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Zum Aus der Fakultät Pflegewissenschaft an der PTHV

Das Ende kam "wie aus dem Nichts"

Pflegevertreter kritisieren die Entscheidung der PTHV scharf. Auf der Pressekonferenz wird diese mit einer "prekären" wirtschaftlichen Situation begründet.

Es hagelt deutliche Kritik aus der Profession Pflege an der Entscheidung der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar (PTHV), ihre pflegewissenschaftliche Fakultät – die einzige in Deutschland – aufzulösen. Auch nach der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag bleibt ein gewisses "Geschmäckle“"zurück – denn den Beschluss, die Fakultät zu schließen, verkündete der PTHV-Träger, die Gemeinschaft der Pallottiner, kurz vor Karfreitag auf seiner Homepage. Für den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat dieser Zeitpunkt der Bekanntgabe "eine eigene Symbolik". "Wie aus dem Nichts" kam die Ankündigung für die Pflegekammer Rheinland-Pfalz. Auf der PTHV-Webseite sind nach wie vor keine Informationen zum Aus der Fakultät zu finden. Zudem: Einige direkt Betroffene kritisieren nach Informationen von BibliomedPflege, dass eine Vollversammlung mit der pflegewissenschaftlichen Fakultät erst auf Bitten von Studierenden hin erfolgt sei. Ursprünglich war wohl lediglich eine Information via Mail vorgesehen.

Mind. 1,5 Mio. Euro jährlich nötig 

Auf der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag betonten PTHV-Geschäftsführerin Julia Sander und Provinzial Pater Helmut Scharler, die Entscheidung sei ihnen nicht leicht gefallen, aber es gebe keine Alternative. Die Gründe hierfür seien "ausschließlich" wirtschaftlicher Natur. Die wirtschaftliche Situation sei "prekär". In den vergangenen 2 Jahren sei es nicht gelungen, für die Finanzierung der Fakultät weitere potenzielle Gesellschafter oder Geldgeber – weder auf kirchlicher, noch auf staatlicher oder privater Seite – gewinnen zu können. Nach Aussage von Scharler seien mind. 1,5 Mio. Euro jährlich nötig, damit die Fakultät hätte weiter bestehen können. Er konkretisierte:

"Entweder wir wären gezwungen gewesen, in ein bis zwei Jahren die gesamte Hochschule zu schließen, oder wir trennen uns jetzt von der pflegewissenschaftlichen Fakultät, die den Löwenanteil der Ausgaben verursacht."

Sander versicherte aber, dass die sukzessive Abwicklung der Fakultät und ihrer Studiengänge "so verträglich wie nur möglich für die Studierenden" ablaufen soll.

Als "höchst unverantwortlich" bezeichnete es Sander, wären Promotionsinteressenten jetzt noch aufgenommen worden.

Zum 1. April hätten 10 Kandidatinnen und Kandidaten ihre Promotion starten sollen. Sie erhielten buchstäblich in letzter Minute eine Absage, obwohl die erforderlichen formalen Zugangsvoraussetzungen bereits erfüllt waren und nur noch die vertraglichen Unterschriften ausstanden.

Ideell wertvoll, wirtschaftlich aber nicht tragbar

Sander betonte:

"Es wird für jeden Studierenden eine Lösung gefunden."

Konkret sollen Studierende noch 2-3 Jahre die Chance habe, ihr Studium abzuschließen – Neuimmatrikulationen sind allerdings nicht mehr möglich. Damit entfällt auch die Option, einen auf den Bachelor- aufbauenden Masterstudiengang an der PTHV zu absolvieren.

Neuimmatrikulationen nicht mehr möglich

Sander verdeutlichte, dass sich das Alleinstellungsmerkmal der pflegewissenschaftlichen Fakultät "vielleicht im ideellen Sinn" habe manifestieren können, nicht jedoch im wirtschaftlichen und folgerte:

"Die Rolle der Pflege in Deutschland ist nicht unser primärer Auftrag."

Hier sieht Sander vielmehr die Landesregierung in der Pflicht, nicht nur staatliche Hochschulen zu subventionieren, sondern auch private Einrichtungen etwa über Drittmittelfonds zu fördern.

"Riesiger Dämpfer" für die Profession Pflege

Bereits vor der Pressekonferenz haben führende Pflegevertreter die Entscheidung als herben Rückschlag und "riesigen Dämpfer" für die Profession Pflege gewertet. Alle erwarten deutlich mehr finanzielle Unterstützung von Bund und Land für akademische Pflegestudiengänge. Die PTHV solle zudem ihre Entscheidung überdenken, die renommierte und einzige pflegewissenschaftliche Fakultät in Deutschland aufzulösen.

In einem offenen Brief schreibt Kammerpräsident Markus Mai:

"Für die professionelle Pflege und insbesondere für die für den Pflegeberuf ganz existenzielle Weiterentwicklung der Akademisierung ist diese Maßnahme nicht nur ein Schlag ins Gesicht, sondern nachhaltig ein Tritt unter die Gürtellinie und wurde von vielen fast schon als Aprilscherz aufgefasst."

Der Landespolitik warf Mai "echte Nachlässigkeit" vor. Die Kammer fordere schon seit Jahren mehr finanzielle Unterstützung seitens des Landes auch für die PTHV. Das sei mit Verweis auf deren privaten Hochschulstatus abgelehnt worden.

"Wir können uns nicht auf der einen Seite für eine Stärkung der beruflichen Pflege stark machen und zeitgleich bei der Akademisierung aufgrund wissenschaftspolitischer Ideologien und Denkhemmungen sparen."

Deprofessionalisierung der Pflege

Die Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR) und Geschäftsführerin des Berliner Bildungscampus für Gesundheitsberufe, Christine Vogler, spricht gegenüber BibliomedPflege von einem Trauerspiel:

"Wie kann es sein, dass private innovative Hochschulen keine staatlichen Unterstützungen für so wichtige Studiengänge erhalten? Pflege wird weiter deprofessionalisiert und ihres Ansehens beraubt. Man stelle sich vor, man würde etablierte Studiengänge der Medizin oder des Rechts privaten Trägern überlassen beziehungsweise schließen – undenkbar!"

Deutschland finde akademische Pflegestudiengänge "offensichtlich überflüssig", so Vogler weiter und fragt vorwurfsvoll:

"Die einzige Pflegefakultät Deutschlands schließt. Und was passiert morgen? Führen wir dann wieder die unsägliche Diskussion, warum ‚Pflege‘ überhaupt studieren muss?"

Die DPR-Vizepräsidentin ist überzeugt:

"Wenn nicht sofort ein Umdenken in den Ländern in Bezug auf alle pflegerischen Studiengänge stattfindet, wird die akademische Pflege eine Randerscheinung bleiben."

Dringend nötig sei der massive Aufbau von primärqualifizierenden, pflegewissenschaftlichen, pflegepädagogischen und fachbezogenen Pflegestudiengängen sowie v. a. auch die finanzielle Förderung an staatlichen und privaten Hochschulen bzw. Universitäten – Forderungen, die der DPR erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft betont hat.

Die Verantwortungsträger in der Politik blieben lediglich bei Lippenbekenntnissen und Symptombehandlung statt die Profession Pflege wirklich weiterzuentwickeln.

"Wir brauchen berufliche Handlungsautonomie, indem Pflegeselbstverwaltung ohne Wenn und Aber gesetzlich etabliert wird, die Anerkennung der Leistung aller professionell Pflegenden in allen Handlungsfeldern durch angemessene Entlohnung bezahlt wird – hier über Mindestlohn zu diskutieren ist indiskutabel! – und Bildungswege selbstverständlich finanziert werden."

Bedeutung der einzigen universitären Fakultät für Pflegewissenschaft in Deutschland

Die Pflegewissenschaftliche Fakultät an der PTHV ist die einzige an einer deutschen Universität. Ihren Lehrbetrieb hat sie 2006 aufgenommen. Seitdem hat sie sich zu einem profilierten und weithin anerkannten Lehr- und Forschungsstandort etabliert – national wie international.

Zurzeit gibt es insgesamt ca. 300 Studierende in 5 Studienprogrammen.

Auch für pflegewissenschaftliche Promotionen bietet die Fakultät eine der wenigen Möglichkeiten deutschlandweit; sie ist ein Hotspot für den pflegewissenschaftlichen Nachwuchs: Im Wintersemester 2019/2020 waren 66 Promovierende eingeschrieben. 10 weitere Kandidatinnen und Kandidaten standen in den Startlöchern und hätten zum 1. April 2021 beginnen sollen.

Die Hochschule befindet sich seit 2021 in freier Trägerschaft der Ordensgemeinschaft der Pallottiner. Zum Jahresende 2020 hatte sich die Marienhaus Holding aus der Trägerschaft zurückgezogen. Sie hatte die pflegewissenschaftliche Fakultät von Beginn an maßgeblich finanziert. 

Die PTHV erhält außer einem geringfügigen Betriebskostenzuschuss keine Landesmittel und muss sich u. a. über Gesellschafter, Förderer und Studiengebühren finanzieren.

Rückschritt für die Entwicklung der Pflege

Auch der DBfK wertet das Aus der pflegewissenschaftlichen Fakultät als einen Rückschritt. DBfK-Präsidentin Christel Bienstein betonte am Mittwoch:

"Das ist ein herber Schlag für die weitere Entwicklung der Pflegewissenschaft in ganz Deutschland."

Hinsichtlich des Akademisierungsgrads sei Deutschland im internationalen Vergleich schon jetzt ein Entwicklungsland. Deshalb brauche es mehr und nicht weniger Angebote für Pflegewissenschaft. Die neue Landesregierung in Rheinland-Pfalz sowie das Bundesministerien für Bildung, Forschung und Gesundheit müssten "Fördermöglichkeiten zum Erhalt der einzigartigen Fakultät" prüfen.

Der DBfK hat die Pallottiner aufgefordert, ihren Beschluss zu überdenken – wie schon die PTHV-Alumnis in ihrer Stellungnahme am Dienstag.

Bienstein weiter:

"Es ist erklärtes Ziel der Konzertierten Aktion Pflege, die hochschulische Ausbildung zu fördern und pflegewissenschaftliche Erkenntnisse nutzbar zu machen. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie sehr wir auf qualifizierte Pflege angewiesen sind und welchen Beitrag professionelle Pflege leisten kann. Das alles braucht aber eine wissenschaftliche Fundierung. Die Pflegewissenschaftliche Fakultät der PTHV hat dazu wesentliche Beiträge geleistet und sollte dies auch weiter tun können."

Hiobsbotschaft für Pflegeschulen

Der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS) erwartet einen noch größeren Mangel an Pflegepädagogen als bislang sowieso schon vorhanden ist.

BLGS-Vorsitzender Carsten Drude bedauerte am Mittwoch:

"Die Abwicklung der Lehramtsstudiengänge an der PTH Vallendar ist eine Hiobsbotschaft für die Pflegeschulen."

Denn die PTHV kooperierte im Studiengang "Lehramt Pflege an berufsbildenden Schulen" mit der Universität Koblenz. Derzeit studieren noch rd. 100 angehende Lehrende an der PTHV.

Die notwendige Erhöhung der Ausbildungskapazitäten könne unter diesen Entwicklungen nicht bewerkstelligt werden.

Diese prekäre Situation sei allerdings die "unausweichliche Folge des seit Jahren anhaltenden Politikversagens in nahezu allen Bundesländern, die nicht willens und in der Lage sind, für auskömmlich finanzierte Studienplätze in angemessener Qualität und Quantität zu sorgen".

Mahnung an Politik

Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) sprach am Donnerstag von einem "Alarmzeichen für die dringend notwendige Akademisierung der Pflege".

Das Aus für die Pflegewissenschaft in Vallendar v. a. auch eine Mahnung an die Politik, die hochschulische Bildung nachdrücklicher voranzutreiben und zu priorisieren. Eine deutlich verbesserte finanzielle Ausstattung der pflegewissenschaftlichen Forschung und Lehre sei unerlässlich.

Vallendar habe bislang in der Pflegewissenschaft eine echte Leuchtturm-Funktion innegehabt, wichtige Erfahrungswerte gesammelt und in den Akademisierungsprozess einfließen lassen. Es sei kaum absehbar, wann sich neue Hochschulen vergleichbar etabliert haben werden. Die Entwicklung der Profession auf Basis pflegewissenschaftlicher Forschung und Lehre sei um Jahre zurückgeworfen worden.

"Um dies zu verhindern, muss die Politik jetzt Investitionen tätigen, jetzt die Erfahrung etablierter Einrichtungen erhalten, jetzt die Weiterentwicklung der Pflegewissenschaften forcieren."

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