• 05.07.2024
  • PflegenIntensiv
Implementierung von Lärmmanagement

Stille Intensivstation

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2024

Seite 36

Ein stationsspezifisches Lärmmanagement auf drei Intensivstationen des Universitätsklinikums Freiburg sollte Pflegefachpersonen im Umgang mit Lärm sensibilisieren, um diesen nachhaltig zu reduzieren. Das eigens dafür entwickelte Projekt „Stille Intensivstation“ hat sich auch mit dem Lärmerleben von Patienten und Angehörigen befasst.

Intensivstationen sind oft zu laut. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll der durchschnittliche Schallpegel auf Intensivstationen nicht über 35 dBA liegen, das entspricht der Lautstärke von Blätterrascheln. In der Praxis ist dieser Wert jedoch nur schwer einzuhalten [1, 2]. Lärm beeinflusst die Genesung von Patientinnen und Patienten sowie die Gesundheit des Personals auf Intensivstationen. So ist bekannt, dass Patienten zum Beispiel unter Schlafstörungen oder einem verlangsamten Heilungsprozess leiden. Personal ist mitunter von Er­müdung oder Fehleranfälligkeit bei medizinischen Tätigkeiten betroffen [3].

Das Pflegepraxiszentrum (PPZ) Freiburg ging im Projekt „Stille Intensivstation“ (Textkasten: „Stille Intensivstation“ und andere PPZ-Projekte) am Universitätsklinikum Freiburg (UKF) deshalb der Frage nach, in welchem Maße ein stationsbezogenes Lärmmanagement auf Intensivstationen den Schallpegel und die Lärmbelastung sowohl für Patienten als auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltig reduzieren kann. Darüber hinaus war von Interesse, was die im Lärmmanagement enthaltenen technischen Lösungen (Lärm­ampeln) dazu beitragen können, um Lärm nach­haltig zu minimieren.

Einführung auf drei Intensivstationen

Das Projektteam führte das Lärmmanagement auf einer anästhesiologischen, auf einer neurologischen sowie auf einer neonatologischen Intensivstation ein. Darin enthalten war der Einsatz von drei Lärmampeln pro Station, die zum einen in der Lage waren, die Schallpegel zu messen, und zum anderen die aktuelle Lautstärke für die Mitarbeiter in Ampelfarben zu visualisieren. Die Lärmampeln waren an gezielt lauten Standorten installiert, die Arbeitsgruppen im Vorfeld identifiziert hatten.

Darüber hinaus implementierte das Projektteam stationsbezogene Leitfäden zu Maßnahmen wie individuelles Alarmmanagement, Ruhephasen oder die Umstrukturierung der Visite. Hinzu kamen weitere präventive und lärmreduzierende Maßnahmen, unter anderem

  • Kurzfortbildungen und „One Minute Wonders“,
  • Sticker oder Postkarten mit Informationen zu und über Lärm für Angehörige,
  • Überprüfung der technischen und räumlichen Ausstattung auf (vermeidbare) Lärmquellen, zum Beispiel Geräusche beim Öffnen und Schließen von Schubladen, Grundeinstellungen von Geräten.

Die Evaluation umfasste sowohl quantitative als auch qualitative methodische Elemente im Sinne einer Mixed-Methods-Studie mit prospektivem Prä-Post-Design. Das Projektteam erhob dazu diverse Schallpegeldaten aus den Messungen der Lärmampeln zu drei Messzeitpunkten:

  • t0 – vor der Maßnahme,
  • t1 – direkt nach der Maßnahme und
  • t2 – fünf Monate nach der Maßnahme.


Zudem befragte das Team die Mitarbeiter der Intensivstationen – Pflegefachpersonen und dazugehörige Assistenzberufe, Ärztinnen und Ärzte sowie Therapeutinnen und Therapeuten – dreimal zur arbeitsbezogenen Lärmbelastung und zu potenziellen Lärmquellen mittels Fragebogenerhebung. Des Weiteren führte das Team an zwei Messzeitpunkten Interviews mit Intensivpatienten sowie mit Eltern (nur auf der neonatologischen Intensivstation). Diese enthielten Fragen zum Belastungsgrad durch Lärm, zu Lärmquellen (auch in Abhängigkeit von Tageszeiten) und zu den gemachten Erfahrungen im intensivstationären Alltag.

„Stille Intensivstation“ und andere PPZ-Projekte

Das Projekt verfolgte im Zeitraum von Oktober 2021 bis August 2022 auf insgesamt drei Intensivstationen drei Ziele:

a) die Implementierung eines stationsbezogenen Lärmmanagements,
b) die Sensibilisierung der Mitarbeiter gegenüber dem Thema Lärm (und dessen Folgen für Patienten und die Mitarbeiter selbst) und
c) eine nachhaltige Lärmminimierung auf den Intensivstationen.

Das PPZ Freiburg des UKF beschäftigt sich seit Januar 2018 mit der Erprobung innovativer Technologien in der Pflege. Dazu gehört auch das Projekt „Stille Intensivstation“. Das PPZ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Im PPZ sind zudem weitere Kooperationspartner wie die Hochschule Furtwangen, AGP Sozialforschung im FIVE e. V., das Ins­titut für Pflegewissenschaft der Universität Freiburg, die Sek­tion für Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung sowie das Zentrum Klinische Studien (beide UKF) beteiligt.

 

Wirksamkeit des Lärmmanagements

Zum Studienbeginn (t0) wurde der Schallpegel auf allen drei Intensivstationen gemessen. Dieser lag durchschnittlich bei 57,21 dBA. Nach der Implementierung des Lärmmanagements (t1) reduzierte sich der Schallpegel auf 56,43 dBA. Zum Ende des Untersuchungszeitraums (t2) lag der mittlere Schallpegel der drei Intensivstationen um 0,81 dBA höher als zu Beginn der Studie.

Faktoren wie Belegungszahlen (Patientenzahl in 24 Stunden) und Versorgungsaufwand (Beatmungsminuten, Pflegeminuten gesamt in 24 Stunden gemäß INPULS – Personalbedarfsmessung für Intensivstationen) beeinflussten die Schallpegel auf den einzelnen Stationen. So glichen sich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Messzeitpunkten nach Berücksichtigung dieser Einflussgrößen an.

Hohe Lärmbelastung des Personals. Ein Ergebnis der Mitarbeiterbefragung war eine erhebliche Lärmbelastung für das Personal auf den Intensivstationen. Eine Verringerung der wahrgenommenen Lärmbelastung über die Zeit blieb jedoch aus. Das Personal hatte ein Bewusstsein für Lärm und seine Auswirkungen und erachtete die Umsetzung von Lärmmanagement demnach als wichtig. Verschiedene Lärmquellen, zum Beispiel technische Geräte wie Monitore oder Perfusoren, aber auch Gespräche von Kolleginnen und Kollegen, empfand das Personal als störend.

Wahrnehmung seitens Patienten und Angehöriger. Die Interviews mit Intensivpatienten und Eltern von Patienten auf der neonatologischen Intensivstation gaben Einblick in die komplexe Wahrnehmung und Bewertung von Geräuschen. Die Art und Weise, wie Patienten und Angehörige Geräusche wahrnehmen und interpretieren, beeinflussen verschiedene Faktoren:

  1. Der individuelle Gesundheitszustand und die emotionale Situation spielen eine entscheidende Rolle. Akuter Schlafmangel, Angst um das Neugeborene oder berufliche Vorerfahrungen mit lauten Umgebungen prägen die Einschätzung des Geräuschgeschehens.
  2. Die Wahrnehmung von Geräuschen ist von den Erwartungen an die Umgebung der Intensivsta­tion beeinflusst. So erwarten die Patienten und Eltern zumeist, dass es auf einer Intensivstation nicht völlig ohne Geräusche zugehen kann, und tolerieren Geräusche, die ihrem Eindruck nach dazugehören, beispielsweise Alarme. Damit einher geht die Erwartung, dass diese Geräusche lebensnotwendig sind.
  3. Soziale Aspekte wirken sich ebenfalls auf die Bewertung von Geräuschen aus. Gespräche und Interaktionen mit anderen Menschen, sei es das Pflegepersonal, andere Patienten oder Besuchende, können entweder als belastend oder angenehm empfunden werden – abhängig von der Lautstärke und dem Timing dieser Interaktionen. Das heißt, ein zeitlich unpassend lautes Gespräch kann als belastend empfunden werden, ein respektvoller und rücksichtsvoller Austausch hin­gegen als angenehm.


Als Lärmquellen nannten Eltern neonatologischer Inensivpatienten die Betriebsgeräusche technischer Geräte und Alarme. Insbesondere schrille und wiederkehrende Töne empfanden sie am eindeutigsten als potenziell störend. Hingegen nahmen sie lärmmindernde Maßnahmen seitens des Personals, wie das Schließen von Türen, nur selten wahr. Insgesamt sprachen nur wenige Intensivpatienten das Personal an, wenn sie sich vom Lärm belästigt fühlten.

Einige Interviews deuteten auf ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis hin, das die Patienten daran hinderte, Kritik an der Lärmsituation zu äußern. Dies zeigt, dass es möglicherweise Raum für eine offene Kommunikation zwischen Patienten und Personal gibt, um die Lärmbelastung zu minimieren.

Unvermeidbarer Lärm. Die Studie bietet eine differenzierte Darstellung der störenden Lärmquellen auf Intensivstationen und zeigt, dass es einerseits nahezu unmöglich und anderseits nicht wünschenswert ist, allen Lärmquellen entgegenzuwirken und den damit verbundenen Lärm vollständig zu vermeiden. Der zu Studienbeginn gemessene Schallpegel von 57,21 dBA war deutlich höher als die Empfehlung der WHO. Dies bestätigen auch frühere Forschungsergebnisse, die gleichermaßen darauf hinweisen, dass das Einhalten solcher Grenzwerte praktisch kaum umsetzbar ist [4].

Die Implementierung eines Lärmmanagements auf stationsspezifischer Ebene führte zwischen dem Studienbeginn (t0) und direkt nach der Maßnahme (t1) zu einer geringfügigen Reduktion der Schallpegel (Differenz von 0,78 dBA). Praktisch ist dieser Un­terschied aber kaum relevant, da für Menschen eine Schallpegelreduktion von weniger als 1 dBA nicht wahrnehmbar ist [5].

Subjektive Lärmbelastung. Dies könnte auch erklären, warum über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg keine Veränderung in der subjektiv wahr­genommenen Lärmbelastung der Mitarbeiter festzustellen war. Ebenso war in den Interviews mit Patienten und den Eltern neonatologischer Patienten eine (subjektive) Lärmreduktion kein relevantes Thema, da sich die thematisierten Aspekte und Erfahrungen im Zusammenhang mit Geräuschquellen und Belastungen über den gesamten Studienzeitraum hinweg ähnelten.

Handlungsbedarf besteht insbesondere in der Reduzierung von Alarmgeräuschen sowie geräusch­ve­rursachenden Aktivitäten der Mitarbeiter und der Angehörigen von Patienten. Dieses Ergebnis des Projekts deckt sich mit den Erkenntnissen einer Studie zu belastenden Geräuschquellen für das Intensivstationspersonal aus dem Jahr 2020 [4]. Beatmungsgeräte, Monitore und deren Alarme sowie Telefongespräche, Gespräche oder Besuche galten auch in dieser Studie als potenziell am störendsten.

Eine weitere mögliche Erklärung dafür, dass die Lärmreduktion nicht deutlicher wahrzunehmen oder nicht stärker ausgeprägt war, könnte darin liegen, dass die Lärmbelastung in den Hintergrund tritt, sobald klinische und lebenserhaltende Maßnahmen im Vordergrund stehen. Dies spiegelt sich zumindest in den Interviews mit den Patienten und den Eltern neonatologischer Patienten wider. Ähnliche Ergebnisse lieferte auch eine weitere Studie [6] mit Mitarbeitern von Intensivstationen. Somit ist von entscheidender Bedeutung, sorgfältig zu analysieren, welche Geräuschquellen das Lärmmanagement untersuchen soll.

Praxisrelevante Konsequenzen

Die Interviews liefern Erkenntnisse darüber, wie mit Alarmen auf der Intensivstation umzugehen ist. Neben bereits bestehenden Maßnahmen wie der Implementierung angepasster Alarmsysteme kann es hilfreich sein, die unausweichlichen Geräusche der Intensiv­station den Patienten gegenüber in einen Kontext zu stellen. Alarme, die verstanden und als notwendig angesehen werden, sind in der Regel weniger belastend. Dies könnten Mitarbeiter fördern, indem sie den Patienten und deren Angehörigen die Bedeutung auftretender Alarme erklären.

Der intensiven Schulung der Mitarbeiter kommt daher eine besondere Bedeutung zu, insbesondere weil Patienten aufgrund ihres Abhängigkeitsverhältnisses oft zögern, direkte Kritik zu äußern. Somit können Pflegende nicht immer darauf vertrauen, dass Patienten mögliche Bedenken wegen einer Lärmbelastung aussprechen. Pflegefachpersonen sind daher zu ermutigen, auch auf nonverbale Signale in Bezug auf Lärm zu achten und diese zu verstehen. Es ist wichtig, Mitarbeiter und Angehörige für ein rücksichtsvolles Verhalten in Bezug auf Lärm auf der Intensivstation zu sensibilisieren.

Die Studie verdeutlicht, dass Mitarbeiter, Patienten und Angehörige Geräusche nicht immer ausschließlich negativ wahrnehmen. Im Gegenteil: Im richtigen Kontext können sie auch positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Menschen haben.

Der Effekt von Lärmampeln und ihr Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter auf der Intensivstation ist bisher nicht ausreichend geklärt und erfordert weitere Forschung. Es ist jedoch erkennbar, dass technische Lösungen wie die einer Lärmampel allein nicht ausreichen. Vielmehr müssen diese in ein Gesamtkonzept eingebettet sein, das auf die Identifizierung und Bewältigung zu hoher Schallpegel abzielt [1]. Implementierungsprozesse erfordern Zeit und eine effektive Begleitung, um nachhaltig zu wirken und in die Arbeitsabläufe integriert zu sein.

Eine aktuell laufende Folgestudie soll daher die potenziell langfristigen Auswirkungen des bisherigen Lärmmanagements (inklusive des Einsatzes von Lärmampeln) und die Beteiligung der Mitarbeiter unter­suchen, um daraus Erkenntnisse für weitere Maßnahmen abzuleiten.

 

[1] Berglund B, Lindvall T, Schwela DH, World Health Organization. Occupational and Environmental Health Team. Guidelines for commu­nity noise 1999. Geneva: World Health Organization

[2] Darbyshire JL, Young JD. An investigation of sound levels on intensive care units with reference to the WHO guidelines. Crit Care 2013; 17: R187. doi: 10.1186/cc12870

[3] Loupa G. Influence of Noise on Patient Recovery. Curr Pollution Rep 2020; 6: 1–7. doi: 10.1007/s40726–019–00134–3

[4] Schmidt N, Gerber SM, Zante B et al. Effects of intensive care unit ambient sounds on healthcare professionals: results of an online survey and noise exposure in an experimental setting. Intensive Care Medicine Experimental 2020; 8: 34. doi: 10.1186/s40635–020–00321–3

[5] Crawford KJ, Barnes LA, Peters TM et al. Identifying determinants of noise in a medical intensive care unit. Journal of Occupational and Environmental Hygiene 2018; 15 (12): 810–817

[6] Johansson L, Knutsson S, Bergbom I, Lindahl B. Noise in the ICU patient room – Staff knowledge and clinical improvements. Intensive & critical care nursing 2016; 35: 1–9. doi: 10.1016/j.iccn.2016.02.005

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