Wenn selbst kleine Aufgaben überfordern, stellt sich die Frage: Ist es bloß kurzzeitige Erschöpfung – oder schon Burnout? Oder gar eine Depression? Was Pflegekräfte wissen sollten, um Warnsignale rechtzeitig zu erkennen.
Folgende Beschreibung bezieht sich nicht auf eine bestimmte Person – aber sie könnte viele Pflegekräfte betreffen: Jeder Gang wird schwerer. Allein der Gedanke daran, jetzt noch die Medikamente richten zu müssen – ermüdend. Die Dokumentation ist auch noch nicht erledigt. Und nachher das Teamgespräch mit der Pflegeleitung, wie soll sie das schaffen? Und ändern wird sich doch ohnehin nichts, in diesem Haus, ach, im ganzen System.
Und dann schleichen sich Fragen ein: Wo kommen diese Gedanken her? Und: War sie schon immer so? So schnell erschöpft, so antriebslos, so zynisch? Wo ist die Kraft hin? Die Begeisterung, mit der sie in den Beruf gestartet war? Ist es nur die beginnende dunkle Jahreszeit, die sie herunterzieht? Oder ist sie etwa – ausgebrannt?
Hochrisikoberuf Pflege
Die Pflege gilt als Hochrisikoberuf für psychische Erschöpfung: Laut dem Fehlzeiten-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) stieg die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen in der Pflege zuletzt auf durchschnittlich 6,2 Tage je AOK-Mitglied – deutlich über dem Schnitt aller Berufe, der bei 3,4 Tagen liegt.
Bezeichnenderweise wurde das Beschwerdebild eines Burnouts erstmals unter Pflegenden festgestellt, und zwar in den 1970er-Jahren: Menschen in helfenden Berufen schienen besonders schnell ihre Kräfte zu verlieren, eine Erschöpfung zu entwickeln – "auszubrennen".
Genau genommen gibt es den Begriff Burnout als offizielle Diagnose nicht, sagt die Psychotherapeutin und Autorin Barbara Günther-Haug ("Depressionen fallen nicht vom Himmel", 2024). Auch die Stiftung Deutsche Depressionshilfe warnt davor, Begriffe wie Stress, Burnout und Depression undifferenziert zu vermengen.
Burnout als typisches Arbeitssyndrom
In der ICD-10 (internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme; International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) wurde Burnout unter dem Code Z73.0 als "Ausgebranntsein" geführt – als reine klassifikatorische Angabe, nicht als eigenständiger Krankheitszustand. In der ICD-11, die auch in Deutschland schrittweise eingeführt wird, gilt Burnout als Syndrom infolge chronischen, nicht bewältigten Stresses am Arbeitsplatz. Es wird damit klar von anderen Lebenskrisen – etwa Trauer oder Liebeskummer – abgegrenzt.
Als Hauptmerkmale für die Zusatzdiagnose eines Burnouts gelten nach ICD-11:
- Gefühle von Energieverlust oder Erschöpfung am Arbeitsplatz
Müde, antriebslos, niedergeschlagen – so beschreiben sich Menschen mit einem Burnout. Auch körperliche Beschwerden können dazu kommen, etwa Schlafstörungen oder Probleme des Verdauungstrakts. - Erhöhte Distanz zur Arbeit, zynische oder negative Gedanken
Burnout-Betroffene empfinden ihren Berufsalltag als Last, entwickeln Frust, mitunter auch Verbitterung. Gegenüber Kolleginnen, Kollegen, aber auch gegenüber Patientinnen und Patienten stumpfen sie ab, werden zynisch. Sie verlieren ihre Empathie, ihr Einfühlungsvermögen. - Verminderte berufliche Leistungsfähigkeit
Die Konzentration lässt nach, die Betroffenen haben Schwierigkeiten, sich Details zu merken oder an verabredete Termine zu denken. Auch Entscheidungen fallen ihnen schwerer, zudem schwindet die Kreativität. Früher sprudelten die Ideen für die kommende Team-Weihnachtsfeier – jetzt ist da nur Leere.
Burnout oder Depression?
Wie können Pflegekräfte feststellen, ob sie von einem Burnout betroffen, einfach nur kurzzeitig müde sind – oder ob sich dahinter eine tiefere psychische Erkrankung verbirgt? Zunächst ist wichtig zu wissen: Ein Burnout wird häufig in Verbindung mit einer Depression festgestellt. Diese Erkrankung gilt in einem solchen Fall als Hauptdiagnose – und muss therapeutisch behandelt werden.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe betont klar, dass typische Anzeichen eines Burnouts – etwa Erschöpfung, Überforderung oder Schlafstörungen – auch im Rahmen depressiver Erkrankungen auftreten können. Ein Großteil der Menschen, die wegen Burnout eine längere Auszeit nehmen, leide "de facto an einer depressiven Erkrankung", so die Stiftung in einem Statement.
Aber: Die Beschwerden eines Burnouts treffen nicht auf jeden Menschen mit einer Depression zu. Entscheidend ist auch, ob die Symptome überwiegend arbeitsbezogen sind oder alle Lebensbereiche betreffen.
Warnstufen nach Freudenberger & North
Klar ist: Es braucht einen aufmerksamen Blick auf die Symptome. Die US-Psychologen Herbert Freudenberger und Gail North beschrieben in den 1990er-Jahren, wie Burnout sich schleichend, fast unbemerkt entwickeln kann. Auch wenn die moderne Forschung differenzierter zwischen Stress, Erschöpfung und Depression unterscheidet, veranschaulichen ihre zwölf Phasen bis heute, wie sich Überforderung allmählich verselbstständigen kann.
Ihre Stufen im Überblick:
- Großer Zwang, sich zu beweisen: Die Arbeit begeistert einen, die an sich selbst gestellten Erwartungen sind hoch.
- Verstärkter Einsatz: Neue Aufgaben werden gern übernommen, Überstunden gemacht, Einsatz auch an freien Tagen.
- Erste eigene Bedürfnisse werden vernachlässigt, Grenzen überschritten. Erhöhter Kaffeekonsum, erste Schlafstörungen.
- Fehler passieren vermehrt: Termine werden vergessen, Aufgaben nicht erledigt. Die Energie lässt nach, erstes Gefühl von Schwäche.
- Abstumpfung. Die Probleme wirken sich auch auf das Private aus: Freundschaften oder die Partnerschaft werden vernachlässigt.
- Leugnung der Probleme, innerer Widerstand, zur Arbeit zu gehen, vermehrte Fehlzeiten.
- Rückzug, Hilflosigkeit, Leere, psychosomatische Reaktionen wie Herzklopfen, Gewichtsverlust.
- Soziales Leben verflacht weiter, Einsamkeit, Selbstmitleid.
- Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit, automatisches Funktionieren, körperliche Symptome nehmen zu.
- Ängste, Panikattacken, Phobien können auftreten.
- Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung, Wunsch nur noch zu schlafen, Verzweiflung.
- Völlige Burnout-Erschöpfung: geistig, körperlich, emotional.
Spätestens ab Stufe 4 sollten Pflegende gegensteuern – durch Supervision, Pausen, Gespräche. Ab Stufe 9 ist therapeutische Unterstützung dringend angeraten.
Was spricht nicht für Burnout?
Nicht jede Müdigkeit ist gleich ein Burnout. Vorübergehende Erschöpfung entsteht oft durch Schichtarbeit, Schlafmangel oder Dauerbelastung – sie bessert sich in der Regel nach ausreichender Ruhe, Schlaf oder Urlaub. Wer sich dann erholt fühlt, Freude empfindet und abschalten kann, hat seine Kräfte nur vorübergehend überstrapaziert.
Ein Burnout dagegen entwickelt sich schleichend über Wochen oder Monate. Die Erschöpfung bleibt. Hinzu kommen Zynismus, innere Leere und ein deutlicher Leistungsabfall. "Wie ein leergepumpter Brunnen in einem ausgedörrten Land", formuliert es die Psychotherapeutin Barbara Günther-Haug. Der Bezug zur Arbeit ist dabei zentral: Sie wird zur Last – obwohl sie doch einst Erfüllung war.
Risiko für einen Burnoput im Selbsttest ermitteln
Ein erster Anhaltspunkt kann ein Selbsttest sein, wie ihn etwa die Schön-Kliniken oder die München Klinik anbieten.