• 11.06.2025
  • PflegenIntensiv
Arbeitsstress in der Anästhesiepflege

Herausforderung für die Patientensicherheit

PflegenIntensiv

Ausgabe 2/2025

Seite 68

Anästhesiepflegepersonal in Deutschland arbeitet häufig unter stressigen Bedingungen und hoher Arbeitsbelastung. Gerade im OP-Bereich kann dies Folgen für die sehr vulnerablen Patienten haben. Ergebnisse eines Forschungsprojekts.

Arbeitsstress im Gesundheitswesen stellt ein zunehmendes Problem dar, insbesondere in der Anästhesiepflege. Die COVID-19-Pandemie hat die hohe Arbeitsbelastung infolge des demografischen Wandels und medizinischen Fortschritts weiter verstärkt. Zwar hat sich die Forschung in den vergangenen Jahren besonders mit den physischen, psychischen und ökonomischen Auswirkungen sowie mit der Prävention und Bewältigung von Stress in der Pflege beschäftigt, doch die Auswirkungen von Stress auf die Patientensicherheit im OP-Bereich sind bislang nur unzureichend untersucht. Studien in diesem Arbeitsfeld haben sich bislang vorrangig mit dem Stress von Chirurgen und Anästhesisten [1] und kaum mit dessen Einfluss auf das Anästhesiepflegepersonal beschäftigt.

Belastungsfaktoren in der Anästhesiepflege

Die Anästhesiepflege ist ein hochsensibler Bereich, in dem narkotisierte Patientinnen und Patienten den Behandelnden gewissermaßen ausgeliefert sind. Trotz verbesserter Sicherheitsstandards bleiben Risiken bestehen [2, 3]. Negative Arbeitsbedingungen beeinflussen nicht nur das Wohlbefinden des Pflegefachpersonals, sondern auch dessen Leistungsfähigkeit [4].

Anästhesiepflegende sind für die Vor- und Nachbereitung des Anästhesiearbeitsplatzes, die Assistenz bei der Nar­kose und die postoperative Überwachung verantwortlich [5]. Lange Arbeitszeiten, Schichtdienste und Zeitdruck führen in diesem Berufsfeld oft zu einer erheblichen Belastung [1, 6].

Arbeitsbedingte Ermüdung und chronischer Stress können zu Fehlern führen [3, 7, 8] und gelten zudem als Risikofaktoren für psychische Erkrankungen [8, 9]. Eine unzureichende Regeneration nach stressreichen und belastenden Diensten kann das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen und damit die Patientensicherheit gefährden [4, 8].

Studie zu Arbeitsstress in der Anästhesiepflege

Forschungsfragen. Die Autorinnen und der Autor sind in einer Untersuchung den folgenden Fragestellungen nachgegangen:

  • „In welchem Ausmaß und inwiefern erleben Anästhesiepflegekräfte Arbeitsstress?“
  • „Wie wirkt sich der Arbeitsstress von Anästhesiepflegekräften auf die Einhaltung von Sicherheitsprotokollen im OP-Bereich und auf die Fehlerquote bei der Ausübung ihrer Arbeit aus?“

Die quantitative, querschnittliche Feldstudie war Teil eines Forschungsprojekts an der International Uni­versity of Applied Sciences. Die Stichprobe umfasste 77 Anästhesiepflegende mit einer Altersspanne von 20 bis über 50 Jahren. Die Berufserfahrung war breit gestreut und umfasste Gruppen mit ein bis fünf, fünf bis zehn, zehn bis 20 sowie mehr als 20 Jahren Erfahrung. Die Datenerhebung erfolgte mittels einer vollstandardisierten Online-Umfrage im berufsspezifischen Netzwerk der Autoren und war für jede in der Anästhesie tätige Pflegefachperson offen.

Ergebnisse. 58 % der Befragten empfanden häufig bis immer beruflichen Stress (Abb. 1), und 48 % schätzten ihre Arbeitsbelastung als überdurchschnittlich hoch ein (Abb. 2). Als Hauptstressoren [10] nannten sie lange Dienstzeiten (66 %), hohes Arbeitspensum (64 %), Zeitdruck (62 %), Übermüdung (61 %), mangelnde Informationsweitergabe (49 %), hohe Verantwortung (42 %) sowie Konfliktsituationen mit Kolleginnen und Kollegen (42 %). Als weniger stressig beschrieben die Befragten hingegen plötzlich auftretende Notfall­situationen (30 %) und niedrige Entscheidungsfreiheit (13 %).

Regelmäßige Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden am Tag (34 % der Probanden) sowie fünf bis sechs 24-Stunden-Dienste pro Monat (51 % der Probanden) trugen ebenfalls zu dem Empfinden von gelegentlicher (44 % „manchmal“) bis häufiger (35 %) Erschöpfung nach der Arbeit bei (Abb.).

Trotz hoher Stressbelastung gaben 83 % der Teilnehmenden an, Sicherheitschecklisten wie die Checkliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) überwiegend (48 % immer, 35 % häufig, 13 % selten, 4 % nie) einzuhalten. Eigene Fehler bemerkten die Anästhesiepflegenden nach eigener Einschätzung selten (56 %) bis manchmal (38 %) – nur 5 % häufig und 1 % immer. Dabei nutzten insgesamt über 79 % der Befragten nie (48 %) oder selten (31 %) Fehlermeldesysteme wie das Critical Incident Reporting System (CIRS) [3], um bemerkte Fehler zu melden. Nur 17 % gaben an, solche Systeme manchmal zu nutzen, 1 % gab häufig an, 3 % gaben immer an.

Erhöhte Stresslevel beeinflussten die Fehlerquote nicht direkt, führten jedoch dazu, dass standardisierte Übergaben seltener erfolgten. Rund 43 % der Befragten erklärten, dies nur manchmal zu tun, 30 % selten und 8 % nie. Zudem berichteten 49 % über eine verminderte Aufmerksamkeit bei hohem Stresslevel.

Schlussfolgerungen. Die Ergebnisse unterstreichen die hohe Arbeitsbelastung in der Anästhesiepflege. Längere und ungeregelte Arbeitszeiten stehen in Zusammenhang mit einem erhöhten Stresslevel, was das Risiko für physische und psychische Erschöpfung erhöht [7, 10]. Fehlermeldesysteme werden selten genutzt. Dies weist auf nicht ausreichend etablierte Sicherheitskulturen hin. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass sowohl Berufserfahrung als auch individu­elle Bewältigungsstrategien eine Rolle im Umgang mit Arbeitsstress spielen.

Limitationen. Da es sich um eine querschnittliche Untersuchung handelt, lassen sich keine eindeutigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ableiten. Zudem könnte das Thema „Stress“ zu einer Verzerrung der Selbsteinschätzungen geführt haben. Dennoch liefert diese Studie wertvolle Erkenntnisse und bildet eine Grundlage für weiterführende Untersuchungen zur Stressbewältigung und Patientensicherheit in der Anästhesiepflege.

Handlungsbedarf und Empfehlungen

Strukturelle Anpassungen sind erforderlich, um die Patientensicherheit nachhaltig zu verbessern, zum Beispiel eine Optimierung der Arbeitsbedingungen durch die Reduktion von Zeitdruck und langen Arbeitszeiten. Ergänzend sollten Programme zur Stressbewältigung implementiert werden, die unter anderem Schulungen zur Resilienz und Kommunikation beinhalten.

Zudem wäre eine Stärkung der Sicherheitskultur notwendig, um die Nutzung von Fehlermeldesystemen zu fördern. Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit im OP-Team, wie gezieltes Teambuilding und Sensibilisierung, können ebenfalls zu einer positiven Entwicklung beitragen.

Weniger belastende Arbeitsbedingungen steigern das Wohlbefinden der Anästhesiepflegenden und ermöglichen somit eine bessere Pflege der vulnerablen Patienten im OP-Bereich.

Gesetzliche Maßnahmen wie die Pflegestärkungsgesetze [11] stellen bereits wichtige Schritte in die richtige Richtung dar. Allerdings bedarf es Zeit, bis diese Regelungen spürbare Verbesserungen bewirken.

 

[1] Thielmann B, Meyer F, Böckelmann I. Wider psychische Belastungen – resilientes Arbeiten in der Chirurgie. Die Chirurgie 2024; 95 (2): 135–147. doi.org/10.1007/s00104-023-01977-9

[2] Rosenthal C, Balzer F, Boemke W, Spies C. Patientensicherheit in der Anästhesie und Intensivmedizin. Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin 2013; 108 (8): 657–665. doi.org/10.1007/s00063-012-0182-2

[3] Eisold C, Heller AR. Risikomanagement in Anästhesie und Intensivmedizin. Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin 2017; 112 (2): 163–176. doi.org/10.1007/s00063-017-0264-2

[4] Camenisch DA, Schäfer O, Minder IA, Cattapan K. Der Einfluss der Arbeit auf das Wohlbefinden unter Berücksichtigung verschiedener Berufsprofile. Prävention und Gesundheitsförderung 2022; 17 (3): 336–342. doi.org/10.1007/s11553-021-00875-4

[5] Larsen R, Fink T, Müller-Wolff T. Larsens Anästhesie und Intensiv­medizin für die Fachpflege. 10. Aufl. Berlin/Heidelberg: Springer; 2021. Im Internet ebookcentral.proquest.com/lib/badhonnef/detail.action

[6] Abramovich I, Trinks A. Arbeitsbedingte Fatigue in der Anästhesio­logie in Deutschland – Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden und die Patientensicherheit. Anaesthesiologie & Intensivmedizin 2024; 65: 289–299. doi.org/10.19224/ai2024.289

[7] Schäfer SK, Lass-Hennemann J, Groesdonk H et al. Mental Health in Anesthesiology and ICU Staff: Sense of Coherence Matters. Frontiers in Psychiatry 2018; 9: 440. doi.org/10.3389/fpsyt.2018.00440

[8] Reif J, Spieß E, Stadler P. Effektiver Umgang mit Stress. 1. Aufl. Berlin/Heidelberg: Springer; 2018. doi.org/10.1007/978-3-662-55681-8

[9] Koch S, Lehr D, Hillert A. Chronischer beruflicher Stress: Behandlungsansätze mit Psychotherapie. PPmP – Psychotherapie, Psycho­somatik, Medizinische Psychologie 2022; 72: 497–512. doi.org/10.1055/a-1841-3145

[10] Klingenberg I. Stressbewältigung durch Pflegekräfte. 1. Aufl. Wiesbaden: Springer; 2022. doi.org/10.1007/978-3-658-37438-9

[11] Rohwer E, Mojtahedzadeh N, Harth V, Mache S. Stressoren, Stress­erleben und Stressfolgen von Pflegekräften im ambulanten und stationären Setting in Deutschland. Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 2021; 71 (1): 38–43. doi.org/10.1007/s40664-020-00404-8

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