Die Ernährung ist auch bei Patienten mit COVID-19 ein wesentlicher Bestandteil der Intensivtherapie. Gerade bei mittelschweren und schweren Verläufen ist eine adäquate Ernährungstherapie essenziell. Ein neuer Praxisleitfaden enthält hierzu viele hilfreiche Informationen.
Der Praxisleitfaden „Ernährungstherapie bei SARS-CoV-2“ des Verbands der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e. V. (VDD) basiert auf nationalen und internationalen medizinischen Leitlinien [1]. Auf 46 Seiten gibt es viel Wissenswertes über die Anforderungen der Ernährungstherapie bei Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) mit COVID-19. Der Praxisleitfaden soll künftig regelmäßig überprüft und an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden.
Der Praxisleitfaden ist für die Mitglieder des VDD kostenfrei. Nichtmitglieder können ihn für 10 Euro bestellen unter www.vdd.de/vddshop. Die Handreichung richtet sich an Angehörige des Therapieberufs der Diätassistentinnen und -assistenten. Er enthält aber auch für Pflegefachpersonen interessante und wichtige Informationen.
Mangelernährung wirkt sich negativ auf Krankheitsverlauf aus
Eine unzureichende Ernährung stellt bei kritisch kranken Patienten immer ein Problem dar, weil sich die daraus resultierende Schwächung des Immunsystems ungünstig auf den Krankheitsverlauf auswirkt [2]. Eine krankheitsbedingte Mangelernährung führt zu verminderter Mobilität, katabolischen Veränderungen – v. a. im Skelettmuskel – und zu einer verminderten Nahrungsaufnahme [6–8].
Schwere Verluste von Skelettmuskelmasse und -funktion können Behinderung, eine eingeschränkte Lebensqualität und eine erhöhte Morbidität nach sich ziehen. Unter- und Mangelernährung sollten daher routinemäßig auf Intensivstationen gecreent werden, ausdrücklich auch bei Patienten mit COVID-19 [1, 2].
Wichtig zu wissen: Mangelernährung ist nicht nur durch eine geringe Körpermasse definiert, sondern auch durch die Unfähigkeit, eine gesunde Körperzusammensetzung und Skelettmuskelmasse zu erhalten. Daher sollten Personen mit Adipositas nach denselben Kriterien eingeschätzt werden wie normalgewichtige [2].
Die Einschätzung der Ernährungssituation und die Festlegung der Ernährungsziele ist bei COVID-19-Patienten mit leichteren bis mittelschweren Krankheitsverläufen und bei intensivmedizinisch betreuten Patienten mit COVID-19 weitgehend identisch.
Bei Letzteren ist jedoch zusätzlich zu berücksichtigen, dass eine Anpassung des Ernährungs- managements an die Symptomatik und die Sauerstofftherapie erforderlich ist.
Screening auf Mangelernährung. Für das Screening auf Mangelernährung stehen validierte Messinstrumente zur Verfügung, die u. a. von der Europäischen Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) empfohlen werden.
Der VDD empfiehlt im Praxisleitfaden bestimmte Instrumente, um die Ernährungssituation bei Patienten mit COVID-19 zu beurteilen [1]. Demzufolge ist das Instrument „Nutritional Risk Screening“ (NRS 2002) gut geeignet, um die allgemeine Ernährungssituation zu erfassen. DasTool liegt in einer deutschen Übersetzung vor und ermöglicht das Screening auf Mangelernährung im Krankenhaus [4]. Es ist von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) empfohlen.
Screening auf Sarkopenie. Sarkopenie bedeutet die Veränderung der Körperzusammensetzung mit allmählichem Verlust der Skelettmuskelmasse und -funktion. Für das Screening steht das aus fünf Fragen bestehende Tool SARC-F zur Verfügung. Die Fragen betreffen die Muskelkraft und Gangfunktion. Es soll z. B. beurteilt werden, ob der Patient allein von einem Stuhl aufstehen oder Treppen steigen kann.
Screening auf Anorexie. Anorexie stellt eine wichtige Ursache für Unterernährung dar. Die Schwere der Anorexie kann mit dem Instrument Visual Analogue Scale (VAS) ermittelt werden.
Kriterien für Mangelernährung. Die Global Leadership Initiative on Malnutrition (GLIM) hat in einem weltweiten Konsens der Fachgesellschaften eine Definition der Mangelernährung vorgelegt [2, 5]. Demnach müssen sowohl ein phänotypisches als auch ein ätiologisches Kriterium erfüllt sein. Phänotypische Kriterien sind unfreiwilliger Gewichtsverlust, niedriger Körpermassenindex und verminderte Muskelmasse. Ätiologische Kriterien sind verminderte Nahrungsaufnahme oder -resorption, Entzündung und Krankheitsschwere.
Ernährungstherapie abhängig von Behandlungsphase
Der Praxisleitfaden unterteilt die intensivmedizinische Versorgung in drei Zeitabschnitte: frühe Akutphase (1.–3. Tag), späte Akutphase (2.–4. Tag), chronische/Postakutphase auf der Intensiv- oder Normalstation (mehr als 7 Tage). Für jede dieser Phasen enthält der Praxisleitfaden Empfehlungen hinsichtlich der Energiezufuhr bzw. der zugeführten Proteinmenge.
Besondere Berücksichtigung verlangen Begleitumstände wie Adipositas und Niereninsuffizienz. Einzelheiten hierzu sind dem Leitfaden zu entnehmen. Dabei gilt der Grundsatz, dass COVID-19-Patienten sich in Bezug auf den Stressstoffwechsel nicht von anderen internistischen Intensivpatienten unterscheiden. Hier wird empfohlen, mit etwa 75 % des Energieziels zu beginnen.
Die fachgerechte Ernährung hängt auch von der Beatmungsform ab. Eine Übersicht über die empfohlenen Therapiemaßnahmen gibt Tabelle 1.
Eine Hyperglykämie ist in der frühen und späten Akutphase zu vermeiden. In der Postakutphase ist ein besonderes Augenmerk auf die Gefahr von Mangelernährung und der Ausbildung einer Sarkopenie zu legen. In Fällen, wo die mechanische Beatmung 14 Tage oder länger dauert, liegt ein besonders hohes Risiko für die Verschlechterung des Ernährungszustandes bzw. für einen Verlust an Muskelmasse vor. Wichtig zu wissen: Propofol kann 50–60 g Fett bzw. bis zu einem Drittel der Gesamtenergiezufuhr pro Tag liefern.
Bei Patienten mit Nierenersatztherapie soll der Verlust an Aminosäuren berücksichtigt werden. Die Zeitspanne nach der Extubation ist häufig mit Schluckproblemen verbunden, welche die Nahrungsaufnahme negativ beeinflussen können. Hier sollte die Diätassistentin bzw. der Diätassistent in die anschließende Therapiephase einbezogen werden.
Der Leitfaden weist darauf hin, dass italienische Ernährungsprotokolle vorschlagen, in Notfallsituationen mit sehr vielen Patienten ggf. parenteral Nahrung zuzuführen, wenn eine ausreichende Energiezufuhr mit oraler Ernährung zwei Tage nicht gelingt.
Als Gründe dafür werden häufig vorkommende Diarrhoen als Folge antiretroviraler Therapie und Magen-Darm-Störungen genannt, die die Nährstoffabsorption und Toleranz für eine enterale Ernährung beeinträchtigen. Auch kann eine nasal liegende Sonde Luftleckagen verursachen und damit die Sauerstofftherapie negativ beeinflussen, insbesondere wenn spezielle NIV-Masken mit Port fehlen [1].
Ernährungsexperten ergänzend hinzuziehen
Mangelernährung führt zu erhöhter Morbidität und Mortalität und verlängert den Krankenhausaufenthalt. Für das Screening der Mangelernährung gibt es gut validierte Messinstrumente, die von der Europäischen Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) empfohlen werden. Dazu zählen das Nutritional Risk Screening 2002 für den stationären Bereich und andere. So wichtig das Thema Ernährung für Intensivpatienten ist, so komplex ist es leider auch zugleich. Ernährungsexpertinnen und -experten sollten beratend hinzugezogen werden.
[1] Verband der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e. V. (VDD). VDD-Praxisleitfaden Ernährungstherapie bei SARS-CoV-2. Version 27. Mai 2020. Essen: VDD; 2020
[2] Barazzoni R, Bischoff S C, Breda J et al. ESPEN-Expertenerklärungen und praktischer Leitfaden für das Ernährungsmanagement von Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion. Aktuelle Ernährungsmedizin 2020; 45(03): 182–192
[3] ESPEN expert statements and practical guidance for nutritional management of individuals with SARS-CoV-2 infection. Clinical Nutri- tion 39 (2020) 1631–1638, www.clinicalnutritionjournal.com article/S0261–5614(20)30140–0/pdf
[4] NRS-2002-Kriterien für Krankenhauspatienten. www.mdcalc.com/nutrition-risk-screening-2002-nrs-2002
[5] Cederholm T, Jensen GL, Correia MITD. et al. GLIM criteria for the diagnosis of malnutrition – A consensus report from the global clinical nutrition community. Clin Nutr 2019; 38: 1–9
[6] Singer P, Blaser AR, Berger MM. et al. ESPEN guideline on clinical nutrition in the intensive care unit. Clin Nutr 2019; 38: 48–79
[7] Gomes F, Schuetz P, Bounoure L. et al. ESPEN guideline on nutritional support for polymorbid internal medicine patients. Clin Nutr 2018; 37: 336–353
[8] Volkert D, Beck AM, Cederholm T. et al. ESPEN guideline on clinical nutrition and hydration in geriatrics. Clin Nutr 2019; 38: 10–47