Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lädt gemeinsam mit seinem CDU/CSU-Kollegen zu einer Pressekonferenz – und erscheint dann nicht. Die SPD streitet über die Reform der Pflegeausbildung.
Es roch nach plötzlicher Einigung am Dienstagnachmittag. Um 16 Uhr 25 erreichte die Berliner Hauptstadtpresse eine Einladung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf die Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes für 17 Uhr. Ein gemeinsames Pressestatement der beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, Georg Nüsslein und Karl Lauterbach, war angesetzt. Thema: das Pflegeberufereformgesetz, das seit Monaten im parlamentarischen Verfahren festhängt. Die Bundesregierung will unter Federführung der Kabinettsmitglieder Hermann Gröhe (CDU, Gesundheit) und Manuala Schwesig (SPD, Familie) die drei bisherigen Ausbildungswege in der Gesundheits- und Kranken-, Gesundheits- und Kinderkranken- sowie der Altenpflege zu einem einzigen generalistischen Berufsbild verschmelzen. Allerdings gibt es in der CDU/CSU-Fraktion dagegen heftigen Widerstand. Das parlamentarische Verfahren stockt. Dagegen pocht insbesondere der Deutsche Pflegerat auf eine solche Reform.
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Pflegepolitik
Bisher scheiterten sämtliche Kompromissvorschläge der zurückliegenden Wochen. Nun also die gemeinsame Pressekonferenz. Hatten sich die Koalitionsparteien nach monatelangem Streit etwa geeinigt? Zur Verblüffung der geladenen Journalisten erschien dann doch nur der Unionsvertreter auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes. SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach stecke noch in der eigenen Fraktion fest, hieß es. Unionsvize Nüsslein zelebrierte den internen Streit des Koalitionspartners mit den Worten: „In der SPD sind sie wohl noch kräftig am diskutieren über den Kompromiss, den wir heute Mittag gefunden haben.“ Er präsentierte die Einigung deshalb als Solovorstellung. „Als wir hier heute gemeinsam eingeladen haben, dachte ich, Kollege Lauterbach hat Prokura von seiner Partei.“
Doch von dem Angesprochenen keine Spur, er schlich sich kurz nach der Pressekonferenz fast unscheinbar aus dem gegenüberliegenden SPD-Fraktionsaal heraus. „Die Fraktion hat Herrn Lauterbach gestoppt“, sagte der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Edgar Franke, im Anschluss im Gespräch mit BibliomedPflege. Den Generalistik-Befürwortern droht damit erneut eine herbe Schlappe. Steht die Reform nun gar vor dem endgültigen Aus?
Es gibt Hoffnung, denn neben Lauterbach gibt es auch in der SPD-Fraktion Befürworter. Ausschusschef Franke etwa lobt den ausgehandelten Kompromiss. Dieser sieht vor, dass die Gesundheits- und Krankenpflege künftig abgeschafft und durch eine generalistische Ausbildung ersetzt wird. Die Altenpflege sowie die Gesundheits- und Kinderkrankenpflege bleiben erhalten, in den ersten beiden Jahren wird dort aber ebenfalls generalistisch ausgebildet. Nach zwei Jahren können sich die Auszubildenden entscheiden, ob sie im dritten Jahr einen generalistischen Abschluss anstreben oder sich direkt für die Alten- oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege qualifizieren lassen wollen. Vor der Entscheidung steht nach zwei Jahren eine Prüfung, wer diese besteht, ist bereits als Pflegeassistent qualifiziert.
Nüsslein zufolge kämen damit die Nachteile der Generalistik nicht zum Tragen. So bleibe es dabei, dass auch Hauptschüler die Anforderungen einer Pflegeausbildung erfüllen könnten. Insbesondere die Altenpflege stellt für viele Hauptschüler heute eine Alternative zur Krankenpflege dar, für die sich immer stärker vor allem Abiturienten bewerben. Außerdem könnten die kleineren Altenpflegeschulen erhalten bleiben. Nach sechs Jahren werde die Reform evaluiert. „Die Union hat sich weit bewegt“, erklärte Nüsslein. Auch der exponierten Generalistik-Kritiker Erwin Rüddel aus der CDU/CSU-Fraktion lobte den Kompromiss. „Ich begrüße die gefundene Einigung beim Pflegeberufereformgesetz“, äußerte er sich in einer Pressemitteilung.
„Man wollte es allen recht machen“, kommentierte die pflegepolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, Elisabeth Scharfenberg, den Kompromiss. Die Oppositionspolitikerin fügte mit Verweis auf die Wahlmöglichkeiten in der Alten- und Kinderkrankenpflege hinzu: „Das ist nicht viel anders als unser Modell der integrativen Ausbildung.“
Kritisch äußerte sich der Präsident des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus. „Positiv ist die Weiterentwicklung für die Gesundheits- und Krankenpflege. Mit großer Sorge blicke ich aber auf die Alten- und Kinderkrankenpflege, sollte sich dieser Kompromiss durchsetzen“, sagte Westerfellhaus auf Anfrage von BibliomedPflege.
Doch ob der am Dienstagnachmittag um kurz nach 17 Uhr angekündigte Kompromiss kommt, war keine 30 Minuten später schon wieder fraglich, als die SPD-Fraktionssitzung endete. Dort gab es offenkundig großen Widerstand. Familienministerin Schwesig soll nicht bereit sein, den Kompromiss mitzutragen und poche auf einen einheitlichen Abschluss für alle in der Pflege, ist zu hören. Obwohl selbst nicht anwesend, soll sie den Widerstand gegen ihren Genossen Lauterbach organisiert haben. Diesem war die eigene Fraktion schon bei der Debatte über ein Verbot des Versandhandels für Medikamente nicht gefolgt. Der Medienstar der SPD-Gesundheitspolitiker hat sich damit innerhalb kurzer Zeit wiederholt heftig blamiert. Zunehmend dürften sich auch die Gesundheitspolitiker in der Unionsfraktion fragen, wie ernst sie Lauterbach als Gesprächspartner noch nehmen können, offenkundig hat dieser in entscheidenden Fragen kein Verhandlungsmandat seiner Fraktion.
Im Fall des Pflegeberufereformgesetzes liegt dieses wohl eher bei Schwesig. Die bemühe sich seit Monaten, das Thema auf die Tagesordnung des Koalitionsausschusses zu setzen, ist in Berlin zu hören. Dieser tagt am heutigen Mittwochabend, bestehend unter anderem aus den drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Martin Schulz (SPD) und Horst Seehofer (CSU). Nach Informationen von BibliomedPflege wird das Reformgesetz dort aber heute nicht behandelt. Vielen Abgeordneten ginge das gegen den Strich, schließlich strebt Schwesig aus deren Sicht eine Umgehung des Parlaments an, was die Volksvertreter gar nicht mögen.
Will Schwesig tatsächlich die Spitzen der Koalition mit dem Thema beschäftigen, müsste sie wohl ihren Parteivorsitzenden Schulz überzeugen, mit Kanzlerin Merkel über das Thema zu sprechen. Die hat aber wohl schon abgewunken, will das für die Pflege hochemotionale Thema den Fachpolitikern im Bundestag überlassen. Dort stehen nun aber drei sitzungsfreie Wochen an. Die nächste Chance, das Thema in der kompletten Fraktion zu behandeln, eröffnet sich also erst Ende April. Dann stehen bis zur Sommerpause und damit dem Ende der Wahlperiode noch fünf Sitzungswochen an. Der Generalistik läuft allmählich die Zeit davon. Vielleicht war es Lauterbachs Fehler, diese nicht frühzeitig einzubinden. Er agierte eindeutig zu früh, als er die Einigung verkündete.