Junge Berufsanfänger auf der Intensivstation sind mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehört insbesondere, die eigene Rolle innerhalb des Pflegeteams zu finden. Eine Analyse, wie die Berufseinsteiger das Arbeiten auf einer Intensivstation erleben.
Die Arbeit der Pflege auf Intensivstation lässt sich nicht mit anderen innerhalb eines Krankenhauses vergleichen: Extreme Schicksale, Unfälle, Notfälle, aber auch erfolgreiche Behandlungen und unerklärlich wirkende Heilungen sind Teil dieses dauerhaft konzentrierten Apparates. Die Herausforderung der Tätigkeit sinkt mit zunehmender Erfahrung, Wissen und Routine. Bis dieser Zustand jedoch eintritt, dauert es eine Weile. Wie kommen junge Berufsanfänger mit dem Arbeiten auf einer Intensivstation klar?
Da mehr als 40 Prozent des Gesundheitspersonals in den nächsten 15 Jahren aus dem Dienst ausscheiden [1], ist es maßgeblich, die Empfindungen der neuen Kollegen wahr- und ernst zu nehmen. Die Fluktuationszahlen der Intensivstationen weisen 2021 [2] im Vergleich zu 2017 [3] das Zweieinhalbfache an offenen Vollkostenstellen aus. Um dieser Fluktuation und dem generellen Personalmangel in der Pflege entgegenzuwirken, ist zum einen die Akquise junger Mitarbeitender zu verstärken und zum anderen der vorzeitige Austritt aus der Pflege mit gezielten Maßnahmen zu verhindern. Ein vernünftiges Arbeitsklima, aber auch die Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung spielen in der Mitarbeiterbindung eine entscheidende Rolle [4].
Methodik
Für diese qualitative Pilotstudie führte der Autor Interviews mit Berufsanfängerinnen und -anfängern (im Folgenden: Berufsanfänger) eines Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen – junge Pflegende mit weniger als zwei Jahren Berufserfahrung und ohne Vorerfahrung in der Intensivpflege.
Ziel war es, herauszufinden, wie Berufsanfänger das Arbeiten auf einer Intensivstation erleben. Die Einsicht in die Gefühlswelt junger Menschen in einer hoch verantwortungsvollen Tätigkeit gibt Aufschluss über die Situation auf einer Intensivstation und zudem die Möglichkeit der frühzeitigen Intervention bei negativen Verläufen des Berufslebens der jungen Mitarbeitenden, etwa bei psychischen Problemen (Tab. 1).

Im deutschsprachigen Raum existieren bislang keine aussagekräftigen Studien, wie Berufsanfänger das Arbeiten auf einer Intensivstation erleben. Die wenigen unspezifischen Studien im angloamerikanischen Raum eignen sich aufgrund der unterschiedlichen Gesundheitssysteme nicht für einen Vergleich.
Ergebnisse
Die eigenständige Patiententätigkeit empfinden die Berufsanfänger in Kombination mit der daraus resultierenden Verantwortung gar nicht als vordergründig belastend. Vielmehr beschäftigen sie die eigene Situation und das Hineinfinden ins Team. Gruppenzugehörigkeiten und das Gefühl des Dazugehörens haben für die jungen Pflegenden einen immensen Wert. Weitere Themen, die Berufsanfänger beschäftigen, sind:
- Stress
- psychische Belastung
- Mitspracherecht
- Teamarbeit
Sie erfahren hierarchische Strukturen, selbst wenn die älteren Kolleginnen und Kollegen gleichgestellt sind. Demnach erklärten diese älteren Kolleginnen und Kollegen den Berufsanfängern, sie seien ggf. zu jung für die Arbeit auf der Intensivstation, da die Qualität der Arbeit mit der Lebenserfahrung einhergehe. So entsteht unter den Berufsanfängern der Eindruck, lange nicht die Arbeit der erfahrenen Intensivpflegenden leisten zu können. Dies führt zu Machtlosigkeit aufgrund unverschuldeter Erfahrungslosigkeit.
Der Aspekt des dauerhaften Lernprozesses geht für die Berufsanfänger einher mit der nie enden wollenden Arbeit. Die Herausforderung des Lernens ist dabei nicht eindeutig einem positiven Empfinden zuzuordnen.
Gleichzeitig werden Fehler, die sie machen, nicht unter pädagogischen Umständen besprochen. Im Gegenteil wird ihnen vermittelt, dass Fehler deutliche Konsequenzen nach sich ziehen. Diese Art der Zurechtweisung stößt auf eine neue Arbeitshaltung, die hauptsächlich auch während der Arbeit mit anderen erst entsteht und geprägt wird.
Als ein dauerhaftes Problem beschreiben die Berufsanfänger die unerfüllte Arbeit beziehungsweise das Nichterreichen selbst gesteckter und oder vorgegebener Arbeitsziele. Neben Frustration äußert sich dies in der Haltung, den persönlichen Anforderungen der älteren Kolleginnen und Kollegen nicht Genüge getan zu haben. Deren Meinung hat für die Berufsanfänger eine hohe Relevanz. Demnach erwächst Prestige aus guter Arbeit. Akzeptanz und Belohnung haben somit einen hohen Stellenwert.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ist ein Kernbestandteil der Arbeit in der Intensivpflege. Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein bilden dabei wichtige Eckpfeiler. In der Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten erfuhren sie dieses Vertrauen nicht und speicherten dies als negatives Ereignis, als ein Zeichen der persönlichen Inkompetenz.
Allerdings sprechen die Berufsanfänger in der Empfindung der Arbeitswelt auch von positiven Ereignissen, die die harte körperliche Belastung, die tatsächlich eine untergeordnete Rolle spielt, aufwiegen. Dann empfinden sie ihre Arbeit als lohnenswert. Aus den Aussagen der Berufsanfänger in den Interviews lassen sich zusammenfassend folgende Themencluster erstellen:
- Motivation vs. Barrieren, z. B. Selbstzweifel, fehlender Mut
- Überforderung, unerfüllte Arbeitsziele
- fehlendes Vertrauen
- fehlende Akzeptanz
- dauerhafter Lernprozess
- Druck, sich beweisen zu müssen
- mangelnde Fehlerauswertung
- positives Arbeitsgefühl
Diskussion
Die Stichprobe erlaubt keine Verallgemeinerung, gibt jedoch einen ersten Einblick in das Erleben junger Berufsanfängern in die Arbeit auf einer Intensivstation. Die überwiegend negativ konnotierten Erzählungen nehmen die Berufsanfänger nicht als solche wahr, sondern spiegeln lediglich das Erlebte der Kollegen wider.
Die Berufsanfänger verfolgen vorrangig das Ziel, sich in teilweise schon seit Jahren bestehende Teams und deren Prozesse einzuarbeiten und dort ihren Platz zu finden. Weiterhin beschäftigen sie die lebenslangen Lernprozesse sowie die Frage der beruflichen Orientierung und Spezialisierung. Diese Herausforderungen zu meistern, führt oftmals zu Rollenkonflikten [5].
Eine weitere Vertiefung und Erforschung des Erlebens von Berufsanfängern auf einer Intensivstation scheinen sinnvoll.
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
[1] Statistisches Bundesamt (Destatis). Gesundheitspersonal nach Altersgruppen 2020. Im Internet: www.destatis.de/DE/Themen/GesellschaftUmwelt/Gesundheit/_Grafik/_Interaktiv/gesundheits personal-altersgruppen.html; Zugriff: 13.09.2022
[2] Blum K et al. Krankenhausbarometer Umfrage 2021 (12.2021). Im Internet: www.dki.de/sites/default/files/2021-12/20211221_ Final_KH-Barometer-komprimiert.pdf; Zugriff: 13.09.2022
[3] Blum K. Personalsituation in der Intensivpflege und Intensivmedizin. Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (07.2017). Im Internet: www.dki.de/sites/default/files/2019-02/2017_07_personalsituation_intensiv pflege_und_intensivmedizin_-_endbericht%281%29.pdf; Zugriff: 13.09.2022
[4] GWA. Wie wichtig sind die Kriterien bei der Wahl Ihres zukünftigen Arbeitgebers? Im Internet: de.statista.com/statistik/daten/ studie/181885/umfrage/kriterien-fuer-die-wahl-des-arbeitgebers/; Zugriff: 13.09.2022
[5] Behlow W. Da kommt was auf Sie zu. Intensiv 2017; 25: 20–24