• News
Pflegebildung

Warum simulationsbasiertes Lernen unverzichtbar ist

Praxisnah und zukunftsorientiert: Die Bedeutung simulationsbasierten Lernens in der Pflegeausbildung.

Simulationsbasiertes Lernen (SBL) ist eine moderne Lehrmethode, die künftigen Pflegepersonen die Möglichkeit bietet, komplexe bis hochkomplexe Situationen praxisnah zu trainieren und ihre Kompetenzen durch reflektiertes Handeln zu vertiefen. Der Artikel gibt einen Überblick über die Entwicklung von SBL und zeigt, dass SBL als ein unverzichtbares Instrument für die Pflegeausbildung und Pflegepraxis anzuerkennen und zu fördern ist.

Eine der größten Stärken simulationsbasierten Lernens (SBL) ist die Förderung einer positiven Fehlerkultur. Simulationsbasierte Erfahrungen ermöglichen es, Fehler in einem sicheren Rahmen zu machen und daraus zu lernen. Dies fördert eine Umgebung, in der Fehler als wertvolle Lernchancen betrachtet werden, anstatt sie zu stigmatisieren. Durch die Auseinandersetzung mit komplexen, teilweise überraschenden Szenarien werden die Lernenden dazu ermutigt, ihre Entscheidungen zu reflektieren, verschiedene Lösungswege zu erwägen und unter Druck rationale Entscheidungen zu treffen. Diese Fähigkeiten sind in der Pflege von unschätzbarem Wert, da Pflegepersonen im Berufsalltag oft in Situationen handeln müssen, in denen schnelle und dennoch fundierte Entscheidungen erforderlich sind.

SBL kann bis zu 50 Prozent der traditionellen Praxisstunden in der Pflegeausbildung ersetzen

Den Lernenden qualitativ hochwertige klinische Erfahrungen und eine kontinuierliche Praxisanleitung zu bieten, ist in der Pflegeausbildung eine ständige Herausforderung. Mit dem Ausbau der Ausbildungskapazitäten in der Pflegeausbildung in Deutschland an Pflegeschulen, Hochschulen und Universitäten konkurrieren mehr Anbieter um begrenzte Praxisplätze. Mit einer realistischen simulationsbasierten Erfahrung können gut ausgebildete Lehrende viele pflegerische Situationen nachbilden.

Im Jahr 2014 wurden die Ergebnisse einer groß angelegten, randomisierten, kontrollierten Studie aus den USA publiziert, die zum Ziel hatte, wissenschaftliche Belege für die Wirkung von SBL zu sammeln [1]. Diese Studie lieferte wesentliche Beweise dafür, dass simulationsbasiertes Lernen bis zu 50 Prozent der traditionellen Praxisstunden in der Pflegeausbildung ersetzen kann. Voraussetzung ist, dass SBL über das gesamte Curriculum integriert ist, genügend Lehrende in der Pädagogik von SBL ausgebildet sind sowie Ausrüstung und ausreichend Zubehör für die Umsetzung von qualitativ hochwertigen simulationsbasierten Erfahrungen vorgehalten werden können.


Ein kurzer historischer Einblick in die Geschichte der Simulation

Simulationsbasiertes Lernen wurde bereits vor Tausenden von Jahren eingesetzt, um die Kompetenz und das Selbstvertrauen bei Lernenden zu entwickeln und um medizinisches Personal für reale Situationen auszubilden [2]. In der Literatur werden chirurgische Simulatoren beschrieben, die vor über 2.500 Jahren verwendet wurden. In der Mitte des 18. Jahrhunderts entwarf der Chirurg Giovanni Antonio Galli eine gläserne Gebärmutter mit einem Fötus, um Hebammen und Chirurgen während der Geburt zu trainieren. 1911 fertigte die Puppenmacherin Martha Jenkins Chase eine Puppe an, die sie „Mrs. Chase“ nannte und half, das Anziehen, Verabreichen von Medikamenten und Umlagern von Patient:innen zu üben. In den 1940er-Jahren verwendete die US-Armee Puppen, um Sanitäter:innen medizinische Techniken beizubringen. In den 1960er-Jahren wurde die berühmte „Resusci Anne“ entwickelt, ein Simulator für das Training der Herz-Lungen-Wiederbelebung. Dieses Modell revolutionierte die Ausbildung durch kostengünstige und dennoch effektive Trainingsmöglichkeiten. Etwa zur gleichen Zeit wurde „Sim One“ entwickelt, der erste computergesteuerte Simulator, der unter anderem den Herzschlag, Puls und Blutdruck abbilden konnte sowie die Fähigkeit besaß, zu atmen.

Die ersten Anwender:innen von Simulationen erkannten bereits die Bedeutung und den Stellenwert für die Verbesserung der Pflege und die Sicherheit der pflegebedürftigen Menschen. Fähigkeiten können so lange geübt werden, bis die Lernenden letztlich die Kompetenz in ihrem Fach erlangen.

Die unterschiedlichen Simulationsmodalitäten im SBL

Simulationsbasiertes Lernen bietet den Lernenden ein Szenario in einer realistischen Umgebung, in der die Teilnehmenden so reagieren, wie sie es bei einem tatsächlichen Ereignis tun würden. Der Begriff Modalität bezieht sich dabei auf die Art(en) von Simulationen, die im Rahmen der Simulationsaktivität verwendet werden, zum Beispiel Modelle (sogenannte Task Trainer), computergestützte Simulatoren, Simulationspersonen, virtuelle Realität (VR) oder hybride Formen.

Schien SBL vor Jahrzehnten nur für die Verbesserung der psychomotorischen Fertigkeiten relevant zu sein, bedeutet SBL heute auch, kommunikative Kompetenzen, (hoch-)komplexe pflegerische Situationen und Rollen sowie Verantwortlichkeiten im Team zu trainieren.

Für die Simulation von Notfällen und die Kommunikation im interprofessionellen Team eignen sich Szenarien mit High-Fidelity-Simulatoren. Beratungskompetenzen oder die situationsgerechte Gesprächsführung werden am besten mithilfe von Simulationspersonen geübt, hier ist der persönliche Kontakt und das Feedback der Simulationspersonen von entscheidender Bedeutung. In Zeiten der Covid-19-Pandemie erfuhr die Anwendung von VR einen Schub. Personen im Gesundheitssystem konnten den richtigen Einsatz persönlicher Schutzausrüstung und andere Techniken zur Infektionskontrolle trainieren, ohne sich oder andere Menschen zu gefährden.

Je nach Lernstand und Lernziel entscheidet die Realitätstreue über den Lernerfolg. Je erfahrener die Lernenden sind, desto höher sollte die Realitätstreue sein. Der Erfolg für alle simulationsbasierten Erfahrungen hängt aber vor allem vom Debriefingprozess und den durchgeführten Feedbackschleifen ab. Mithilfe einer strukturierten Nachbesprechung (Debriefing) werden die Lernenden befähigt, die Lernsituation zu analysieren, kritisch zu hinterfragen und das erworbene Können für die Praxis nutzbar zu machen.

Simulationsbasiertes Lernen im internationalen Vergleich

SBL ist in vielen Ländern bereits fester Bestandteil der Pflegeausbildung. Best Practices für die Durchführung von SBL werden regelmäßig überarbeitet und von der International Nursing Association for Clinical Simulation and Learning (INACSL) veröffentlicht. Die Healthcare Simulation Standards of Best Practice® (HSSOBP®) sind interprofessionell entwickelte Standards und schaffen die wissenschaftsbasierte Grundlage für SBL. Die derzeit zehn Standards bieten evidenzbasierte Richtlinien für die Anwendung und Entwicklung eines umfassenden Praxisstandards. Nachfolgend wird exemplarisch der Standard „Simulation Design“ zusammengefasst und modifiziert dargestellt [3].

Das größte Netzwerk im deutschsprachigen Raum für die Förderung des simulationsbasierten Lernens ist das Simulations-Netzwerk Ausbildung und Training für Gesundheitsfachberufe (SimNAT Gesundheitsfachberufe). Das Netzwerk versteht sich als Arbeitsgemeinschaft für den Austausch von Erfahrungen zum Thema SBL. Es ermöglicht gemeinsames Lernen und fördert die Weiterentwicklung von Bildung und Forschung im Bereich des simulationsbasierten Lehrens und Lernens.

Ethische Aspekte im simulationsbasierten Lernen

Mit der zunehmenden Verbreitung von SBL stellen sich auch ethische Fragen. Der Schutz der pflegebedürftigen Menschen vor unerfahrenen Pflegepersonen wird zunehmend betont, was den Druck auf Bildungseinrichtungen erhöht, qualitativ hochwertige Trainings anzubieten. Simulationsbasierte Erfahrungen müssen respektvoll und lernendenzentriert durchgeführt werden. Die Einhaltung ethischer Standards ist entscheidend, um das Vertrauen der Lernenden in den Bildungsprozess zu gewährleisten. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat die Society for Simulation in Healthcare den „Healthcare Simulationist Code of Ethics“ entwickelt [4]. Dieser Kodex definiert sechs grundlegende Werte für Lehrende, die als handlungsleitend im SBL gelten: Integrität, Transparenz, gegenseitiger Respekt, Professionalität, Verantwortlichkeit und Ergebnisorientierung.

Die Integration von SBL in das Curriculum und Herausforderungen in der Umsetzung von SBL

Die Integration von SBL in den Lehrplan sollte sich an der Mission der Bildungsinstitution orientieren und die Bedürfnisse der Lernenden entlang ihres gesamten Ausbildungswegs berücksichtigen. Lernende werden als Noviz:innen betrachtet, die im Laufe des Curriculums zu kompetenten Pflegefachpersonen heranwachsen. Ein vertikaler Ansatz, bei dem die Simulationsaktivitäten schrittweise aufeinander aufbauen, gilt als besonders wirkungsvoll. Um simulationsbasiertes Lernen in die Curricula der Pflegeausbildung zu integrieren, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Ausbildungsinstitutionen und politischen Entscheidungsträgern erforderlich. Die Erfahrung zeigt, dass insbesondere der Einbezug von erfahrenen Kolleg:innen aus der Praxis, zum Beispiel Praxisanleitungen, zum Erfolg von simulationsbasierten Erfahrungen führt. Der Erfolg von SBL hängt auch entscheidend von der kontinuierlichen Fortbildung der Lehrenden ab. Instruktor:innen müssen nicht nur in der Lage sein, Simulationsaktivitäten zu planen, durchzuführen und zu evaluieren, sondern müssen auch regelmäßig ihre didaktischen Fähigkeiten weiterentwickeln, um den Anforderungen eines sich schnell wandelnden Gesundheitssystems gerecht zu werden.

Erfahrungsgemäß gibt es große Unterschiede bei der Umsetzung von SBL an Pflegeschulen, Hochschulen und Universitäten in Deutschland. Dies liegt insbesondere an den Herausforderungen bei der Implementierung von SBL. Zu den größten Hindernissen gehören die hohen Kosten sowie der erhebliche Ressourcenbedarf für die Einrichtung, den Betrieb von Simulationslaboren und für die Anpassung der Infrastruktur in den Ausbildungseinrichtungen. Darüber hinaus gibt es noch keine Kriterien für die Standardisierung von Simulationsprogrammen und der Qualitätssicherung. Um diese Hindernisse zu überwinden, ist die Unterstützung auf institutioneller und staatlicher Ebene notwendig [5]. Politische Entscheidungsträger müssen den Mehrwert simulationsbasierter Ausbildung erkennen und entsprechende Fördermittel bereitstellen.

Fazit und ein Blick in die Zukunft des SBL

Simulationsbasiertes Lernen hat das Potenzial, die Pflegeausbildung in Deutschland nachhaltig zu verändern. Es bietet eine praxisnahe Alternative zu traditionellen Lehrmethoden. Die Implementierung von SBL erfordert jedoch klare Strategien, politische Unterstützung und ein starkes Engagement aller Beteiligten.

Die Zukunft simulationsbasierten Lernens in der Pflege wird von technologischen Fortschritten geprägt sein. Der Einsatz von VR und KI eröffnet neue Möglichkeiten, SBL noch flexibler zu gestalten.

Simulationsbasiertes Lernen sollte sich künftig noch stärker mit dem Gesamtbild der Gesundheitsversorgung aus der Perspektive der Teamarbeit befassen. Die Zukunft von SBL liegt in der Anwendung bei Orientierungs- und Einarbeitungsprozessen für Mitarbeitende, im Integrationsmanagement und bei Kenntnisprüfungen. Der aktuelle und künftige Zweck der Simulation besteht darin, die Gesundheitsversorgung sicherer und effizienter zu machen.

Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

[1] Hayden, J. K., Smiley, R. A., Alexander, M., Kardong-Edgren, S., & Jeffries, P. R. The NCSBN National Simulation Study: A longitudinal, randomized, controlled study replacing clinical hours with simulation in prelicensure nursing education. Journal of Nursing Regulation 2014, 5 (2): 3-40.

[2] Bienstock, J., & Heuer, A. (2022). A review on the evolution of simulation-based training to help build a safer future. Medicine, 101 (25), e29503. Im Internet: https://doi.org/10.1097/MD.0000000000029503; Zugriff: 11.09.2024

[3] INACSL Standards Committee, Watts, P.I., McDermott, D.S., Alinier, G., Charnetski, M., & Nawathe, P.A. (2021). Healthcare Simulation Standards of Best PracticeTM Simulation Design. Clinical Simulation in Nursing, 58, 14-21. Im Internet:  https://doi.org/10.1016/j.ecns.2021.08.009; Zugriff: 11.09.2024

[4] Park, C. S., Murphy, T. F., & the Code of Ethics Working Group (2018). Healthcare Simulationist Code of Ethics. Im Internet: http://www.ssih.org/Code-of-Ethics; Zugriff: 11.09.2024

[5] Diaz-Navarro, C., Armstrong, R., Charnetski, M., Freeman, K. J., Koh, S., Reedy, G., Smitten, J., Ingrassia, P. L., Matos, F. M., & Issenberg, B. (2024). Global consensus statement on simulation-based practice in healthcare. Advances in Simulation; 9 (1), 19. Im Internet: https://doi.org/10.1186/s41077-024-00288-1; Zugriff: 11.09.2024

Kostenloser Newsletter

  • 2x Wöchentlich News erhalten
  • garantiert kostenlos, informativ und kompakt
* Ich stimme den Bedingungen für den Newsletterversand zu. 

Bedingungen für Newsletterversand:

Durch Angabe meiner E-Mail-Adresse und Anklicken des Buttons „Anmelden“ erkläre ich mich damit einverstanden, dass der Bibliomed-Verlag mir regelmäßig pflegerelevante News aus Politik, Wissenschaft und Praxis zusendet. Dieser Newsletter kann werbliche Informationen beinhalten. Die E-Mail-Adressen werden nicht an Dritte weitergegeben. Meine Einwilligung kann ich jederzeit per Mail an info@bibliomed.de gegenüber dem Bibliomed-Verlag widerrufen.