Das European Resuscitation Council vermittelt in seinen Anwenderkursen zu erweiterten lebensrettenden Maßnahmen eine systematische Interpretation der Blutgasanalyse in fünf Schritten. Dieser Beitrag stellt die Methode anlässlich der kürzlich erschienenen ERC-Leitlinien 2021 vor.
Mit dem European Resuscitation Council (ERC) unterrichtet ein europäischer Dachverband für Reanimation und Notfallmedizin die Interpretation einer Blutgasanalyse (BGA), da die Beurteilung des Säure-Basen-Haushalts und des Gasaustauschs in der Behandlung aller schwerkranken oder schwerverletzten Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) bzw. in einer sog. Periarrest-Situation eine Schlüsselrolle einnimmt. Der Begriff Periarrest-Situationen umfasst Patienten, bei denen ein Kreislaufstillstand möglicherweise bevorsteht, und solche, die nach erfolgreicher Reanimation in der Postreanimationsphase versorgt werden.
Vier wesentliche Informationen
Eine BGA bietet vier wesentliche Informationen [1]: pH-Wert, paCO2, Bikarbonat und Basenabweichung, paO2. Üblicherweise beinhaltet der BGA-Ausdruck zahlreiche weitere Informationen, z. B. den Blutzucker, einige Elektrolyte, Hämoglobin (Hb) und Laktat. Sie sind aber nicht Gegenstand der im ALS Anwendermanual besprochenen Vorgehensweise. Um die vier genannten Werte interpretieren zu können, muss bekannt sein, was sie im Einzelnen bedeuten.
pH-Wert. Der pH-Wert, der Gehalt an Wasserstoffionen (H ), bestimmt die Azidität bzw. Basizität des Blutes (und auch jeder anderen Lösung). Dabei gilt: Je höher die Konzentration an H -Ionen, umso saurer die Lösung. Die H -Ionenkonzentration des Körpers ist äußerst gering, sie beträgt normalerweise etwa 40 Nanomol pro Liter (nmol/l). Ein Nanomol ist ein Milliardstel eines Mols, wobei ein Mol das Molekulargewicht einer Substanz in Gramm ist. Zum Vergleich: Natriumionen (Na ) sind in einer Konzentration von 135 Millimol pro Liter (mmol/l) im Blut vorhanden (die dreimillionenfache Menge!). Mit Zahlen im Nanomol-Bereich umzugehen, ist schwierig, daher wird die logarithmische pH-Skala bevorzugt, die die Wasserstoffkonzentration in Werten zwischen 1 und 14 angibt. In einer Blutgasanalyse liegt der pH-Wert im Normbereich, wenn er zwischen 7,35 und 7,45 beträgt (das entspricht einer H -Ionenkonzentration von 44–36 nmol/l) [1].
Für die Nutzung der pH-Skala sind zwei Aspekte zu berücksichtigen:
- Der numerische pH-Wert ändert sich umgekehrt proportional zur Wasserstoffionenkonzentration: Je niedriger der pH-Wert ist, um so mehr H -Ionen sind vorhanden. Ist der Blut-pH-Wert < 7,35, spricht man von einer Azidämie oder umgangssprachlich von einer Azidose (das Blut ist zu „sauer“). Im Umkehrschluss weist somit ein Anstieg des Blut-pH-Werts über 7,45 auf eine Reduktion der Wasserstoffionenkonzentration unter die Normalwerte hin – die sog. Alkaliämie oder umgangssprachlich Alkalose (das Blut ist zu „alkalisch“ bzw. „basisch“) [1].
- Geringe Veränderungen im pH-Wert weisen auf große Veränderungen der Wasserstoffionenkonzentration hin: Fällt z. B. der pH-Wert von 7,4 auf 7,1, so ist die Wasserstoffionenkonzentration von 40 nmol/l auf 80 nmol/l gestiegen. Sie hat sich also verdoppelt, während der pH-Wert „nur“ um 0,3 gesunken ist (was tatsächlich viel ist) [1].
Zudem wichtig zu wissen: Die alleinige Betrachtung des pH-Werts erlaubt keine Unterscheidung zwischen metabolischer (stoffwechselbedingter) und respiratorischer (atmungsbedingter) Störung. Dafür sind weitere Parameter (paCO2, HCO3− bzw. BE) notwendig.
Partialdrucke. Üblicherweise werden Prozentangaben verwendet, um die Zusammensetzung eines Gasgemischs zu beschreiben. Raumluft ist hierfür ein gutes Beispiel. Sie enthält rund 21 % Sauerstoff, 78 % Stickstoff und 0,04 % Kohlendioxid (und Edelgase). Die Zahl der Moleküle in einem Gasgemisch ist jedoch besser über den Partialdruck (p) zu beschreiben. Dabei gilt, dass die Summe der Partialdrucke der einzelnen Gase den Gesamtdruck eines Gasgemischs ergibt [1]: pGas 1 pGas 2 pGas 3 = pgesamt.
Über die Verdoppelung des Gesamtdrucks eines Gasgemischs verdoppeln sich auch die Partialdrucke der Bestandteile, die prozentualen Anteile allerdings bleiben gleich [1]. Umgekehrt führt auch eine Halbierung des Gesamtdrucks eines Gasgemischs zu einer Halbierung der Partialdrucke. Angemerkt sei hierzu, dass der ERC in den Kursunterlagen die SI-Einheit (SI = Internationales Einheitensystem) Kilopascal (kPa) verwendet, wohingegen sich in diesem Beitrag die in Deutschland immer noch weit verbreitete Einheit mmHg (Millimeter Quecksilbersäule) findet.
Beispiele: Auf Meereshöhe beträgt der mittlere Luftdruck etwa 760 mmHg oder ein Bar. Der Anteil des Sauerstoffs an diesem Gasgemisch beträgt 21 %, der Sauerstoffpartialdruck in Raumluft (auf Meereshöhe) liegt demnach bei 160 mmHg (21 % von 760 mmHg). Da der Luftdruck mit zunehmender Höhe abnimmt – die Luft wird sozusagen „dünner“ – beträgt der Sauerstoffpartialdruck auf dem Mount Everest nur 53 mmHg! Dies erklärt, warum Höhen ab 7.500 m als Todeszone bezeichnet werden und Bergsteiger in diesen extremen Höhen Sauerstoffflaschen benutzen [3]. Doch auch in dieser extremen Höhe beträgt der Anteil des Sauerstoffs am Gasgemisch 21 %. Dieser Zusammenhang ist deshalb so wichtig, weil ausschließlich der Unterschied im Partialdruck die Diffusion von einem Ort zum anderen antreibt. Lediglich die Diffusion transportiert das Gas in der Lunge zwischen Luft und Blut sowie zwischen Blut und Zellen in den Geweben. Dabei fungiert der Blutkreislauf als effektive Verbindung zwischen den beiden Orten [4].
Ist ein Gas in einer Flüssigkeit gelöst (z. B. im Blut), sind die Partialdrucke in Flüssigkeit und Gas, das in Kontakt mit der Flüssigkeit steht (z. B. den Alveolen), identisch. Diese Gesetzmäßigkeit erlaubt die Messung des Partialdrucks von Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut mithilfe der BGA.
Wichtig zu wissen: Der Partialdruck eines Gases ist ein Maß der Konzentration des Gases in dem Medium, in dem es sich befindet, so ist z. B. paCO2 der Partialdruck (p) von Kohlendioxid (CO2) im arteriellen Blut (a) [1].
paCO2. Kohlendioxid (CO2) ist ein wichtiges Abfallprodukt des Stoffwechsels. Normalerweise wird CO2 vom Blut in die Lungen transportiert und dort während der Ausatmung eliminiert. Der paCO2 beträgt im Mittel 40 mmHg, wobei dies den Bereich von 35–45 mmHg umfasst. Im Körper verhält sich CO2 wie eine Säure: Jede Erhöhung des paCO2 bewirkt die Entwicklung einer Azidose. Bleibt die stoffwechselbedingte CO2- Produktion konstant, dann ist der einzige den CO2- Gehalt des Bluts bestimmende Faktor die Rate, mit der das CO2 über die Lunge abgeatmet wird [1]. Einfach gesagt:
- Weniger Atmung bedeutet, dass weniger CO2 den Körper verlässt. Fällt dadurch der pH-Wert unter 7,35, wird dies respiratorische Azidose genannt (weil die Atmung Ursache der Störung ist).
- Gesteigerte Atmung führt auch zur gesteigerten CO2-Elimination. Wird hierbei mehr CO2 entfernt als gebildet wird und steigt infolgedessen der pH-Wert über 7,45, wird dies respiratorische Alkalose genannt (weil die Atmung Ursache der Störung ist).
Wichtig zu wissen: Diese Gesetzmäßigkeit macht deutlich, dass die Lunge auch eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung eines normalen Säure- Basen-Haushalts spielt.
Basenabweichung (Base Excess, BE). Das Bikarbonat findet in diesem Beitrag keine Berücksichtigung. Die alleinige Betrachtung der Basenabweichung erlaubt aber problemlos eine BGA-Interpretation.
Die Basenabweichung beschreibt den Überschuss von Säure oder Base im Blut infolge einer metabo- lischen (!) Störung. Dabei berechnet das BGA-Gerät über hinterlegte Formeln, wie viel Säure oder Base einer Blutprobe mit unnormalem pH-Wert zugeführt werden muss, um den pH-Wert wieder auf 7,4 zu normalisieren. Der Einfluss der Atmung auf den pH-Wert wird dabei herausgerechnet, indem das BGA-Gerät den paCO2 sozusagen auf den Normwert von 40 mmHg „setzt“.
Es gilt:
- Die Normalwerte für die Basenabweichung (BE) liegen zwischen 2 und -2 mmol/l.
- Eine Basenabweichung, die negativer als -2 mmol/l ist (also z. B. -8 mmol/l), zeigt eine metabolische Azidose an.
- Eine Basenabweichung, die größer als 2 mmol/l ist (also z. B. 6 mmol/l), zeigt eine metabolische Alkalose an.
paO2. In der Raumluft beträgt die Sauerstoffkonzentration 21 %, was einem Partialdruck von rund 160 mmHg entspricht. Allerdings entspricht das nicht dem Partialdruck in den Alveolen.
- Dies liegt zum einen an der Befeuchtung der Atemluft. Da auch der Wasserdampf einen Partialdruck ausübt, nämlich 47 mmHg, und der Luftdruck 760 mmHg nicht übersteigen kann, bewirkt die Atemluftbefeuchtung eine Verdünnung der Gase.
- Zum anderen wird die Inspirationsluft beim Erreichen der Alveolen mit ausgeatmetem Kohlendioxid durchmischt. Somit liegt dort normalerweise ein Sauerstoffpartialdruck von ca. 100 mmHg vor [1].
Der Sauerstoffpartialdruck des arteriellen Bluts (paO2) ist niedriger als in den Alveolen. Beim alten Menschen ist ein niedriger paO2 von z. B. 75 mmHg unter Raumluftatmung noch „normal“. Beim jüngeren Menschen gelten üblicherweise höhere Werte von > 80 mmHg. Liegt allerdings eine Lungenerkrankung vor, kann der O2-Gradient zwischen Alveolarluft und arteriellem Blut weit größer sein, etwa bei akutem Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS). Je schlimmer ein Lungenschaden, desto größer die Differenz zwischen inspiratorischer Sauerstoffkonzentration und paO2. Wichtig zu wissen: Zur Interpretation der BGA ist der paO2 mit der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration (FiO2) ins Verhältnis zu setzen. Atmet eine Person 50 % Sauerstoff ein bzw. wird mit 50 % O2 beatmet, ist ein paO2 von 97 mmHg nicht „normal“, wenngleich der Wert unter Raumluftatmung völlig in Ordnung wäre.
Fünf Schritte der BGA-Interpretation
Anwender sind oftmals versucht, die einzelnen Werte einer BGA isoliert zu betrachten. Besser ist aber ein systematisches Vorgehen, um nichts zu übersehen oder falsch zu interpretieren. Damit auch weniger versierte Anwender zumindest in Grundzügen eine BGA interpretieren können, vermittelt der ERC in den Anwenderkursen zu erweiterten lebensrettenden Maßnahmen (Advanced Life Support, ALS) eine Methode in fünf Schritten. Gewissermaßen ist jeder Wert für sich allein zu interpretieren. Zuletzt sind die Ergebnisse zu kombinieren [1].
Schritt 1: Wie geht es dem Patienten? Wie ist die Anamnese des Patienten? Oftmals bringen diese Fragen nützliche Hinweise, um die Interpretation der Werte zu erleichtern. Manche Veränderungen lassen sich sogar vorhersagen. So ist zeitnah nach erfolgreicher Reanimation mit einer respiratorischen Azidose – aufgrund einer Zeitspanne unzureichender (Be-)Atmung – sowie einer metabolischen Azidose – aufgrund einer Periode von anaerobem Stoffwechsel während des Kreislaufstillstands – zu rechnen [1].
Schritt 2: Ist der Patient hypoxisch? Der paO2 sollte unter Raumluftatmung 75–100 mmHg betragen. Bekommt der Patient zusätzlichen Sauerstoff, ist der paO2 unter Berücksichtigung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration zu interpretierten [1]. Faustformel: Der paO2 sollte der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration in Prozent multipliziert mit fünf entsprechen [modifiziert nach 5].
Schritt 3: Hat der Patient eine Azidose (pH-Wert < 7,35) oder Alkalose (pH-Wert > 7,45)? Ist der pH-Wert normal oder weicht nur geringfügig davon ab, spricht dies für einen normalen Zustand oder ein chronisches Geschehen mit vollständiger Kompensation. Der Körper führt nie eine Überkompensation herbei, wodurch sich das primäre (auslösende) Problem erkennen lässt. Es kann hilfreich sein, weitere klinische Informationen über den Patienten einzuholen [1].
Schritt 4: Hat sich der paCO2 verändert und wenn ja, wie? Anders gefragt: Ist die Abweichung vollständig oder teilweise auf eine Störung des respiratorischen Systems zurückzuführen?
- Bei Azidose: Ist der paCO2 erhöht (> 45 mmHg)? Trifft dies zu, besteht eine respiratorische Azidose, die die alleinige oder teilweise Ursache der Störung sein kann. Zusätzlich kann eine metabolische Komponente vorliegen, siehe Schritt 5a [1].
- Bei Alkalose: Ist der paCO2 erniedrigt (< 35 mmHg)? Falls ja, besteht eine respiratorische Alkalose – allerdings ist dies eine Seltenheit bei einem spontanatmenden Patienten mit normaler Atemfrequenz. Eher ist dies bei Patienten zu beobachten, die mit sehr hohen Atemfrequenzen und/oder Tidalvolumina (VT) maschinell beatmet (hyperventiliert) werden. Als Resultat sinkt der paCO2, was zur Reduktion der H -Ionen führt und somit zur Alkalose [1].
Schritt 5: Liegt eine Basenabweichung (BE) vor? Anders gefragt: Ist die Abweichung vollständig oder teilweise auf eine Störung des metabolischen Systems zurückzuführen?
- Bei Azidose: Ist der Wert der Basenabweichung reduziert (negativer als -2 mmol/l)? Falls dies zutrifft, besteht eine metabolische Azidose, die alleinige oder teilweise Ursache der Störung ist. Es kann zusätzlich eine respiratorische Komponente vorliegen, sofern der paCO2 gleichzeitig erhöht ist – siehe Schritt 4 bei Azidose –, eine häufige Situation nach einem Kreislaufstillstand [1].
- Bei Alkalose: Ist der Wert der Basenabweichung erhöht (mehr als 2 mmol/l)? In diesem Fall besteht eine metabolische Alkalose, die alleinige oder teilweise Ursache der Störung ist. Zudem könnte eine respiratorische Komponente vorliegen, sofern der paCO2 gleichzeitig erniedrigt ist – siehe Schritt 4 bei Alkalose –, was jedoch sehr ungewöhnlich wäre [1].
Bessere BGA-Beurteilung
Die Fünf-Schritte-Methode soll die Interpretation einer BGA erleichtern. Auch Nichtspezialisten sollen Patienten (u. a.) in Periarrest-Situationen angemessen beurteilen und therapieren können. Allerdings ist zu empfehlen, die Methode regelmäßig zu üben.
[1] European Resuscitation Council (Hrsg.). Erweiterte lebensrettende Maßnahmen. ERC Leitlinien 2015. Anwendermanual. 7. Aufl.
[2] German Resuscitation Council – Deutscher Rat für Wiederbelebung. www.grc-org.de; Zugriff: 01.07.2021
[3] Davies A, Moores C. Organsysteme verstehen. Atmungssystem. Integrative Grundlagen und Fälle. Elsevier; 2017
[4] Website Quarks. Das macht die Höhe mit deinem Körper. www.quarks.de/gesundheit/medizin/das-macht-die-hoehe-mit-deinem-koerper; Zugriff: 01.07.2021
[5] Website Life in the Fastlane. PaO2/FiO2 Ratio (P/F Ratio). litfl.com/pao2-fio2-ratio; Zugriff: 01.07.2021