Die Urologen am Universitätsklinikum Großhadern operieren seit neun Jahren mit dem Operationssystem Da Vinci. Hier steht der Operateur nicht am Patienten, sondern sitzt meterweit von diesem entfernt. Welche Vorteile hat eine OP mit Roboter- Assistent?
Gerade, gerade, kommt, kommt, gut so!“ Was sich nach einem Einparkmanöver in der Fahrschule anhört, geschieht in einem der 32 OP-Säle des Klinikums Großhadern. Der Kommandogeber ist Professor Armin Becker, stellvertretender Klinikdirektor der urologischen Klinik am Campus Großhadern. Mithilfe seiner Richtungsangaben lenkt eine kleine OP-Schwester ein etwa 400 Kilogramm schweres und doppelt so großes Gefährt an das Fußende und positioniert es zwischen den Beinen des Patienten. Dann wird dieser in Kopftieflage gefahren.
Wie aus dem Team-Time-out hervorgeht, ist er Mitte 60 und hat ein Prostatakarzinom, ist sediert, beatmet und steht kurz vor einer radikalen Prostatektomie. Professor Becker steht rechts des Patienten, sein assistierender Kollege links davon, daneben eine Operationstechnische Assistentin. Wie ein Krake strecken sich vier folienummantelte Metallarme über dem Patienten aus und werden mit surrendem Geräusch knapp über ihm positioniert: Der Operationsassistent Da Vinci ist startklar.
Schere so groß wie ein halbes Gummibärchen
Über 2.000 Operationen wurden in Großhadern bisher mit Da Vinci durchgeführt, zwei Mal täglich kommt das Gerät durchschnittlich zum Einsatz. Für den erfahrenen Urologen Becker hat das System nur Vorteile: „Es ist einfach der Hit“, fasst er unaufgeregt zusammen.
Im OP-Saal ist es relativ kalt. Professor Becker holt irgendwann eine dünne blaue OP-Jacke und zeigt auf die Rückseite der zentralen Steuereinheit von Da Vinci: „Hier wird’s irgendwann schön warm“, sagt er und lacht. Viele Geräte und noch mehr Kabel füllen den eigentlich großen Raum aus. Damit Da Vinci läuft, sind zwei Stromkreisläufe und viele Meter Glasfaserleitung notwendig. Das regelmäßige Piepen der Vitalzeichenüberwachung integriert sich bald wie das Ticken einer Uhr in die Umgebung. Mittlerweile sind sechs kleine Schnitte im Abdomen des Patienten, vier davon für die Arme des Operationsassistenten.
Freunde des offenen Operationsverfahrens verweisen darauf, dass in der Schnittlänge kaum ein Unterschied ist, wenn man die sechs Schnitte einer Da Vinci-OP an einen OP-Schnitt bei offenem Verfahren reiht. Allerdings muss in dem Loch die Hand des Chirurgen Platz haben und das Abdomen stundenlang aufgespreizt werden. Von den Schnitten her gleich ist die minimal-invasive Technik mit Endoskopen. Einige davon liegen auch jetzt auf einem sterilen Tisch bereit. Die starren Instrumente ähneln einer kleinen Pinzette mit verlängertem Griff. Sie werden zum Anreichen von Clips etc. gebraucht. Neben den Da Vinci-Instrumenten wirken sie altmodisch. Diese sind flexibler als eine Hand. Jeder Arm wird mit einem Instrument bestückt, das sieben Freiheitsgrade hat. Die kleinen Werkzeuge sind so groß wie ein halbes Gummibärchen: Neben einer Schere gibt es Pinzette, Greifzange und eine 3-D-Kamera.
Gesteuert wird der Roboterassistent über eine Konsole, die wenige Meter vom Patienten entfernt in einer Ecke steht. Sie ist mit einem Bildschirm ausgestattet, auf dem Professor Becker mit zehnfacher Vergrößerung und in 3-D-Optik sieht, woran er gerade arbeitet. Seine Arbeitsgeräte sind zwei „Joysticks“, in die er alsbald seine Hände schiebt. Von hier aus werden die Handgriffe, die der Urologe an der Konsole macht, in Echtzeit von einem der vier Da Vinci-Arme ausgeführt. „Mit Da Vinci erhält der Operateur zusätzliche Qualifikationen“, erklärt der Urologe. Eine wesentlich bessere Optik und das präzisere Arbeiten sind hier die Schlüsselbegriffe.
Mit der winzigen Pinzette entfernt er viel Fettgewebe, um sich Schritt für Schritt zunächst der Blase, und dann der Prostata zu nähern. Auf vier großen Flachbildschirmen kann das gesamte OP-Personal jeden Schritt des Operateurs verfolgen. Etwa 1,5 Stunden später wird die Prostata noch im Körper des Patienten in ein kleines Plastiksäckchen verpackt und nach außen befördert. Das mandarinengroße Fleischstück ist glatt, das dunkle tumoröse Gewebe zeichnet sich deutlich vom gesunden Rest ab und fühlt sich hart an.
Radikale Prostatektomien eignen sich besonders gut für den Da Vinci. Hier wird ausschließlich in eine Richtung operiert – das Gerät kann an Ort und Stelle stehenbleiben. Der rund 400 Kilogramm schwere Da Vinci braucht seinen Platz und kann nicht „mal schnell“ von A nach B hin- und hergeschoben werden, wenn sich die OP-Richtung ändert.
Patient liegt, alle anderen sitzen
Ein Vorteil ist als Außenstehende sofort zu erkennen: Der Patient liegt, alle anderen sitzen. „Früher waren Laparoskopien die anstrengendsten OP´s überhaupt. Man hat über eine lange Zeit halb gebeugt über dem Patienten gestanden, einer musste ständig die schwere Kamera halten. Ein echter Kraftakt. Heute sitze ich gemütlich auf dem Stuhl und kann danach zum Sport gehen“, erzählt Armin Becker.
Der Platz an der Da Vinci-Konsole lässt sich für jeden Chirurgen so programmieren, dass sich Sitz und Pedale automatisch in die richtige Höhe und Länge einstellen. Wie Becker an der Konsole sitzt, erinnert das fast an eine Bürotätigkeit – ein bequemer Stuhl, die Unterarme sind auf einer gepolsterten Lehne abgestützt, vorne Pedale, die Hände in den „Joysticks“. Der Kopf wird in ein Sichtfenster gesteckt, das mit einer Lichtschranke ausgestattet ist – Da Vinci funktioniert nur, wenn der Kopf diese durchbricht, der Operateur also bereit ist und den Arbeitsbereich buchstäblich vor Augen hat. Ohne ihn läuft nichts. „Und das soll auch so sein“, sagt Armin Becker. „Das System ist kein Roboter, der eigenständig etwas ausführen kann. Er ist Master’s Slave – der Sklave des Chirurgen, der exakt das tut, was dieser ihm sagt. Da Vinci soll nicht programmiert werden, etwas alleine zu machen. Das ging ja bei Robodoc gründlich schief“, resümiert der erfahrene Urologe.
Dann näht er mit der kleinen gebogenen Nadel Harnröhre und Blasenhals sorgfältig zusammen. Durch den Bildschirm der Da Vinci-Konsole ist die millimeterkleine Verbindung so gut zu sehen, dass die winzigen Widerhaken des Nähfadens erkennbar sind.
Hohe Nachfrage und Wartelisten
Der programmierbare Robodoc führte in Deutschland Mitte der 1990er-Jahre tausende von Hüftoperationen selbstständig durch. Die Folge waren zahlreiche Komplikationen, Folgeschäden für die Betroffenen und eine Klagewelle. Der nicht-automatisierbare Da Vinci ist mit zahlreichen Sicherheitsschranken ausgestattet. Falls jemand aus Versehen gegen den Joystick rempelt, bleibt das Gerät still. Auch für die Tatsache, dass der Operateur keinen Widerstand fühlen kann, wenn er beispielsweise mit der Pinzette gegen einen Knochen stößt, hat Da Vinci eine Lösung: Der Operationsassistent führt die Bewegung schlicht nicht aus; auf dem Bildschirm bleibt das Schildchen „Monopolar curved scissors“ grau, anstatt grün aufzuleuchten.
„Wer einmal mit diesem Verfahren operiert wurde, möchte sich nie mehr den gesamten Bauch aufschneiden lassen“, ist sich der Experte sicher. Die Nachfrage sei groß, und oft gebe es Wartelisten für die OP´s. Während man früher noch Bedenken gegenüber der Technik hatte, sind viele heute „ganz wild drauf“. Vor allem technikaffine Personen würden danach fragen. Da Vinci ist mittlerweile ein Aushängeschild für eine Klinik, circa 70 bis 80 Geräte gibt es deutschlandweit.
Studien belegen keine eindeutigen Vorteile
Drei Wochen nach der OP ist der Patient in aller Regel wieder fit. Aber schon kurz danach merke man den Unterschied: „Auch ohne es zu wissen, können Pflegekräfte genau sagen, welche Patienten mit Da Vinci operiert wurden und welche offen“, sagt Urologe Becker. „Da Vinci-Patienten sind pflegeleicht.“ Die Wunden heilen schneller, und es gibt insgesamt weniger Risiken, beschreibt Becker seine Erfahrungen mit dem Operationsassistenten. Studien beweisen bisher aber lediglich, dass es mit Da Vinci zu weniger Blutverlust kommt und weniger Transfusionen benötigt werden. Hier sind die Ergebnisse signifikant. Trotzdem zahlt die Krankenkasse die Zusatzkosten nicht. Für eine Klinik sind es also vor allem monetäre Gründe, an denen ein Da Vinci scheitern kann. Das ist laut Becker der größte negative Aspekt des circa zwei Millionen Euro teuren Operationssystems. Bei 150 000 Euro Wartungskosten pro Jahr und Fixkosten von 1500 bis 2 000 Euro pro Fall sind Operationen mit Da Vinci wesentlich teurer als eine offene OP. Ein Kostenfaktor sind die Instrumente: „Zehn Leben hat ein Instrument, dann muss es in den Müll“, sagt Becker und deutet auf einen der Metallstäbe, der gerade von einem der Arme abgedockt wird.
Spannend, langweilig, entspannend
Während der Arzt noch die kleinen Schnitte zusammennäht und die Ausleitung des Patienten in vollem Gange ist, sind fünf Pflegende bereits mit dem Aufräumen beschäftigt. Jeder packt mit an. „Eine Luxussituation“, sagt die Operationstechnische Assistentin (OTA), die während der OP neben dem Patienten saß. Wegen einer Fortbildung sind mehr Pflegende da als gewöhnlich. Die helfenden Hände können gut gebraucht werden, denn Vor- und Nachbereitung bei Da Vinci-Operationen sind aufwendig. So müssen zum Beispiel die Arme vor jedem Einsatz mit einem Plastikgewand überzogen werden. Insgesamt sei man hier fast eine halbe Stunde beschäftigt. Nun wird diese Schutzfolie wieder abgestreift, das Gerät desinfiziert und aufbereitet. Alles geht Hand in Hand. Jeder weiß, was zu tun ist.
Für OP-Pflegende sind Operationen mit Da Vinci viel: spannend, langweilig und entspannend. „Ich finde die OP´s spannend, weil ich auf den Bildschirmen genau mitverfolgen kann, was der Operateur gerade macht“, erzählt ein Pfleger, der gerade zur Spätschicht kommt. Zugleich erledigt das System viele Arbeitsschritte, für die normalerweise die OP-Pflegekraft zuständig ist. „Für zwischendurch sind die Da Vinci-OP’s super“, erzählt die assistierende OTA während sie prüft, ob der Katheter dicht ist. Ständig wolle sie diese aber nicht machen, weil es für sie während der OP nicht viel zu tun gebe. „Das ist dann fast schon langweilig“, sagt sie und lacht: „Der macht meinen Job!“