• 01.11.2018
  • PflegenIntensiv
Sepsis

Sind elektronische Frühwarnsysteme sinnvoll?

In einer aktuellen Studie wurde der Nutzen technischer Früherkennungssysteme im Rahmen des Sepsis-Managements beleuchtet

PflegenIntensiv

Ausgabe 1/2018

Seite 34

Bei einer Sepsis muss es schnell gehen. Beginnt die Antibiotikatherapie nicht innerhalb der ersten Stunde, steigt die Mortalität um sieben Prozent pro verzögerter Stunde. Die frühe Diagnose anhand von Frühwarnsymptomen ist daher von besonderer Bedeutung. Stellen EDV-Lösungen hier einen Vorteil dar?

Bei einer beginnenden Sepsis verschlechtert sich der Allgemeinzustand eines Patienten nur langsam, sodass die Diagnose häufig verzögert erfolgt. Die klinische Symptomatik der Sepsis ist anfangs eher unspezifisch. Mediziner und Pflegende nehmen häufig lediglich wahr, dass sich beim Patienten „etwas verändert“ hat (1). Bleibt dieses Bauchgefühl ohne Konsequenzen, sind nachteilige Auswirkungen auf das Outcome des Patienten die häufige Folge.

EDV-Systeme leistungsfähig?

Heute werden viele patienten- bezogene Parameter elektronisch erfasst und ausgewertet. Mithilfe solcher Systeme wird kontinuierlich versucht, die Identifikation einer Sepsis durch elektronische Frühwarnsysteme zu verbessern.

Die Leistungsfähigkeit solcher Frühwarnsysteme untersuchten Pflegewissenschaftler der Universität von Queensland/Australien im Rahmen einer retrospektiven Literaturanalyse (2). Die Autoren durchsuchten internationale medizinische Datenbanken mit Stichworten wie „Sepsis“, „schwere Sepsis“, „Frühwarn- system“, „Frühdiagnose“ und „Screening“. Die identifizierten Arbeiten wurden im Hinblick auf die Einführung elektronischer Frühwarnmarker einer Sepsis auf Normalstationen ausgewertet.

Dabei wurden folgende Parameter betrachtet:

  • Art der Studie,
  • Zusammenstellung der jeweils gewählten Frühwarnmarker,
  • Vorgehen bei der Implementierung.

Als Endpunkte der Studie wurden Outcome-Parameter ausgewertet:

  • die Zeitdauer bis zum Beginn des Sepsismanagements, wie Abnahme von Blutkulturen und Bestimmung des Plasmalaktats,
  • die Krankenhausverweildauer,
  • die Mortalität.

Die Autoren konnten durch eine extensive Stichwortsuche in Literaturdatenbanken zunächst 14 771 Artikel identifizieren, von denen jedoch mehr als 5 000 bereits beim Lesen des Titels nichts zur Fragestellung beitrugen. 8 456 Zusammenfassungen wurden im Einzelnen durchgelesen. Letztendlich verblieben nur sechs Arbeiten, die die Fragestellung exakt untersuchten. Diese Publikationen stammten aus dem Zeitraum 2011 bis 2016. Es handelte sich in drei Fällen um sogenannte Observationsstudien; das heißt, es wurden die Veränderungen des Sepsismanagements und Patienten-Outcomes nach Einführung der elektronischen Frühwarnsysteme ohne Einflussnahme beobachtet und dokumentiert. Bei zwei Studien handelte es sich um Vorher-Nachher-Studien; das heißt, es wurde ein zeitlich definierter Nachbeobachtungszeitraum mit einer definierten Vorphase verglichen. Eine Studie war eine retrospektive Kohortenstudie. Bei keiner der Studien handelte es sich um eine randomisierte oder kontrollierte Studie.

Als elektronisch abrufbare Frühwarnmarker für eine Sepsis wurden folgende Daten(kombi­nationen) untersucht:

  • Körpertemperatur ≥ 38 °C oder ≤≤ 36 °C in Kombination mit einer Atemfrequenz ≥> 20/Min. und einer Herzfrequenz ≥> 90/Min.,
  • Leukozytenzahl > 12 000 oder < 4 000/mm3 in Kombination mit den oben genannten Atmungs- und Herzfrequenzparametern,
  • Kombinationen von anderen klinischen und Labormarkern, zum Beispiel Urinausscheidung < 0,5 ml/kg Körpergewicht/Stunde in Kombination mit einem Thrombozytenabfall oder einer Veränderung von Gerinnungsmarkern, zum Beispiel Anstieg der partiellen Thromboplastinzeit (PTT) auf > 60 Sekunden.

Die genannten Parameter oder Parameterkombinationen wurden durch eine Software aus den Daten in den klinischen Informationssystemen erkannt. Der Computer gab dann ein Warnsignal in Form eines optischen Warnhinweises auf dem Bildschirm ab. Dieser Warnhinweis wurde von demjenigen registriert, der als erster die elektronische Patientenakte aufrief, um neue Parameter einzutragen oder abzurufen. Die Funktion der Frühwarnsysteme, deren optimale Nutzung und die zu ergreifenden Maßnahmen bei positivem Warnhinweis auf eine Sepsis wurden auf den teilnehmenden Stationen geschult und trainiert.

Studie legt Nutzen nahe

Der Einfluss der elektronischen Frühwarnsysteme auf Outcome-Parameter war in den Studien unterschiedlich. In einer Studie konnte im Vergleich zur Vorphase die Mortalität verringert und die Intensiv- und Krankenhausliegedauer verkürzt werden. Mehrere Studien zeigten, dass die Zeit bis zur Abnahme von Laktatwerten und Blutkulturen als erste diagnostische Maßnahmen nach Einführung des elektronischen Frühwarnsystems signifikant verkürzt wurde.

Die Zeit bis zur Verabreichung von Flüssigkeit zur Volumensubstitution als erste therapeutische Maßnahme im Sepsismanagement wurde unterschiedlich beeinflusst, sodass keine valide Aussage hierzu möglich war. Die Zeit bis zur ersten Antibiotikagabe wurde nicht evaluiert.

Die Autoren der Studie stellen fest, dass die Studienqualität insgesamt relativ gering war. Die Ergebnisse waren aufgrund der variablen Studiendesigns und der unterschiedlichen Frühwarnkriterien schlecht miteinander vergleichbar. Eine ideale Markerkombination ließ sich nicht definieren. Dennoch zeigten mehrere Studien eine positive Beeinflussung der Zielgrößen wie früherer Start des Sepsismanagements. In einer Studie zeigte sich auch eine signifikante Senkung der Mortalität und Verkürzung der Liegedauer.

Die Studie der Autoren lässt sich gut ergänzen mit einer weiteren Arbeit zu dieser Thematik, die erst 2016 publiziert wurde und somit in der Auswertung noch nicht enthalten sein konnte. Es handelt sich um eine systematische Analyse einer Autorengruppe der Universitätsklinik Seoul/Südkorea. Die Forschergruppe stellte ebenfalls die Frage, ob sich das Sepsismanagement durch eine frühe elektronische Warnmeldung verbessern lässt (3). In einem retrospektiven Studienteil suchten die Autoren aus dem elektronischen Patientenerfassungssystem ihrer Klinik zunächst alle Patienten heraus, bei denen ein Sepsis-spezifischer ICD (International Code of Diagnosis)-Diagnosekode eingegeben worden war. Diesen Patienten stellten sie jeweils vier andere Patienten gegenüber, bei denen keine Sepsis kodiert war. Durch elektronischen Abgleich aller bei beiden Patientengruppen gewonnenen Messparameter ermittelten sie diejenigen Abweichungen, die signifikant häufiger bei Sepsis- Patienten vorkamen.

Daraus wurde ein Bündel von Frühwarnmarkern zusammengestellt. Es umfasste die Parameter Alter, diastolischer Blutdruck, Atemfrequenz, Körpertemperatur und vorangegangene Dauer des Krankenhausaufenthalts. In einer nachfolgenden klinischen Evaluation von 194 Sepsis- und 847 Nicht-Sepsis-Patienten wurde ermittelt, dass dieser elektronische Frühwarnmarker bei Kindern und Jugendlichen unter 19 Jahren eine brauchbare, wenn auch nicht sehr hohe Vorhersagekraft für eine Sepsis hatte.

qSOFA macht technische Systeme überflüssig

Die kürzlich veröffentlichte neue Sepsisdefinition hat die Erkennung einer Sepsis auf der Normalstation wesentlich erleichtert (4). Es wird empfohlen, außerhalb von Intensivstationen lediglich auf drei Parameter zu achten:

  • Atemfrequenz ≥ 22/Min.,
  • veränderte Bewusstseinslage, zum Beispiel in Form einer neuen Verwirrtheit,
  • systolischer Blutdruck ≤ 100 mmHg.

Diese drei Parameter werden als „quick SOFA“ (qSOFA) bezeichnet. SOFA steht für „Sepsis-related Organ Failure Assessment“. Sind zwei der drei Parameter positiv, sollte umgehend ein Arzt herbeigerufen werden, der den Patienten weiter evaluiert und gegebenenfalls mit dem Sepsismanagement beginnt.

Mit dem qSOFA werden komplexe elektronische Frühwarnsysteme überflüssig. Um die Atemfrequenz zu messen, wird lediglich eine Stoppuhr benötigt. Ein Blutdruckgerät ist auf jeder Station vorhanden. Alle Pflegende, die meist im engsten klinischen Kontakt mit dem Patienten stehen, können typische Frühsymptome einer Sepsis somit schnell und problemlos erkennen. Wenn Zeichen der ernst zu nehmenden Erkrankung erkannt werden, muss rasch ein Arzt für weitere Entscheidungen im Rahmen des Diagnosepfads Sepsis und septischer Schock (Abb. 1) zur Verfügung stehen. Dies ist aber auch bei den elektronischen Warnsystemen erforderlich.

Deutschland schneidet im internationalen Vergleich bezüglich der Reduktion der Sepsis-Sterblichkeit schlecht ab, da die Mortalität der schweren Sepsis in anderen westlichen Staaten stärker als in Deutschland reduziert werden konnte: Australien verzeichnete von 2000 bis 2012 einen Rückgang von 35 auf 18,5 Prozent, England im gleichen Zeitraum von 45,5 auf 32,1 Prozent und die USA konnten im Zeitraum von 2003 bis 2007 die Mortalität von 37 auf 29 Prozent senken. In Deutschland gelang zwischen 2003 bis 2013 nur eine Reduktion von 47,8 auf 43,6 Prozent (2).

Aktuelle Daten zur Inzidenz der Sepsis in Deutschland bestätigen die besorgniserregende Höhe der Sterblichkeit von Patienten mit Sepsis. Danach liegt die Mortalität der schweren Sepsis und des septischen Schocks auf deutschen Intensivstationen nach wie vor bei 40,4 Prozent (3).

Angesichts dieser Zahlen ist die Verbesserung der Versorgung von Patienten mit schwerer Sepsis in Deutschland ein wichtiges Anliegen und sollte in den Fokus des fachlichen Interesses rücken.

Dabei ist die Früherkennung der Sepsis durch entsprechende Vigilanz für das lebensbedrohliche Krankheitsbild mit der Identifikation des Infektfokus, dessen Sanierung und frühzeitiger adäquater Antibiotikatherapie sowie eine zügige zielorientierte Stabilisierung der Hämodynamik wesentliches Kernelement der erfolgreichen Therapie.

 

(1) Bran JP. Wie kommt der Patient sicher von der Intensivstation? – das Verlegungsmanagement als Herausforderung. Plexus. 2016; 24: 5–9

(2) Alberto L et al. Screening for sepsis in general hospitalized patients: a systematic review. J Hosp Infect 2017; 96: 305–315

(3) Back JS et al. Development and validation of an automated sepsis risk assessment system. Res Nurs Health 2016; 39: 317–327

(4) Singer M et al. The Third International Consensus definitions for sepsis and septic shock (sepsis3). JAMA 2016; 315: 801–810

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