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Personalmangel in Heimen

"Wir müssen in den kommenden drei Jahren das Ruder rumreißen, sonst sehe ich schwarz"

Pflegeheime befürchten, die Verlierer der großen Pflegereformgesetze zu werden. Das ist eines der zentralen Ergebnisse des aktuellen Pflege-Thermometers. Der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, sagt im Interview, was Heime jetzt selbst dagegen tun können.

Herr Wagner, die Ergebnisse des Pflege-Thermometers 2018 sind alarmierend. Der Studie zufolge müssen bereits 22 Prozent der Pflegeheime wegen Personalmangel zeitweilig Aufnahmestopps verhängen. Wie können hier Heime selbst gegensteuern?

Der Mangel wurde von uns lange prognostiziert. Die geringe Personalausstattung ist natürlich grundsätzlich ein großes Manko. Da müssen Politik und Kostenträger handeln. Angesichts des Personalmangels gibt es einen Wettbewerb um gutes Personal. Deshalb müssen sich die Einrichtungsträger überlegen, wie sie jetzt am besten damit umgehen. Jeder Heimträger muss nun überlegen, was er zu bieten hat, was ihn als Arbeitgeber attraktiv macht. Eine große Rolle spielen die Arbeitsbedingungen. Wie ist das Arbeitsklima in einer Einrichtung? Wie zuverlässig sind die Diensteinteilungen? Welche Angebote gibt es, um Familie und Beruf zu vereinen? Welche Förder- und Entwicklungsmöglichkeiten im Beruf werden angeboten? Auf diese Fragen sollten Heime eine gute Antwort haben. Aber auch ein Blick auf die Führung ist ratsam. Wie kompetent ist die Führung? Trägt sie dazu bei, dass die Menschen gerne in der Einrichtung arbeiten?

Spielt eine bessere Entlohnung der Pflegenden nicht auch eine Rolle?

Durchaus, wobei das nicht der wichtigste Punkt ist. Aber eine bessere Bezahlung ist natürlich ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Vor allem die Ungleichheit zwischen Akut- und Langzeitpflege, aber auch regional, muss nivelliert werden. Und nicht tarifgebundene Einrichtungen müssen schauen, wie sie sich hier aufstellen wollen und wie sie in den Wettbewerb mit anderen Heimen treten. Wichtig ist aber noch ein anderer Aspekt.

Nämlich?

Heime müssen sich nicht nur um die Pflegenden kümmern, die sie beschäftigen und halten wollen. Sondern sie müssen sich auch verstärkt in Sachen Ausbildung engagieren. Eine attraktive Ausbildung ist die beste Voraussetzung dafür, nach Ausbildungsende einen neuen Arbeitnehmer zu finden. Attraktiv ist eine Ausbildung, die den Aspekt Bildung in den Vordergrund stellt. Also die Lernenden nicht als billige Arbeitskräfte sieht, sondern sie in ihrer beruflichen Entwicklung fördert. Dazu gehört auch eine gute Praxisanleitung. Jungen Menschen, die die hochschulische Ausbildung beschreiten, könnten Heime einen vergüteten Praktikumsplatz anbieten. Denn jene, die an der Hochschule ihre Ausbildung absolvieren, erhalten eventuell Bafög, aber laut Gesetz keine Praktikumsvergütung.

Die Studie bestätigt zudem dass Pflegende unter weiter steigendem Druck arbeiten. Keine guten Aussichten, um Menschen für den Beruf zu begeistern. Wie lässt sich aktuell überhaupt noch Personal gewinnen?

Jetzt muss ganz anders gegengesteuert werden, als in der Vergangenheit immer versucht wurde. Als erstes brauchen wir mehr Personal. Das klingt zunächst paradox, weil wir die vorhandenen Stellen schon nicht mehr besetzen können und dann fordern wir als Deutscher Pflegerat auch noch 50.000 zusätzliche Stellen in der ambulanten und stationären Langzeitpflege. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir bislang nicht genutztes Potenzial haben - und zwar bei den zahlreichen Pflegenden, die in Teilzeit arbeiten, und bei jenen, die in der Pflege zwar ausgebildet sind, dort aber unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr arbeiten wollen. Diese Menschen arbeiten aber nur dann wieder in der Pflege oder mit einem höheren Stundenanteil, wenn sich die Arbeitsbedingungen spürbar verbessern. Für diese spürbaren Verbesserungen brauchen wir unbedingt und unausweichlich mehr Personal. Nur dann wird die Arbeitsbelastung für jede einzelne Pflegefachperson geringer, nur dann werden die Kollegen nicht ständig aus ihrem Frei gerufen. Die einzelnen Aspekte spielen alle ineinander.

All das kostet Geld.

Natürlich. Wenn man das nicht investiert, werden die Einrichtungen weder bestehendes Personal halten, geschweige denn neues hinzugewinnen. Mit einem Mehr an Investitionen steht und fällt unser gesamtes Pflegesystem. Das muss die Politik endlich anerkennen. Sonst verpuffen auch Vorschläge, wie sie jüngst Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gemacht hat.

Wie meinen Sie das?

Fachkräfte aus unseren Nachbarländern zu akquirieren, wird nicht viel bringen. Der Trend geht in die entgegengesetzte Richtung: Deutsche Pflegende gehen in die Nachbarländer, weil dort die Arbeitsbedingungen viel besser sind. Menschen aus der Slowakei, Ungarn, Polen oder Tschechien gehen nicht nach Deutschland, sondern in die Schweiz, nach Österreich oder in die Niederlande. Wer Deutsch als Fremdsprache lernen muss, der kann genauso Norwegisch lernen und hat damit noch viel attraktivere Arbeitsbedingungen in Aussicht. Wenn wir durch bessere Arbeitsbedingungen als Beruf nicht wettbewerbsfähiger werden – auch international – dann verpuffen alle bisherigen Bemühungen im Nichts.

Der Fachkräftemangel ist seit Jahren Thema in der Pflege. Treten wir auf der Stelle?

Wir kommen in der Tat nur sehr langsam vorwärts. Seit mehr als 15 Jahren hat die Politik unsere Warnungen weitgehend ignoriert. Es gab zwar Sonderprogramme, aber keine strukturellen Veränderungen. Dabei wissen wir seit langem, wie prekär sich die Situation in der Pflege bis 2030 oder 2050 entwickeln wird. Die Politik hat hier bisher eher defensiv reagiert. Schnellrezepte wurden angepriesen und über abgesenkte Fachkraftquoten sowie Zugangsvoraussetzungen diskutiert. Die Politik hat die Situation nicht ernst genug genommen und sich auch wenig Gedanken gemacht, was es für die Versorgungsqualität heißt, wenn nicht mehr genügend Fachpersonal vorhanden ist. Jetzt kommt plötzlich Panik auf, weil es Aufnahmestopps und Wartelisten gibt. Angehörige haben in den meisten Fällen kein halbes Jahr Zeit, um auf einen Heimplatz oder eine Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst zu warten, sondern brauchen von heute auf morgen konkrete Unterstützung, etwa weil ein Angehöriger gestürzt ist und anschließend nicht mehr zu Hause leben kann. Derzeit brennt es also wirklich. Doch selbst jetzt merkt man noch, wie schwer sich alle Beteiligten tun.

Können Sie das konkretisieren?

Seit vielen Jahren fordert der Deutsche Pflegerat, dass die Behandlungspflege in der stationären Versorgung gesondert vergütet werden muss. Die jetzt im Koalitionsvertrag vorgesehenen 8.000 Stellen sind natürlich nur ein Klacks angesichts von 13.500 Heimen hierzulande. Auch das Personalbemessungsverfahren wird sich noch bis 2020 hinziehen. Ob es dann gut ist und ob es dann auch verbindlich umgesetzt wird, steht noch in den Sternen. Der Bedarf an pflegerischer Versorgung steigt demographisch bedingt kontinuierlich. Wenn die Politik diesen Ansatz von bedarfsgesteuerter Personalbemessung tatsächlich ernst meint und es wirklich zu besseren Stellenplänen käme, wäre die Konsequenz bei fehlendem Personal, dass vermutlich komplette Wohnbereiche geschlossen werden müssten. Es ginge um die Entscheidung zwischen schlechter Versorgung für alle oder guter Versorgung für einen großen Teil der Bevölkerung. Wir müssen also massiv in den Aufbau von Pflegefachpersonal investieren. Ich habe manchmal den Eindruck, diese Dramatik der Lage ist immer noch nicht voll erkannt. Ich erwarte von der aktuellen Bundesregierung, dass sie jetzt tatsächlich ganz konkrete Schritte unternimmt. In unserem Masterplan skizzieren wir bereits, dass vielfältig investiert werden muss. Wir müssen in den kommenden drei Jahren das Ruder rumreißen, sonst sehe ich schwarz.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Wagner.

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