Triage, also die Einteilung von Patienten nach der Schwere ihrer Verletzungen, gehört in Notaufnahmen zum Alltag. Mittlerweile jedoch kommt das Prinzip auch in der Altenpflege zum Einsatz – allerdings in umgekehrter Logik: Nicht Patienten, denen es am schlechtesten geht, haben Vorrang, sondern jene mit möglichst wenig pflegerischem Aufwand. Das zeigen Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz".
Geringerer Pflegebedarf, bessere Chancen auf einen Heimplatz
Die Professorin für Alterswissenschaften an der Hochschule für Gesundheit in Bochum, Tanja Segmüller, beschreibt in der Reportage:
"Das ist auf jeden Fall eine Pflege-Triage, weil die Menschen, die den geringsten Pflegebedarf haben, die größte Chance haben, in einem Heim einen Platz zu bekommen und die, die am dringendsten Pflege bräuchten, die Schwerstpflegebedürftigen, die bleiben auf der Strecke in der Klinik oder werden sogar (…) blutig entlassen nach Hause, ohne Versorgung."
Eine nicht repräsentative Report-Mainz-Umfrage zeigt: Obwohl keine medizinische Notwendigkeit mehr besteht, belegen ältere Patienten bundesweit Betten in Krankenhäusern. 330 von rund 1.600 angefragten Kliniken hätten geantwortet und fast 88 Prozent davon bestätigt, dass Patienten in den vergangenen zwölf Monaten länger als zehn Tage über die medizinische Notwendigkeit hinaus in Kliniken bleiben mussten. Für sie sei nicht rechtzeitig eine Anschlussversorgung, zum Beispiel in einem Pflegeheim, zu finden gewesen.
Wie den Fachpersonalmangel in der Pflege lösen?
Der rheinland-pfälzische Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) verweist auf den Fachkräftemangel in der Pflege, will aber nicht von Pflege-Triage sprechen:
"Ich würde dieses Wort nicht benutzen. Weil ich (…) nicht sehe, dass wir (…) insgesamt schon in der Situation sind. Aber (…) das Thema Fachkräfte ist der Grund, warum Pflegeeinrichtungen sagen, wir müssen schauen, wen wir aufnehmen können und können wir noch jemanden aufnehmen."
Einig sind sich Politik und Pflegeverbände, dass Handlungsbedarf besteht. Aktuelle Umfrageergebnisse des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) bestätigen Befürchtungen: Beruflich Pflegende müssen vor allem während der Nachtschicht in der Langzeitpflege regelmäßig zu viele Personen gleichzeitig versorgen.
Schnelle Lösungen gibt es nicht
Dazu sagt DBfK-Präsidentin Christel Bienstein:
"Die Zahlen zeigen eine erhebliche Belastung der beruflich Pflegenden mit einer viel zu hohen Zahl von Bewohner:innen, um die sie sich nachts kümmern müssen. Manche schreiben, dass es mehr als hundert seien. So kann man niemandem gerecht werden, geschweige denn gut und sicher pflegen."
Der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, sagt gegenüber "Report Mainz":
"Das ganze System wird immer schwächer. Hier ist jetzt einfach die Zeit, dass man in einer konzertierten Aktion anfasst und nicht nur politische Erklärungen abgibt, nicht nur Modelle macht, sondern wirklich die Ursachen ermittelt und in Form einer Schnellhilfe einfach eingreift, bevor das Schiff absäuft."
Minister Schweitzer geht hingegen nicht davon aus, kurzfristige Lösungen zu finden. Es sei eine Illusion zu glauben, nur ein Schalter sei umzulegen und alles werde gut. Rheinland-Pfalz setze auf eine Fachkräfteinitiative. Gute Pflege sei nur dort zu erbringen, wo gut ausgebildetes Fachpersonal arbeite. Dazu gehörten attraktive Arbeitsbedingungen, eine moderne Pflegeausbildung und Entwicklungsmöglichkeiten für Pflegepersonal.