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Fakultät Pflegewissenschaft an der PTHV vor dem Aus

"Müssen die richtigen Konsequenzen ziehen"

Prof. Dr. Roland Brühe ist seit 2017 Studiengangsleiter für die pflegepädagogischen Bachelor- und Masterstudiengänge sowie Praxisverantwortlicher für den Bereich Pflegepädagogik an der Katholischen Hochschule NRW. Der examinierte Krankenpfleger hat 2008 als einer der ersten den pflegewissenschaftlichen Masterstudiengang an der PTHV absolviert. Anschließend hat er das in der Form deutschlandweit bislang einzigartige Promotionsprogramm durchlaufen. Seit 2018 ist Brühe Sprecher des Alumni-Netzwerks der pflegewissenschaftlichen Fakultät an der PTHV.

Die Philosophisch-Theologische Hochschule in Vallendar (PTHV) löst ihre pflegewissenschaftliche Fakultät auf – die einzige in Deutschland. Welche Folgen das für die Profession Pflege insgesamt hat, darüber sprachen wir mit Pflegepädagoge Roland Brühe. Er ist Sprecher des Alumni-Netzwerks und hat selbst 7 Jahre an der Fakultät studiert.

Herr Professor Brühe, wie haben Sie von der "Stilllegung" der pflegewissenschaftlichen Fakultät erfahren?

In der Osterwoche habe ich am späten Mittwochnachmittag von der PTHV-Geschäftsführung eine Mitteilung erhalten – noch bevor die Mitarbeitenden selbst informiert wurden, wie sich später herausstellte. Am nächsten Tag wurden alle Beteiligten offiziell informiert. Aus vertraulicher Quelle weiß ich, dass eine Vollversammlung der Fakultät erst auf Bitten von Studierenden hin entstanden ist. Ich finde es enttäuschend und auch sehr befremdlich, dass seitens der Geschäftsführung keine wirklich transparente Kommunikation erfolgt ist. Zunächst war die Mitteilung zum Aus der Fakultät übrigens auch nur auf einer Unterseite der Pallottiner-Homepage zu finden, also dem Träger der PTHV, und nicht auf der Seite der PTHV selbst. Es war also eine eher versteckte Information. Ich fühle mich der PTHV immer noch sehr verbunden. Aber dieses Vorgehen entspricht nicht dem Menschen zugewandten und christlichen Verständnis, für das ich die PTHV schätze. Das ist gerade nicht die Hochschule, wie ich sie kennengelernt habe.

"Diese Brainpower und Offenheit im Denken gibt es in der Pflegewissenschaft kein zweites Mal."

Was bedeutet das Aus der pflegewissenschaftlichen Fakultät der PTHV für die Pflege in Deutschland?

Die Schließung ist ein Dämpfer sowohl für die Pflegequalifikation als auch für die Pflegeforschung: In Deutschland verlieren wir einen der wichtigen Pfeiler universitärer pflegewissenschaftlicher Ausbildung, und die Pflegeforschung erleidet auf universitärem Niveau einen herben Rückschlag. Die Fakultät war die einzige ihrer Art. Diese Brainpower und Offenheit im Denken gibt es bezogen auf die Pflegewissenschaft deutschlandweit sicherlich kein zweites Mal. Forschungsprojekte voranzutreiben, neues Wissen zu erwerben und zu vertiefen, waren Kernelemente der Pflegeforschung an der PTHV, deren Ergebnisse sich beispielsweise auch in Leitlinien wiedergefunden haben. Zudem ist allein ein gutes Dutzend Professorinnen und Professoren aus dem Promotionsprogramm hervorgegangen, die mittlerweile an Stakeholder-Positionen im Gesundheitssystem sitzen. Mit dem Aus der Fakultät wird eine Lücke gerissen, die ich auch persönlich als sehr schmerzlich empfinde, obwohl ich die Uni schon vor Jahren verlassen habe. Nebenbei bemerkt finde ich es auch merkwürdig, meine Doktorurkunde irgendwann erklären zu müssen, weil sie von einer Fakultät ausgestellt wurde, die nicht mehr existiert.

"Dämpfer sowohl für Pflegequalifikation als auch für Pflegeforschung."

Nach Aussage der Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, sind weniger als 50 % der vorhandenen Studienplätze für die hochschulische Ausbildung von Pflegefachpersonen aktuell belegt.  Auch die PTHV-Geschäftsführung macht eine sinkende Nachfrage nach Studienplätzen für das Aus der Fakultät verantwortlich. Wollen Pflegende also gar nicht studieren? Und ist die Entscheidung der PTHV doch nicht so verkehrt?

Natürlich brauchen wir akademisierte Pflegefachpersonen. Schon heute haben wir zu wenige von ihnen mit Bachelor- und Masterabschluss oder einer Promotion. Die Akademisierung der Pflege hat im Prinzip gerade erst begonnen. Übrigens: Ein Rückgang der Studierendenzahlen ist zumindest aus den Jahresberichten der PTHV nicht ersichtlich – ganz im Gegenteil. Vom Wintersemester 2012/2013 bis zum Wintersemester 2019/2020 hat sich die Zahl der Studierenden von 118 auf 292 mehr als verdoppelt. Das Promotionsprogramm ist sehr beliebt und hat in den vergangenen Semestern immer rund 60 Teilnehmende gehabt. Der Wegfall dieser Promotionsstellen ist insofern bezeichnend, als dass schon heute viele Professuren an Hochschulen aufgrund fehlenden Nachwuchses sowie mangelnder Ausbildungsmöglichkeiten nicht besetzt werden können. Und das in einer Phase, in der neue Pflegestudiengänge entstehen. Für diese Pflegestudiengänge braucht es Professorinnen und Professoren – das können eben nur promovierte Menschen sein. Das Signal, das die PTHV jetzt aussendet, ist noch nicht abschätzbar in seiner Auswirkung, aber alarmierend allemal. Denn eine Hochschulleitung konstatiert, es lohne sich nicht, Pflegestudiengänge anzubieten. Der pflegewissenschaftliche Nachwuchs wird nachhaltig gebremst.

"Wir brauchen akademisierte Pflegefachpersonen."

Warum sind akademisierte Pflegefachpersonen so wichtig für die Profession?

Ein professionell-wissenschaftlicher Ansatz ist entscheidend, um etwa pflegerische Konzepte weiterzuentwickeln und letztlich die pflegerische Versorgung der Bevölkerung in Deutschland zu verbessern. Eine hochschulische Pflegequalifikation wirkt sich unter anderem positiv auf die Gesundheitsversorgung, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Arbeitszufriedenheit insgesamt aus – das zeigen anerkannte internationale Studien. Die Frage, ob wir akademisch ausgebildetes Pflegepersonal brauchen oder nicht, ist dabei aber nicht nur eine Sache der Pflegenden, sondern eine gesamtgesellschaftliche Frage: Was für eine Art von Pflege wollen wir künftig haben? Eine professionelle Pflege, die an internationale Standards anknüpfen kann, oder reicht ein Einfaches „satt und sauber“? Wollen wir Ersteres, müssen wir jetzt die richtigen Konsequenzen ziehen – und das wird nicht funktionieren, ohne Geld in die Hand zu nehmen.

Also mehr staatliche Investitionen in die Pflegeausbildung, damit nicht die Finanzlage von Hochschulträgern über wissenschaftliche Expertise in der Pflege entscheidet?

Zunächst müssen wir uns die Frage stellen, ob die akademische Ausbildung von Pflegenden überhaupt wirtschaftlich sein muss. Allein mit Blick auf die Pflegeausbildung fällt auf: Der Staat finanziert fast keine Schulen. Pflegeausbildung ist sozusagen outgesourced in die Hand privater oder freigemeinnütziger Träger. Das ist auch in der Pflegewissenschaft so – ohne die privaten Hochschulen hätten wir schon längst ein Problem. Und ja, die Länder sind jetzt in der Pflicht, mehr staatlich finanzierte Angebote zu schaffen. Davon gibt es derzeit einfach noch zu wenige. Die Länder müssen massiv Geld in die Hand nehmen, um pflegewissenschaftliche Studiengänge auf universitärem Niveau zu schaffen. Denn nur dort kann es die nötige Infrastruktur geben, um Forschung überhaupt zu betreiben.

"Die Länder sind jetzt in der Pflicht, mehr staatlich finanzierte Angebote zu schaffen."

Müssten sich dann nicht auch die Einrichtungen – also Krankenhäuser und Pflegeheime – bewegen?

Natürlich! Sie müssen eine Vorreiterrolle übernehmen, umdenken und endlich verstärkt spezifische und eigenverantwortliche Aufgaben- sowie Beschäftigungsfelder für akademisch ausgebildete Pflegende schaffen. Die Einrichtungen hierzulande unterschätzen einfach vielfach noch den Wert eines Pflegestudiums, auch wenn es an Universitätskliniken schon etwas besser aussieht. Oft heißt es aus der Belegschaft, wenn sich jemand für ein Pflegestudium interessiert: "Wie, du willst was Besseres sein?" Das Denken in unterschiedlichen Qualifikationen ist in den Köpfen vielfach noch nicht angekommen. Solange sich dieses Denken nicht ändert, werden junge Menschen nur schwer zu überzeugen sein, dass sich ein Pflegestudium lohnt. Das Mehr an Wissen wird vom Kollegium oft eher skeptisch betrachtet.

Noch aber lohnt sich ein Studium kaum. Viele akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen führen die gleichen Tätigkeiten aus wie ihre berufsschulisch ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen. Zudem erhalten sie auch die gleiche Vergütung…

Das ist richtig. Neben geeigneten Jobs fehlt eine bessere Bezahlung. Auch die Politik hat noch nicht hinreichend verstanden, dass es eine Wissenschaft in der Pflege, ein spezifisches Pflegewissen, gibt. Wir Pflegenden – aber auch die Gesellschaft – sind gefordert, pflegewissenschaftliche Expertise einzufordern und anzuwenden. Dann wird sowohl der Nutzen von Pflegewissenschaft erkannt als auch wie wichtig sie ist für eine Profession Pflege. Eine Pflege, die nicht nur Beruf ist, sondern professionelle Arbeit.

"Pflegewissenschaftliche Expertise einfordern und nutzen."

Wie zuversichtlich sind Sie, dass dieses Umdenken in Politik und Gesellschaft zeitnah eintritt?

Zunächst werden noch viele Auseinandersetzungen nötig sein. Aber ich bin optimistisch. Und ich hoffe, dass vor allem die Politik versteht, dass wir wissenschaftliche Entwicklungen und Promotionsmöglichkeiten brauchen für eine starke Pflege von morgen. Das Signal an die Verantwortlichen in Bund und Ländern ist eindeutig: Wir brauchen neue Lehr- und Lernorte, die nicht in privater Hand, sondern staatlich finanziert sind.

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