• 14.02.2023
  • Praxis
Prävention und Therapie im Wangener Weaningzentrum

Interprofessionelles Delirkonzept

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2023

Seite 18

Ein Delir bedarf eines interprofessionellen multimodalen Ansatzes zur Prävention und Therapie. Das Weaningzentrum der Waldburg-Zeil Fachkliniken Wangen im Allgäu hat ein ganzheitliches Delirkonzept für die interdisziplinäre Intensivstation entwickelt.

Das Zentrum kann insgesamt 17 thoraxchirurgische, pneumologische und neurologische Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) betreuen und von der Beatmungsmaschine entwöhnen. Basierend auf der S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie 2020) [1] prüfen speziell geschulte Pflegefachpersonen Patienten einmal pro Schicht und bei Bedarf mittels der Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit (CAM-ICU) auf ein Delir.

Ziel ist, Patienten präventiv sowie therapeutisch nichtmedikamentös zu behandeln. Dazu etablierte die Intensivstation der Fachkliniken Wangen in den Patientenzimmern sowie auf den umgebenden Fluren einen zirkadianen Lichthimmel (Foto), um den Tag-Nacht-Rhythmus zu fördern. Das Licht soll die Hormone Melatonin und Cortisol positiv beeinflussen, um die Patienten am Tag pflegetherapeutisch zu aktivieren und einen effektiven Schlaf zu fördern.

Künstlicher Himmel verhindert Delir

Bei Aufnahme wird das Alter des Patienten digital in einem Tablet hinterlegt, um die Lichtintensität des Lichthimmels individuell an den Patienten anzupassen. Es ist davon auszugehen, dass jegliche Patientenpopulation vom Einfluss des Lichts profitiert. Dazu gehören ein verbesserter Gesamtschlaf und eine Reduktion der Delirinzidenzen [2]. Zudem berichtet das Pflegefachpersonal von einem positiven Effekt des Lichts auf das eigene Energielevel am Tag sowie in der Nacht.

Die Lichtintensität sowie diverse Einspielungen, z. B. ein Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang, sind bei gestellter Indikation variabel und abänderbar. Ebenso sind diverse Lichtkonstellationen, z. B. Rot- oder Grüntöne, bei Bedarf aktivierbar. Diese Lichtmodule werden freigeschaltet, um den Patienten zu stimulieren oder wenn der Patient selbst eine Aktivierung fordert.

Ein Orientierungslicht bietet dem Team die Möglichkeit, in der Nacht die Patienten adäquat zu versorgen, ohne dass diese davon aufwachen oder sich gestört fühlen.

Das ganzheitliche Konzept beinhaltet zudem ein Lärmmanagement. Dabei werden die Alarme des Monitorings – Elektrokardiogramm, Sauerstoffsättigung des Bluts (SpO2), Blutdruck, Atemfrequenz – sowie die Alarme der Beatmungsmaschine – Druck, Exspiration, Atemminutenvolumen, Beatmungsfrequenz, Tidalvolumen, Apnoezeit etc. – an den Stützpunkt des Teams geleitet, um die Geräuschkulisse im Patientenzimmer weitestgehend zu reduzieren und somit Reize in der direkten Patientenumgebung zu verringern. Bei einer erhöhten Geräuschkulisse auf den Fluren oder am Stützpunkt verändert sich der Lichthimmel in Rot, um das interprofessionelle Team dafür zu sensibilisieren, die Lautstärke zu reduzieren.

Zur Prävention und schnellstmöglichen Reorientierung der Patienten nutzt das Pflegefachpersonal verschiedene Interventionen wie das Aufsetzen der Brille, das Einsetzen von Hörgeräten oder Zahnprothesen und die regelmäßige Mobilisation. Alle Patientenzimmer sind mit Deckenliftern ausgestattet, um immobile Patienten jederzeit in den Stuhl mobilisieren oder transferieren zu können. Zum Einsatz kommen unterschiedliche Hebetücher, je nach Rumpf- oder Kopfstabilität des Patienten.

Zudem sind alle Räumlichkeiten mit einer Uhr ausgestattet, die neben der Zeit auch das aktuelle Datum anzeigt. Sofern möglich sind die Angehörigen als eine der wichtigsten Ressourcen im Umgang mit deliranten Patienten in die Delirprävention und -therapie einzubeziehen – etwa indem sie Musik oder Bilder mitbringen, die die Wahrnehmung der Patienten stimulieren sollen. Darüber hinaus erhalten die Angehörigen in Aufklärungsgesprächen Informationen zum Themenkomplex. Können Angehörige Patienten nicht besuchen, z. B. weil die Anfahrtswege zu weit sind, bietet sich die Möglichkeit der Videotelefonie.

Sanfte Therapie für den Patientenschutz

Im Rahmen des Weanings ist weitgehend auf sedierende sowie delirogene Medikamente, z. B. Benzodiazepine oder Opiate, zu verzichten. Das Weaning soll zudem frühzeitige Spontanatemversuche ermöglichen und das Sprechvermögen des Patienten wiederher­stellen.

Für alle Patienten ist üblicherweise eine Sedierungstiefe nach RASS (Richmond Agitation Sedation Scale) von 0 (wach und ruhig) bis -1 (schläfrig) als Ziel definiert. Das Schmerzmanagement erfolgt pharmakologisch sowie nichtmedikamentös und stellt einen der wichtigsten Bausteine bei einem Delir dar. Bei Selbst- oder Fremdgefährdung, bei Agitation der Patienten ist unter allen Umständen auf eine Zwei-Punkt-Fixierung zu verzichten und stattdessen das Anlegen von Suprima©-Handschuhen (Schutzhandschuhe) zu bevorzugen, um dem Patienten weiterhin Mobilisationsfreiheiten zu lassen.

Das multimodale Delirkonzept der Fachkliniken Wangen ist einzigartig und stellt einen Meilenstein der Delirtherapie deutschlandweit dar: Das Weaningzentrum setzt mit 17 Lichthimmeln weltweit die meisten Vitalsky-Lichttherapielösungen ein. Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Logopädinnen und Logopäden, Atmungstherapeutinnen und -therapeuten sowie das Pflegefachpersonal arbeiten hocheffizient interprofessionell zusammen. Somit ist die Intensivstation in der Lage, potenziell delirgefährdete Patienten anhand von Assessmentinstrumenten rechtzeitig zu identifizieren, um im Falle eines sich entwickelnden oder bereits bestehenden Delirs auf Grundlage eines hohen Wissensstands adäquat zu intervenieren.

[1] AWMF. S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie). 2021. Im Internet: register.awmf.org/de/leitlinien/detail/001-012

[2] Chong M, Tan K et al. Bright Light Therapy a spart of a multicomponent management program improves sleep and functional outcomes in delirious older hospitalized adults. Clinical interventions in Aging 2013; 8: 565–572

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