Studien aus dem intensiv-medizinischen Bereich wurden nicht einbezogen.

Es wurden 39 Studien mit insgesamt 16.082 Teilnehmern eingeschlossen. Von diesen 39 Studien wurden 33 nach der ersten Fassung des Reviews im Jahre 2007 publiziert. Diese große Anzahl an neueren Studien spiegelt die hohe Bedeutung des Themas Delirprävention im Krankenhaus wider. In der Mehrzahl der Studien (32 der 39) wurden chirurgische Patienten, überwiegend aus dem Bereich der Orthopädie, eingeschlossen, in sieben Studien Patienten aus allgemeinmedizinischen oder geriatrischen Abteilungen. Patienten mit Demenz wurden in elf Studien ausgeschlossen, in den anderen 28 Studien variierte ihr Anteil. In keiner Studie wurden ausschließlich Patienten mit einer Demenz untersucht. In 14 Studien erhielt die Vergleichsgruppe ein Placebo, in 15 Studien die Standardversorgung und in zehn Studien wurden zwei unterschiedliche Interventionen verglichen.

Insgesamt liegen deutliche Belege dazu vor, dass sich durch Multikomponenten-Interventionen die Häufigkeit eines Delirs im Krankenhaus senken lässt, und zwar auf medizinischen und chirurgischen Abteilungen. Dabei erscheinen die folgenden Maßnahmen als Teil von Multikomponenten-Interventionen besonders sinnvoll: Mitarbeiterschulung, individuelle Betreuung (im Sinne eines Personen-zentrierten Ansatzes), Maßnahmen zur Orientierung in regelmäßigen Intervallen und frühe Mobilisation.

Aufgrund der guten Evidenzlage erscheint der routinemäßige Einsatz von Multikomponenten-Interventionen zur Vorbeugung eines Delirs bei Patienten im Krankenhaus sinnvoll. Keine klaren Aussagen lassen sich zur Wirksamkeit solcher Programme bei Menschen mit Demenz machen, da für diese Gruppe zu wenige Daten vorliegen. Die vorliegende Evidenz zu den Multikomponenten-Interventionen erscheint so überzeugend, dass weitere Studien zur Wirksamkeit unnötig erscheinen. Zukünftige Studien sollten sich auf die Implementierung der Interventionen und auf die Optimierung ihrer Komponenten beziehen. Zum Nutzen von bestimmten Medikamenten zur Vorbeugung eines Delirs, zum Beispiel Antipsychotika, liegen keine ausreichenden Erkenntnisse vor.

Die Ergebnisse dieses Reviews sind für Pflegende von hoher Relevanz. Viele der empfohlenen Maßnahmen der Multikomponenten-Interventionen fallen nämlich in ihr Tätigkeitsfeld. Natürlich ist eine Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus bei der Prävention eines Delirs unerlässlich. Allerdings sind es gerade die Pflegenden, die durch ihren engen Kontakt Risikopatienten frühzeitig identifizieren und damit präventiv tätig werden können. Außerdem sind die Pflegenden im Krankenhaus oft die ersten Ansprechpartner für Angehörige, wenn diese ein verändertes Verhalten der Patienten wahrnehmen.

Die Vermeidung eines Delirs kann die Patienten vor erheblichen negativen Folgen bewahren. Auch für das Krankenhaus ist eine Delirprävention wichtig, denn damit können längere Aufenthalte und höhere Kosten vermieden werden. Darüber hinaus haben die Ergebnisse des Reviews Bedeutung für weitere pflegerelevante Themen: So werden bei Patienten mit einem Delir immer wieder psychotrope Medikamente oder freiheitseinschränkende Maßnahmen wie Bettgitter oder Fixiergurte eingesetzt. Wenn ein Delir bei diesen Patienten vermieden werden kann, ist der Einsatz dieser Maßnahmen oft unnötig.


Sie finden diesen Review auch online unter http://onlinelibrary.wiley.com. Geben Sie unter Suche einfach die DOI ein: 10.1002/14651858.CD005563.pub3

Dr. PH Matthias Meinck ist stellvertretender Leiter des Kompetenz-Centrums Geriatrie in Trägerschaft des GKV-Spitzenverbandes und der MDK-Gemeinschaft. Mail: matthias.meinck@kcgeriatrie.de


Dr. rer. medic. Ralph Möhler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Cochrane Deutschland, Universitätsklinikum Freiburg, an der Universität Witten/Herdecke sowie an der Martin-Luther Universität in Halle-Wittenberg.
Mail: moehler@cochrane.de

*

Autor

Weitere Artikel dieser Ausgabe

WEITERE FACHARTIKEL AUS DEN KATEGORIEN