• 30.04.2020
  • Management
Personalentwicklung

"Führungsfehlverhalten kommt heute teurer zu stehen als zuvor"

Henric Seeboth LL. M. coacht und berät seit fast 20 Jahren Führungs - kräfte im Gesundheitswesen rund um die Themen Führungskräfteentwicklung und Mediation. Im Laufe der Jahre hat der studierte Jurist eines feststellen können: Mehr denn je ist gute Führung heute ein klarer Wettbewerbsvorteil.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 3/2020

Seite 54

In vielen Gesundheitseinrichtungen werden Fachexperten aufgrund ihrer Expertise zu Führungskräften befördert – oft ohne, dass vorab besprochen wird, welche Erwartungen an die neue Position geknüpft sind. In Zeiten von Personalmangel kann das fatale Folgen für ein Team haben. Dabei können einfache Werkzeuge dem vorbeugen. 

Herr Seeboth, warum ist das Thema „Führung“ heute wichtiger denn je?

Ein Fehler im Führungsverhalten war schon immer ärgerlich – sowohl für die Pflege als auch für die Ärzteschaft. Der Unterschied ist aber: Wenn ein Mitarbeitender früher frustriert oder demotiviert war, sich krankmeldete oder ging, dann hatte das nicht so weitreichende Konsequenzen. Man konnte die Stelle einfach nachbesetzen. Das hat sich mittlerweile massiv geändert: Fachkräftemangel und Per­sonalgewinnung sind das Thema Nummer 1. Führungsfehlverhalten kommt heute teuer zu stehen, wenn die ohnehin dünne Decke noch dünner wird und Abteilungen oder Betten geschlossen werden müssen.

Kann man sagen, dass sich die Einstellung notgedrungen geändert hat?

Im Grunde ja. Mit dem Bewusstsein um den Fachkräftemangel im Rücken und den veränderten Ansprüchen, vor allem der jüngeren Mitarbeitenden, kommt jetzt immer öfter die Frage: „Können Sie mir sagen, wie das funktioniert mit dem Thema Führung? Weil ich Leute verliere, weil ich einen hohen Krankenstand habe. Und möglicherweise hat es auch etwas mit mir zu tun.“ Vor 18 Jahren noch saßen sowohl die Pflegenden als auch die Ärztinnen und Ärzte in meinen Workshops und dachten sich: „Soft Skills? Was soll ich hier? Ich würde lieber praktisch arbeiten.“

Ist das ein spezifisches Problem des Gesundheitswesens?

Nein, das ist ein Problem vieler sogenannter Expertenorganisationen, Unternehmen, in denen Menschen mit einer hohen Fachexpertise arbeiten, pflegerisches und ärztliches Personal zum Beispiel. Typisch für Expertenorganisationen ist, dass sich der- oder diejenige mit der höchsten Seniorität und erwiesener fachlicher Erfahrung für den nächsten Karriereschritt anbietet.

Fachexpertise ist doch grundsätzlich nicht schlecht. Wo ist das Problem?

Das Problem ist, dass das Thema Führung bis zu diesem Zeitpunkt für den Experten oder die Expertin weder in der Ausbildung noch im Arbeitsalltag eine Rolle gespielt hat. Und so lässt sich möglicherweise auch erklären, wieso viele Experten auch als Führungskraft nach wie vor am liebsten in ihrem Fach unterwegs sind und Führungsaspekte vernachlässigen. Allerdings gelangen sie dann schnell an einen Punkt, an dem sie merken: Die Automatismen, die bis hier hin gut funktioniert haben, greifen nicht mehr. Und die Erfahrung zeigt: Ausgangspunkt für Konflikte sind viel seltener fachliche Probleme als Verhaltensaspekte. Die Konsequenz ist dann oft ein sehr frustriertes Team.

Wie könnte man dem vorbeugen?

Diejenigen, die über eine Beförderung entscheiden, sollten ein klares Bild davon haben, was sie von ihrer Führungskraft erwarten. Das sollte sich jedoch nicht auf fachliche Anforderungen beschränken. Stattdessen sollten sie definieren, welche Eigenschaften nötig sind, damit jemand Führungsverantwortung übernehmen kann. Das Ergebnis ist dann eine sogenannte Führungslandkarte.

Wie sieht eine Führungslandkarte konkret aus?

Das ist ein einfaches DIN-A4-Blatt, auf dem im ersten Schritt festgehalten wird, welche Hauptverantwortungsbereiche der- oder diejenige aktuell und in vorhersehbarer Zukunft übernehmen soll. Dienstplanung zum Beispiel. Im nächsten Schritt überlegt man dann: Was sind aktuell die Prioritäten? Aktuell deshalb, weil sie natürlich wechseln. Der dritte Schritt ist dann: Woran erkenne ich, dass jeder einzelne Verantwortungsbereich sehr gut erledigt wird? Eine Konkretisierung also. An der Stelle muss man aber aufpassen, dass man nicht Ziele mit Maßnahmen verwechselt.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir das Beispiel Dienstplanung. Das ist ein Hauptverantwortungsbereich. Aber die Aufgabe der Stationsleitung ist nicht nur die Planung. Man sollte sich deshalb auch Gedanken dazu machen: Was ist das angestrebte Ziel? Welche Zustände möchte ich eigentlich erreichen, damit ich sagen kann: „Dieser Bereich wird exzellent erledigt.“ Das wäre zum Beispiel ein Dienstplan, der auch die Tiefen und Spitzen abdeckt, der dafür sorgt, dass es einen ausreichend großen Pool gibt. Das wäre die Konkretisierung.

Damit wäre die Fachlichkeit definiert. Und nun?

Dann kommt ein ganz wichtiger Teil: Die Landkarte hat noch einen Seitenstreifen, der sich mit dem Verhalten beschäftigt: Welche Erwartungen habe ich an die Zusammenarbeit, was ist mir im Umgang wichtig? Das ist die soziale Komponente, zum Beispiel respektvoller und wertschätzender Umgang, konstruktiv zu sein. Konflikte mit den Konfliktpartnern zu lösen, also nicht über Bande zu spielen.

Respektvoll, wertschätzend, konstruktiv. Das würde wohl jeder erst mal unterschreiben. Warum sollte man das festhalten?

Das ist ein wichtiger Punkt. Denn mit allgemeinen Aussagen sollte man sich nicht zufrieden geben. Stattdessen sollte man ganz konkret überlegen: Was heißt Respekt eigentlich? Was ist wertschätzendes Miteinander? Da hat zwar jeder ein Bild vor Augen, aber es bleiben auch viele Sachen unausgesprochen. Und genau die können später zu Hindernissen werden, sodass Enttäuschungen vorprogrammiert sind: „Da hätte ich gedacht, dass wir das Gleiche meinen.“ Oder: „ Dass wir über sowas jetzt sprechen müssen.“ Wir sind alle unterschiedlich sozialisiert. Das darf man nicht vergessen.

Wenn die Führungslandkarte ausgefüllt ist: Was macht man dann damit?

Bevor ein Bewerbungs- oder Beförderungsgespräch ansteht, sollte man den Kandidaten oder die Kandidatin einladen, genau die gleichen Fragen für sich selbst zu beantworten. So können Sie als Vorgesetzte herausfinden, ob Sie beide unterschiedliche Erwartungen an die Stelle haben. Die Idee dahinter ist, am Ende des Gesprächs eine gemeinsame Vorstellung von dem anstehenden Führungsauftrag zu haben. Eine Synchronisation der Erwartungshaltungen.

Angenommen die Landkarte steht, im Gespräch finden beide Gesprächspartner jedoch heraus, dass die Kandidatin oder der Kandidat nicht alle Bereiche zu 100 Prozent erfüllt. Was dann?

Die eierlegende Wollmilchsau zu finden, ist schwierig. Wenn man aber im Gespräch feststellt, dass Erfahrung in einem Bereich oder für die Zusammenarbeit nötige Einstellungen und Haltungen fehlen, kann man darauf reagieren: „Gut, dass wir das jetzt wissen. Wir brauchen einen Plan, wie wir die Lücken schließen.“ Dabei sollte man aber eines bedenken: Angehende Führungskräfte können vieles lernen, aber eines muss grundsätzlich stimmen – die Einstellung. Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass sich fehlende Fachkompetenzen einfacher entwickeln lassen als kontraproduktive Verhaltensweisen, Einstellungen und Haltungen. Denn es gibt immer Vorgaben, die man nicht diskutieren kann. Wenn da die Einstellung grundsätzlich nicht stimmt, wird es schwierig.

Und was, wenn beide im Gespräch feststellen, dass die neue Position gar nicht passt?

Wenn die Erwartungen nicht zusammenpassen oder Werte nicht geteilt werden, dann kann es auch sein, dass man zu dem Schluss kommt, dass die Position nichts für den Kandidaten oder die Kandidatin ist. Er oder sie sollte dann bleiben, wo er oder sie ist. So vermeidet man, jemanden als Chef scheitern zu sehen und gleichzeitig einen erstklassigen Experten zu verlieren. Denn ein gescheiterter Chef ist für eine Organisation in der Regel verbrannt. Er hat sein Gesicht verloren.

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