8 Wochen nach der Landtagswahl haben Grüne und CDU in Baden-Württemberg auf getrennten Parteitagen am Wochenende dem Koalitionsvertrag für eine Neuauflage ihrer Zusammenarbeit zugestimmt. Darin enthalten: der Aufbau einer Pflegekammer im Land.
Im Koalitionsvertrag heißt es dazu:
"Wir werden uns (…) mit Nachdruck dafür einsetzen, mit der Einführung der Pflegekammer die Selbstverwaltung der Pflegekräfte und das Berufsbild insgesamt zu stärken."
Die Vorsitzende des Landespflegerats Baden-Württemberg und Vorsitzende des Regionalverbands Südwest des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), Andrea Kiefer, sagte dazu am Dienstag in einem Pressegespräch:
"Die künftige Landesregierung hat erkannt, dass Pflege immer noch zu wenig Beachtung in den relevanten Entscheidungsgremien findet. Pflege nach Corona wird eine andere sein als zuvor. Wir werden zeitnah das Gespräch mit den gesundheitspolitisch Verantwortlichen suchen, um zügig die Pflegekammer gesetzlich geregelt zu bekommen."
Zwar habe die Entwicklung einer Pflegekammer im Land im vergangenen Jahr einen herben Dämpfer erhalten. Doch Kiefer ist "sehr optimistisch", dass noch in der ersten Phase der neuen Legislaturperiode die notwendigen Änderungen am Heilberufekammergesetz – die Pflegeberufe müssen in dieses Gesetz aufgenommen werden – vom Landtag verabschiedet werden und damit der Weg für die Gründung der Pflegekammer frei ist.
"Die Vorarbeiten sind geleistet, der Entwurf für das Heilberufekammergesetz ist erarbeitet."
Wenn alles glatt laufe, könne das Gesetz 2022 verabschiedet werden. Der dann von der Landesregierung berufene Gründungsausschuss hätte dann ca. 1,5 Jahre Zeit, die notwendigen Kammerstrukturen aufzubauen, Pflegende im Land zu registrieren und die ersten Kammerwahlen durchzuführen.
Ab spätestens 2024 könnte Pflegekammer Arbeit aufnehmen
Spätestens 2024 sei die Kammergründung "in trockenen Tüchern" und die eigentliche Arbeit des Gremiums könne beginnen.
Allerdings stellt Kiefer auch Forderungen an die Politik:
"Wir erwarten eine ausreichende Anschubfinanzierung, um notwendige Strukturen sauber aufbauen zu können."
Ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen seien dafür rd. 5 Mio. Euro nötig. Nur dann könne der Aufbau der Kammer gut, fundiert und ohne Druck erfolgen.
Bis dahin sei es Aufgabe des Landespflegerats und weiterer Pflegeverbände, klar und deutlich sowohl an die Pflegefachpersonen als auch an die übrige Bevölkerung im Land zu kommunizieren, wie wichtig eine rechtlich legitimierte Interessenvertretung für die Pflege sei, welche Aufgabe diese habe und was sie von Gewerkschaften und Pflegeverbänden unterscheide.
Politik und Gesellschaft müssen erkennen, wie wichtig professionelle Pflege ist
Denn in der Vergangenheit standen zu oft die Kammergegner statt die Kammerbefürworter im Fokus der Öffentlichkeit, ergänzte das Vorstandsmitglied des Bundesverbands Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS) Baden-Württemberg, Bettina Schiffer. Dadurch sei bei vielen ein falsches Bild über die Bedeutung von Pflegekammern entstanden.
Die Profession Pflege verfüge über umfangreiche Kompetenzen, die aktuell jedoch oft ungenutzt blieben. Dies sei nicht nachvollziehbar angesichts der enormen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik deutschlandweit.
"Die Pflegekammer ist eine Lösung für die Herausforderungen der Pflegepolitik. Dazu gehört zwingend die Übertragung von Verantwortungsfeldern auf die Pflege damit das System nicht kollabiert. Außerdem gibt es keine Alternative zur Pflegekammer, wenn wir die gleichen Rechte haben wollen, wie andere Heilberufe."
Allerdings brauche es in erster Linie auch das politische und gesellschaftliche Verständnis, dass Pflege wichtig ist und eigenständige Mitspracherechte braucht. Die Gründung einer Pflegekammer allein in die Verantwortung von Pflegenden zu legen, sei dabei zu kurz gedacht.
"Die Gründung der Pflegekammer ist dem Gemeinwohl und dem öffentlichen Interesse verpflichtet, nicht berufspolitischen Interessen."
Das Mitglied der Arbeitsgruppe "Infokampagne Pflegeberufekammer in Baden-Württemberg", Tilmann Müller-Wolff, sieht eine entscheidende Aufgabe von Pflegekammern im Schutz von Patientinnen, Patienten und Pflegebedürftigen.
"Was definiert sachgerechte Pflege? Diese Antwort muss von den Pflegenden selbst kommen. Und wir müssen regionale Pflegebedarfe einschätzen können. Nicht alle Landstriche sind gleich. Wir wissen gar nicht, wo genau wir wie viele Pflegende brauchen."
Derzeit gebe es keine pflegerische Instanz im Land, die definiere, wie eine pflegerische Fehlversorgung vermieden, Mangelversorgung aufgedeckt und Pflegequalität nachhaltig entwickelt werden könne. All das könne aber eine Pflegekammer leisten.