• 14.02.2023
  • PflegenIntensiv
Berufsbild Atmungstherapeut

Spezialist im multiprofessionellen Intensivpflegeteam

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2023

Seite 40

Für eine umfassende Versorgung pneumologischer Patienten integriert die Medizinische Hochschule Hannover speziell weitergebildete Atmungstherapeuten auf den Intensivstationen. Einblicke in den Stationsalltag.

Die intensivmedizinischen Versorgungsbereiche der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) stellen Hochrisikobereiche der Patientenversorgung dar, die durch hochkomplexe sowie zeitkritische Prozesse und eine große Zahl von Schnittstellen gekennzeichnet sind. Die zunehmende Komplexität von Versorgungsprozessen erfordert eine hohe Fachkompetenz und eine weitere Professionalisierung der Gesundheitsfachberufe.

Aufgrund der sich kontinuierlich weiterentwickelnden Hochleistungsmedizin, mit dem Ziel der optimalen Versorgung einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung, steigt auch die Zahl der Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) mit akuten wie auch chronischen Erkrankungen der Atemwege oder der dazugehörigen Organsysteme. Dies führt zu einem wachsenden Bedarf an spezialisierten Fachberufen [1].

Atmungstherapeutinnen und -therapeuten (im Folgenden: Atmungstherapeuten, Therapeuten), international als Respiratory therapist bezeichnet, sind erfahrene Spezialisten in der Betreuung von Patienten mit Erkrankungen, die einen pathologischen Einfluss auf die Atmung haben.

In Deutschland noch ein junges Berufsbild, sind Atmungstherapeuten seit den 1950er-Jahren in den USA sowie in weiteren Ländern – Kanada, Philippinen, Vereinigte Arabische Emirate – etabliert und seitdem ein fester Bestandteil der dortigen Gesundheitssysteme [2].

Atmungstherapeuten arbeiten weitgehend selbstständig unter der Supervision einer Fachärztin bzw. eines Facharztes. Dabei steht die Verantwortung für die Patienteninformation, -beratung und -betreuung insbesondere im Hinblick auf Medikamentenanwendung, Aerosoltherapie, Langzeitsauerstofftherapie, Heimbeatmung sowie für diagnostische und therapeutische Interventionen im Vordergrund.

Eine fortschreitende Professionalisierung von Pflegenden und Therapeuten ist künftig unverzichtbar, um neue Aufgaben zu bewältigen, die evidenz­basiertes und selbstständiges Handeln erfordern. Der Einsatz geschulter Therapeuten soll bisher getrennt voneinander ablaufende Prozesse – Diagnose, Therapie, Pflege – besser verknüpfen [3].

Das übergeordnete Ziel ist, die Qualität der Patientenversorgung zu optimieren und zu verbessern. Dies geschieht unter anderem mittels Weaning im Rahmen unseres Beatmungskonzepts. Komplikationen lassen sich so frühzeitig erkennen sowie vermeiden und Beatmungstage in der Folge reduzieren.

Damit steigt einerseits die Qualität der Versorgung, andererseits sinken die Behandlungskosten und die vorhandenen Ressourcen sind optimal eingesetzt. Die Berücksichtigung von Leitlinien, Standards und evidenzbasiertem Wissen bildet die Grundlage, damit eine gleichbleibend hohe Qualität auf dem Niveau einer Universitätsklinik gewährleistet ist.

Um diese Ziele zu erreichen, soll das Berufsbild der Atmungstherapeuten in den Klinikalltag der MHH integriert und zum festen Bestandteil des therapeutischen Teams werden. In den vergangenen Jahren haben sich einzelne Mitarbeitende der Klinik zu Atmungstherapeuten nach Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) ausbilden lassen.

Bindeglied mit spezieller Expertise

Der Einsatz von Atmungstherapeuten erscheint ge­rade auf Intensivstation in vielerlei Hinsicht sinn­voll. 30 Prozent der Qualitätsindikatoren für die Intensivmedizin weisen einen direkten Bezug zur Atmungs- und Beatmungstherapie auf. Diese sind das Monitoring von Sedierung, Analgesie und Delir, die lungen­protektive Beatmung sowie das Weaning und Maßnahmen zur Vermeidung von ventilatorassoziierten Pneumonien.

Die flächendeckende Umsetzung von Handlungsweisen zur Optimierung dieser Punkte gestaltet sich jedoch im Alltag oft schwierig und erfordert ein ab­gestimmtes System der Implementierung von Konzepten, einer ständigen bettseitigen Überprüfung und der kontinuierlichen Fortbildung der an der Therapie beteiligten Berufsgruppen, u. a. Pflege, Physiotherapie und ärztlicher Dienst. Nur so lässt sich dem Rückfall auf tradierte Verhaltensmuster nach erfolgter Einführung einer Veränderung („regression to baseline“) entgegenwirken. Diese Aufgabe können Atmungstherapeuten dank des Fokus auf die Thematik sowie auch aufgrund des Vorhaltens entsprechender zeitlicher Ressourcen übernehmen [2].

Beim Weaning, insbesondere beim prolongierten Weaning, bekommen atmungs- und physiotherapeutische Interventionen als adjunktive Methoden einen zunehmenden Stellenwert. Das gilt insbesondere für Handlungsweisen wie Frühmobilisierung (auch unter Beatmung), Atemmuskeltraining und Sekretmanagement sowie für die Mitarbeit bei Diagnostik und Therapie von Schluckstörungen. Die aktuelle Leitlinie „Prolongiertes Weaning“ [4] nennt tägliche Physiotherapie und Sekretmanagement als eine von vier Qualitätsindikatoren [2].

Bei Aufnahme oder Überleitung von langzeit­beatmeten Patienten aus bzw. in den außerklinischen Intensivpflegebereich kommt es immer wieder zu Problemen – bedingt vor allem durch Unkenntnis im Umgang mit einweisungspflichtigen Medizinprodukten, z. B. Heimbeatmungsgeräten oder Hustenassistenzsystemen. Hier können Atmungstherapeuten sowohl die betreuenden Pflegefachpersonen als auch die Ärztinnen bzw. Ärzte mit ihrem Wissen über das Ausmaß einer außerklinischen Intensivbeatmung unterstützen.

Die Haupteinsatzorte der Atmungstherapeuten sind Intensiv- und Intermediate-Care-Stationen. Sie können zudem auf diversen Normalstationen wie der Pneumologie und der Thoraxchirurgie, im Schlaf­labor, in Rehabilitationszentren, in Notfallambulanzen, in Schockräumen sowie in Einrichtungen der Altenhilfe oder in der ambulanten häuslichen Versorgung tätig sein [3].

Die Pflegedienstleitung der Intensivstationen der MHH ist von dem Konzept, alles rund um die Atmung in die Hand von versiertem Fachpersonal zu legen, begeistert. Das weitergebildete Fachpersonal kann sich mit ganzer Expertise voll auf die Patienten konzentrieren und so die Versorgungsqualität deutlich erhöhen.

Die stellvertretende Leitung der Interdisziplinären Intensivstation lobt darüber hinaus die vermittelnde Rolle der Atmungstherapeuten im multiprofessionellen Team – als Bindeglied zwischen den einzelnen Berufsgruppen. Die Geschäftsführung Pflege plant, ein Atmungstherapeuten-Team aufzubauen, das die acht Intensivstationen der Erwachsenenpflege in der MHH abdecken kann. Die abgeschlossene Weiterbildung in der Intensiv- und Anästhesiepflege sowie die Bereitschaft, die Fachweiterbildung zum Atemtherapeuten zu absolvieren, sind Voraussetzungen, um die Intensivstationen mit speziellem Know-how zu unterstützen.

 

[1] Pfeiffersche Stiftungen. Berufsbild Atmungstherapeut. Im Internet: www.pfeiffersche-stiftungen.de/berufsbilder/atmungstherapeut.html

[2] Schwabbauer N. Der Atmungstherapeut im Team der Intensivstation. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2014; 109: 191–195

[3] Karg O et al. (2004). Respiratory Therapist – introduction of a new profession. Pneumologie 2004; 58 (12): 854–857. DOI: 10.1055/s-2004–830111

[4] Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. S2k-Leitline Prolongiertes Weaning (29.08.2019). AWMF online: register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-015

"Kompetenzen optimal und zielgerichtet einsetzen"

Ferdinand Alge, 34, Atmungstherapeut DGP und Pflegefachmann für Anästhesie- und Intensivpflege, Station 44 – anästhesiologische und neurologische Intensivstation

„Seit zehn Jahren arbeite ich als Krankenpfleger auf einer anästhesiologischen und neurologischen Intensivstation an der MHH. Schon während meiner ersten Jahre hat es mich unheimlich beeindruckt, wie ich als Pflegekraft mit so alltäglichen Verfahren wie Atemtraining, Mobilisation oder gezielten Therapien das Outcome der Patienten signifikant verbessern kann.
Während der Fachweiterbildung zur Anästhesie- und Intensivfachkraft habe ich auf verschiedenen Intensivstationen in unserem Haus hospitiert und dabei die Atmungstherapeuten in der Herz-Thorax-Transplantations- und Gefäßchirurgie wie auch in der Pneumologie kennengelernt. Deren Einsatz für Patienten und ihre Fachexpertise haben mich nachhaltig beeindruckt. Der Austausch mit den Atmungstherapeuten machte mir schnell klar, dass ich mich über die Fachweiterbildung zur Anästhesie- und Intensivfachkraft hinaus weiter in der Intensivpflege qualifizieren wollte.
Nach erfolgreichem Abschluss dieser Fachweiterbildung habe ich die zweijährige Weiterbildung zum Atmungstherapeuten in Essen begonnen. Neben Theorieanteilen in der Ruhrlandklinik liegt ein Schwerpunkt der Ausbildung auf der Hospitation in zertifizierten Kliniken mit pneumologischem Schwerpunkt.
In meinem aktuellen Arbeitsumfeld stehe ich weiterhin im direkten Patientenkontakt und kann meine erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten optimal und zielgerichtet in der Patientenversorgung einsetzen. Dabei arbeite ich eigenständig und im engen Austausch unter der Supervision der Oberärztinnen und -ärzte. Meinen Tagesablauf und die Therapieschwerpunkte kann ich dabei frei festlegen. 
Da ich gerade auch die technische Seite der Intensivmedizin sehr schätze, kommt es mir entgegen, dass wir auf Station ein breites Spektrum an Respiratoren, Atemtrainern und Assistenzsystemen wie dem Cough Assist anwenden. Meine Tätigkeit umfasst nicht allein die optimierte Versorgung der Patienten, sondern auch die zielgerichtete Unterstützung und Anleitung meiner Kollegen im Bereich der Atmungstherapie.“

"Grundstein für eine hohe Versorgungsqualität"

 Hilke Lübking,  50, Atmungstherapeutin DGP und Pflegefachfrau für Anästhesie- und Intensivpflege, Station 14 – interdisziplinäre internistische Intensivstation 

„Meine erste Station war eine herzthoraxchirurgische Normalstation in der MHH. Dort bekam ich Kontakt zu Patienten nach Lungen- beziehungsweise Herz-Lungen-Transplantation. Damals nahm nicht nur die grundpflegerische Versorgung dieser Patienten einen großen Teil meiner Arbeit ein, sondern auch Inhalations‧therapie und Sekretmanagement. Dies war für mich eine sehr spannende und lehrreiche Zeit, da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kontakt mit diesem Patientenkollektiv hatte. 
Später wechselte ich auf die Intensivstation der Herz-Thorax- und Gefäßchirurgie. Dort beschäftigte ich mich unter anderem mit dem Weaning von herzthoraxchirurgischen und -transplantierten Patienten. Diese Erfahrungen konnte ich auf den unterschiedlichen Intensivstationen in der anschließenden Fachweiterbildung zur Anästhesie- und Intensivfachkraft vertiefen. 
Während meiner Fachweiterbildung absolvierte ich einen Einsatz auf der allgemeinen internistischen Intensivstation, den ich als sehr abwechslungsreich und interessant empfand. Die Mischung aus unterschiedlichen internistischen Grunderkrankungen war sehr reizvoll, und der Kontakt zu lungentransplantierten Patienten zog sich wie ein roter Faden durch meinen Werdegang an der MHH. 
Ein Kollege hat mich auf die Möglichkeit der Weiterbildung zur Atmungstherapeutin aufmerksam gemacht. Anschließend habe ich von 2011 bis 2013 die Fachweiterbildung an der Lungenfachklinik in Großhansdorf erfolgreich absolviert. Wer sich für die Weiterbildung zum Atmungstherapeuten entscheidet, der absolviert nicht nur eine ,Schulung‘, sondern durchläuft ebenso einen Prozess der Professionalisierung. Dies ist der Grundstein für eine hohe Versorgungsqualität. Mit dem erfolgreichen Abschluss eröffneten sich für mich zahlreiche neue Möglichkeiten für meine berufliche Entwicklung.
Ein weiterer pflegerischer Kollege, der die Weiterbildung zum Atmungstherapeuten DGP in diesem Jahr erfolgreich absolviert hat, kommt aus dem Bereich Anästhesie und Neurologie und bringt einen zusätzlichen Blickwinkel auf das Tätigkeitsfeld der Atmungstherapeuten mit.“
 

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