• 18.09.2018
  • PflegenIntensiv
Praxisprojekt

Mundpflege optimal in Stationsalltag integriert

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2018

Seite 18

Der professionellen Mundpflege kommt bei der Prävention beatmungsassoziierter Pneumonien eine hohe Bedeutung zu. Im Stationsalltag kommt die Intervention jedoch häufig zu kurz. Um die Mundpflege nachhaltig zu verbessern, starteten zwei Intensivstationen des Universitätsklinikums Heidelberg ein nachahmenswertes Praxisprojekt.

Das Projekt „Anwendungsbeobachtung eines standardisierten Mundpflegesets“ startete im Mai 2016 auf der interdisziplinär-operativen und kardiochirurgischen Intensivstation. Im Fokus standen zwei Fragen: Lässt sich die Mundpflege mit einem speziellen Einwegset, das alle benötigten Utensilien beinhaltet, besser und leichter handhaben? Trägt ein solches Set dazu bei, dass die Mundpflege im Stationsalltag konsequenter durchführt wird?

Der Mundpflege wurde auf den Pilotstationen schon immer eine hohe Bedeutung beigemessen. Davon zeugt beispielsweise die Tatsache, dass über Jahre eine mehrfach aktualisierte und detaillierte Richtlinie zur Durchführung einer professionellen Mundpflege existierte. Es fanden zudem regelmäßig Fortbildungen statt, um die Kollegen in der Anwendung der Richtlinie zu schulen und sie für die Problematik der Mundhygiene zu sensibilisieren.

Es stellte sich jedoch immer wieder heraus, dass Mitarbeiter die Inhalte der Richtlinie unterschiedlich interpretierten. Zudem war auffällig, dass trotz der umfangreichen Schulungen die festgelegten Zeitintervalle zur Durchführung der Mundpflege nicht eingehalten wurden. Zwei wesentliche Gründe hierfür waren die zunehmende Arbeitsverdichtung und die Rotation von Kollegen in der Fachweiterbildung, die je nach Einsatzort mit unterschiedlichen Vorgaben zur Durchführung der Mundpflege konfrontiert waren.

Die adäquate Umsetzung der Richtlinie war auch dadurch erschwert, dass die Pflegenden für jeden Intensivpatienten ein individuelles Paket aus Einzelkomponenten zusammenstellen mussten. Die Beschaffung von Schaumstoffträgern, Zahnbürste, Zahnpasta und anderen Utensilien nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Hygienisch bedenklich waren dabei die Verwendung von angebrochenen Pflegeprodukten wie Lösungen und Salben.

Zur Dekontamination wurde auf den beiden Intensivstationen seit Jahren traditionell das Antiseptikum Chlorhexidin (CXH) 0,2 % verwendet. Die diskutierte Wirkungslücke von CHX bei gramnegativen Keimen war für das leitende Behandlungsteam und die Sektion für Krankenhaus- und Umwelthygiene ausschlaggebend, dass eine der Intensivstationen im Jahr 2015 von CHX 0,2 % auf Octenidin zur Mundhygiene wechselte.

Mundpflegesets bieten Vorteile

Um Mundpflege auf Intensivstationen durchzuführen, kann heute auf portionierte Mundpflegesets zurückgegriffen werden. Diese Sets bestehen meist aus Schaumstoffträgern, Zahnbürsten mit integrierter Absaugfunktion und sterilen Reinigungslösungen. Die Sets sind industriell gefertigt und unterscheiden sich je nach Hersteller in ihrer Konzeption.

Die Anwendungsbeobachtung wurde mit dem überarbeiteten Tages-Mundpflegeset Toothette Q4® des Herstellers Sage Products durchgeführt. Es handelt sich um ein Komplettset, das aus sechs Einzelportionen besteht und in der Nähe des Patientenbettes platziert werden kann.

Alle vier Stunden wird eine Einzelportion angewendet, die vom Set gut abreißbar ist. Mit einem Druck auf die Verpackung wird die Zahnbürste beziehungsweise der Schaumstoffträger mit der Reinigungslösung getränkt. Die portionierte Verpackung ist somit sofort einsetzbar, sie muss nur noch geöffnet und mit der Absaugung verbunden werden. Eine Feuchtigkeitssuspension kann abschließend auf Schleimhäute und Lippen aufgetragen werden.

Vor Projektstart wurde von den verantwortlichen pflegerischen und ärztlichen Leitern sowie von der Sektion für Krankenhaus- und Umwelthygiene die Zustimmung eingeholt, dass die Mundhygiene auf beiden Projektstationen künftig ohne Antiseptikum durchgeführt wird. Stattdessen sollte die Mundpflege nur noch unter Verwendung des Mundpflegesets erfolgen. Die Projekthypothese lautete folgendermaßen: Eine standardisierte, regelmäßig durchgeführte Mundpflege ohne Antiseptikum erzielt ein gleich gutes Ergebnis im Sinne einer qualitativ hochwertigen Mundhygiene.

Mit der systematischen Verwendung des Sets wurde das Ziel einer physiologischen Mundflora und Schleimhautsituation verfolgt. Eine unregelmäßig durchgeführte Mundhygiene und die Verwendung von Antiseptika in unterschiedlichen Dosierungen und Applikationsformen sollten der Vergangenheit angehören.

Deutlich bessere Mundpflege

Im Rahmen einer vorab stattfindenden Testphase wurde das Mundpflegeset von den meisten Pflegenden als sehr praktisch in der Handhabung und wirksam hinsichtlich der Reinigungsleistung bewertet. Plaques und Borken ließen sich sehr gut lösen und Zahnzwischenräume effektiv reinigen. Nach Ansicht der Pflegenden war das Produkt für die Patienten gut verträglich und brachte zudem eine deutliche Zeitersparnis mit sich.

Mit den Pflegeteams wurde die Anwendungsbeobachtung besprochen und die Zustimmung zur Projektdurchführung durch die verantwortlichen ärztlichen und pflegerischen Leitern der Kliniken und der Sektion für Krankenhaus- und Umwelthygiene eingeholt. Mit dem Hersteller wurde die Produktanpassung des Mundpflegesets ohne Antiseptikum festgelegt, die Schulungsmaßnahmen definiert und die Konditionen verhandelt, da die damaligen Kosten des Sets deutlich über den Einzelkomponenten lagen.

Die Mitarbeiter wurden Ende April und Anfang Mai 2016 theoretisch und praktisch geschult, um das Produkt fachgerecht anwenden zu können. Eine visualisierte Beschreibung der Anwendungsweise des Sets wurde zudem als Poster auf den Stationen aufgehängt. Der Projektstart verlief problemlos und in den Teambesprechungen kamen schnell sehr positive Rückmeldungen sowohl zu den Produkten als auch zur spürbaren Zeitersparnis. Die Teammitglieder gaben eine Zeitersparnis von 50 Prozent – dies entspricht sechs Minuten – pro Mundpflege und eine deutliche Qualitätsverbesserung der Mundsituation gegenüber den Einzelkomponenten an. Zum Abschluss der Anwendungsbeobachtung im April 2017 wurde ein Evaluationsbogen erstellt.

Die Kollegen der beiden Intensivstationen sprachen sich bereits vor Projektende für die Beibehaltung des Mundpflegesets aus. Ein Zurück zum vorigen Verfahren war für sie nicht vorstellbar. Sie beschrieben die Einführung der Sets als Arbeitserleichterung und Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit, da sich die Qualität der Mundpflege deutlich verbessert hat. Positiv hervorgehoben wurden unter anderem die schnelle und einfache Handhabung des Sets, die trotz knapper Zeitressourcen eine regelmäßige Mundpflege ermöglicht.

Das Risiko der Verkeimung von Pflegehilfsmitteln und die Kontamination von Mundpflegelösungen bei Mehrfachverwendung entfallen. Insbesondere gramnegative Erreger wie Pseudomonas aeruginosa stehen hierbei immer wieder im Vordergrund. Eine Risikominimierung durch den kleinen anatomischen Bürstenkopf konnte erreicht und die zeitnahe Absaugmöglichkeit der Flüssigkeiten im Mundraum wie Reinigungslösung und Speichel gewährleistet werden. Der Gefahr der Mikroaspirationen kann so entgegengewirkt werden.

Die Anwendungsbeobachtung wurde interprofessionell durch das Department für Krankenhaus- und Umwelthygiene begleitet. In den mikrobiologischen Befunden des Tracheal- und Bronchialsystems zeigten sich während der Anwendungsbeobachtung ohne Antiseptika keine Veränderungen des Keimspektrums.

Obwohl die Sachkosten des Mundpflegesets (15,45 Euro) deutlich über denen der Einzelkomponenten (4,80 Euro) liegen, sind die Kosten in der Gesamtbetrachtung deutlich geringer. Zudem bewirken die Sets tatsächlich eine deutliche Zeitersparnis. Auch das spart letztlich Geld.

Hypothese bestätigt, Projektziel erreicht

Die Anwendungsbeobachtung verlief sehr erfolgreich. Die Kollegen zeigten sich sehr zufrieden, denn es kam ein Produkt zur Anwendung, das hygienisch einwandfreie Lösungen anbietet. Mit der Portionierung des Produkts wurde eine regelmäßige Routine der Mundpflege eingeführt.

Das Produkt fand eine hohe Akzeptanz bei den Pflegenden. Die Kollegen können trotz knappen Zeitkontingenten die Mundhygiene durchführen und somit einen effektiveren Beitrag leisten, um eine beatmungsassoziierte Pneumonie zu vermeiden. Bedingt durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema kam es zudem zu einer Vertiefung des Fachwissens. Durch die Einführung der Mundpflegesets kam es zu einer deutlich verbesserten Pflegequalität.

Die Hypothese, die der Anwendungsbeobachtung zugrunde lag, konnte empirisch bestätigt werden: Eine regelmäßig durchgeführte Mundpflege ohne Antiseptikum erreicht ein gleich gutes Ergebnis im Sinne einer qualitativ hochwertigen Mundpflege als eine nicht-standardisierte Mundpflege unter Anwendung eines Antiseptikums.

Inzwischen sind die Mundpflegesets auf allen Intensivstationen des Universitätsklinikums Heidelberg eingeführt, um die Arbeit der dort pflegenden Kollegen zu erleichtern und den Patienten aller Intensivstationen eine adäquate Mundhygiene zukommen zu lassen.

Autor

WEITERE FACHARTIKEL AUS DEN KATEGORIEN