Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat den Ampelfraktionen Eckpunkte für die Einführung eines Pflegepersonalbemessungsinstruments auf Grundlage der PPR 2.0 zukommen lassen. Mit dem 2-seitigen Papier, das BibliomedPflege vorliegt, will Lauterbach das Pflegepersonal im Krankenhaus entlasten. Kliniken müssen mit Sanktionen rechnen, wenn sie die Vorgaben nicht erfüllen.
Auf Twitter verdeutlichte der SPD-Politiker am Donnerstag:
Wir werden per Gesetz gegen die Überlastung der Pflege vorgehen. Der Standard guter Pflege und tatsächliches Personal werden verglichen. Die Krankenhäuser werden Sanktionen erleben, die die Lücke nicht schließen. Ich danke @_verdi dafür, dass sie diesen Weg mitgehen pic.twitter.com/BjFvTrNCwY
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) July 7, 2022
Geplant ist eine 3-stufige Einführung des Bemessungsinstruments:
- Erprobungsphase ab 1. Januar 2023
Pilotverfahren zur Erprobung der PPR 2.0 und der Kinder-PPR 2.0 von mind. 3 Monaten unter "verpflichtender Beteiligung einer repräsentativen Auswahl von Krankenhäusern" - Einführungsphase ab 1. Januar 2024
Verpflichtende Anwendung der Personalregelung
Wenn für eine Klinik allerdings tarifvertragliche oder anders vertraglich getroffene Vereinbarungen zur Entlastung des Pflegepersonals vorliegen, dann sollen die Kliniken das neue Instrument nicht anwenden müssen. - Konvergenzphase ab 1. Januar 2025
Festlegung eines von allen Krankenhäusern zu erreichenden Umsetzungsgrads der Pflegepersonalregelung, danach stufenweise Anhebung mit dem Ziel des Personalaufbaus.
DBfK fordert eigenes Institut für die Personalbemessung in der Pflege
Für den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) ist jetzt v. a. eine "richtige Umsetzung" wichtig. Dazu gehöre, "dass es ambitionierte, aber realistische Ziele für den Personalaufbau gibt", sagte DBfK-Präsidentin Christel Bienstein am Freitag und betonte:
"Die PPR 2.0 muss verbindlich umgesetzt und kontinuierlich pflegewissenschaftlich begleitet werden, um neue Erkenntnisse sinnvoll in das Instrument überführen zu können. Damit das gelingt, braucht es ein eigenes Institut für die Personalbemessung in der Pflege, das öffentlich finanziert wird."
Bienstein äußerte sich überzeugt, dass die PPR 2.0 das Potenzial habe, mittelfristig die Situation in den Krankenhäusern und damit die Versorgungsqualität zu verbessern.
Gleichwohl hätte die Regierung schon längst weiter sein können mit den Umsetzungsplänen, so Bienstein. Denn bereits seit über 2 Jahren liege der Vorschlag, den der Deutsche Pflegerat (DPR), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Gewerkschaft Verdi miteinander abgestimmt haben, dem Ministerium vor.
DPR: Auf alle Pflegesettings im Krankenhaus ausweiten
Der DPR sieht ein "bedeutsames Versprechen des Koalitionsvertrags eingelöst". Wie der DBfK fordert auch der Pflegerat, über ein neu zu schaffendes Institut die weitere Entwicklung zu begleiten. Denn PPR 2.0 und Kinder-PPR 2.0 seien als Startpunkt für die Pflegepersonalbedarfsermittlung zu sehen. Langfristig seien sie – gestützt auf Qualitätsvorgaben – als lernende Systeme zu etablieren und auf alle Pflegesettings im Krankenhaus auszuweiten.
Diese Ziele könnten jedoch nur erreicht werden, wenn bereits im jetzt folgenden Gesetzgebungsverfahren die noch vorhandenen ungeregelten Lücken geschlossen würden. Dazu gehöre z. B. von Beginn an die Integration der Intensivstationen mittels INPULS in die PPR 2.0.
Pflegepersonaluntergrenzen "dringend" beibehalten
Weiter müsse ein "echter Abgleich" der IST- mit der SOLL-Besetzung erfolgen – "und zwar auf der Stationsebene und mit mehrmaligen Meldungen pro Jahr".
DPR-Präsidentin Christine Vogler empfiehlt zudem "dringend", die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung in der Einführungs- und Konvergenzphase der PPR 2.0 beizubehalten. Denn die PPUG werden in dem Eckpunkte-Papier nicht erwähnt.
Ferner fordert sie, mit ihrem Gremium in alle weiteren Umsetzungsschritte eingebunden zu werden.
"Nur so kann das Versprechen der Politik eingelöst werden, der Profession Pflege auf Augenhöhe zu begegnen und die Rahmenbedingungen für diese tatsächlich zu verbessern."
Zeitplan zu großzügig geplant: Mai äußert "tiefe Besorgnis"
Der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, Markus Mai, spricht von einer "langen und schwierigen Wegstrecke". Der anvisierte Zeitplan werde dabei "der akuten Situation in den Einrichtungen vor Ort absolut nicht gerecht".
Mai sagte am Freitag:
"Es erfüllt mich mit tiefer Besorgnis, dass wir im Bereich der pflegerischen Versorgung den Notfallknopf offensichtlich noch immer nicht gedrückt haben, obwohl laut um Hilfe geschrien wird."
Problematisch sieht der Kammerpräsident die Möglichkeit, eine entsprechende Pflegepersonalregelung aushebeln zu können – etwa über eine nicht näher definierte "Vereinbarung zur Entlastung des Pflegepersonals". Solche Vereinbarungen sollten laut Mai nur dann Wirkung entfalten, wenn sie besser seien als die in der PPR 2.0 vorgesehenen Regelungen.
DKG findet angekündigte Sanktionen "unpassend"
Auch die DKG hält diesen Punkt für noch "deutlich erklärungsbedürftig". "Unpassend" sei auch die sofortige Ankündigung von Sanktionen.
DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß sagte am Donnerstag:
"Es wäre klug, zunächst einmal den Stand der Pflegepersonalausstattung in den verschiedenen Kliniken zu evaluieren und sich dann darüber zu verständigen, wie die Personalausstattung dort, wo sie unzureichend sein sollte, verbessert werden kann."
Verdi: Nachhaltige Lösung für die Entlastung der Beschäftigten
Für Verdi ist das Eckpunktepapier "jetzt genau das richtige Signal an die Beschäftigten in der Krankenhauspflege".
Nach Jahren andauernder hoher Belastung und extremer Anstrengungen in der Corona-Pandemie zeichne sich endlich eine nachhaltige Lösung für die Entlastung der Beschäftigten ab.
Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte:
"Minister Lauterbach macht damit klar, dass er die strukturelle Personalnot in den Kliniken ernsthaft angehen will."
Lauterbach hatte sein Vorhaben erstmals vor 2 Wochen vor der Gesundheitsministerkonferenz in Magdeburg angekündigt.