Die Pflegeausbildung vermittelt viel theoretisches Wissen – von Anatomie bis Kommunikation. Doch der Alltag auf Station zeigt: Viele entscheidende Kompetenzen entstehen erst in der Praxis. Eine Praxisanleiterin berichtet, wie Pflegekräfte lernen, Prioritäten zu setzen, souverän zu kommunizieren und mit digitalen Systemen umzugehen. Und warum kleine Tricks manchmal den größten Unterschied machen.
Natürlich sind die Curricula der Pflegeschulen prall gefüllt: Anatomie, Pflegeprozesse, Hygiene, Kommunikation, Recht – alles wichtig. Und doch unterscheidet sich das, was auf Station passiert, oft vom Lehrplan.
Praxisanleiterin: "Praktische Pflege ist höchst individuell"
"In der Praxis merkt man schnell: Theorie ist wichtig, aber erst im echten Stationsgeschehen lernt man, wie individuell Pflege wirklich ist", sagt Lisa Liepold, Gesundheits- und Krankenpflegerin am Marienhaus Klinikum im Kreis Ahrweiler. Als Praxisanleiterin begleitet sie Auszubildende beim Transfer vom Schulwissen in den Alltag – und erlebt täglich die Diskrepanz zwischen Lehrbuch- und Erfahrungswissen.
Tricks gegen die Tücken der IT
"Viele Dinge lernt man erst im Stationsalltag", so Liepold. "Zum Beispiel, wie man EDV-Systeme sicher nutzt." Was banal klingt, fordert vielfach Nerven: Programme wollen verstanden, Passwörter sicher erstellt, Dokumentationen korrekt ausgeführt werden. Was hilft: sich gegenseitig zeigen, wie etwas funktioniert, und Routine aufbauen, Spickzettel für die wichtigsten Abfolgen schreiben. (Und nein, das Passwort gehört nicht auf so einen Zettel.) Wer die Technik beherrscht, statt sich von ihr stressen zu lassen, spart Zeit und Energie.
Special-Tipp für ein sicheres Passwort: An das eigene Lieblingslied denken, den ersten Satz oder den Satz des Refrains nehmen, aus der Wortabfolge jeweils die ersten Buchstaben ziehen – fertig ist eine Buchstabenkombi, auf die niemand so einfach kommt.
Prioritäten setzen – unter Echtzeitbedingungen
Auch die Strukturierung eines oft hektischen Tagesablaufs ist "etwas, das sich mit Erfahrung einspielt", weiß Liepold. Erst in der Praxis lernten Pflegekräfte, "Prioritäten richtig zu setzen und flexibel auf unvorhersehbare Situationen zu reagieren". Oft hilft schon ein kleiner innerer Stopp – zwei Sekunden, um die Lage zu sichten: Was ist akut, was kann warten? Dieses Innehalten bringt Klarheit. Priorisieren heißt nicht, etwas liegen zu lassen, sondern souverän zu handeln.
Perspektivwechsel schafft ein besseres Miteinander
Pflege findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern im Zusammenspiel vieler Berufsgruppen: Da sind die Ärztinnen und Ärzte, da sind die Kolleginnen und Kollegen aus Physiotherapie und Ergotherapie, zudem das Reinigungspersonal, die Speiseversorgung. Wissen, Prozesse und Hierarchien prallen hier manchmal hart aufeinander.
Die Berufsgruppen neigten bislang dazu, "eher nebeneinander zu agieren" und "sich manchmal sogar als störend wahrzunehmen", beobachtet Katharina Lüftl, Professorin für Pflegewissenschaft, Pflegepraxis und Didaktik an der Technischen Hochschule Rosenheim ("Skillslab in Pflege- und Gesundheitsfachberufen", Springer 2021). Die Hochschule hat daher 2018 eigens ein Modul eingerichtet, in dem Pflege-Bachelorstudierende die interprofessionelle Zusammenarbeit trainieren.
Kern ist unter anderem der Perspektivwechsel. Wer sich in die Rolle des Gegenübers hineinversetzt, erkennt leichter, wie die andere Berufsgruppe denkt und handelt. Auf die Praxis übertragen kann das heißen: einen Moment nehmen, sich beispielsweise in die Lage der Physiotherapeutin hineindenken, sich fragen: Was sind gerade ihre Ziele und Bedürfnisse, wo liegen vielleicht ihre Grenzen – und wo ist ein Treffen in der Mitte möglich?
Geschickt kommunizieren
In der Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten ist oft kommunikative Souveränität gefragt, wie die Medizinpädagogin Ruth Mamerow weiß (Praxisanleitung in der Pflege, Springer 2021). Kommt etwa ein Arzt hektisch ins Zimmer, um die Patientin zu untersuchen, während eine Pflegekraft gerade das Bett bezieht oder die Patientin mobilisiert, hilft klare Kommunikation: freundlich, aber bestimmt darauf hinweisen, was gerade passiert – und fragen, ob die Untersuchung im Anschluss möglich ist. Häufig, so Mamerow, überblickten Ärztinnen und Ärzte die Situation im Moment einfach nicht. Mit ruhiger Stimme und klaren Worten lassen sich solche Situationen entschärfen – ohne Trotz, ohne Konfrontation. Sondern mit Kooperation auf Augenhöhe.
Bonus-Hack für den Alltag
Und dann gibt es immer wieder die kleinen Hacks, die sich Pflegekräfte untereinander weitergeben. "Kleine Tricks erleichtern den Alltag ungemein", bestätigt Lisa Liepold – vor allem im Kontakt mit Patientinnen und Patienten. Als einen Hack nennt sie zum Beispiel, Einmalhandschuhe mit Wasser zu befüllen – und dem Patienten als Bewegungsanreiz anzubieten.
Solche Ideen, solches Erfahrungswissen steht in keinem Lehrplan – und doch prägt es den Stationsalltag.