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Profitorientierung in der Pflege

Im Haifischbecken der Spekulanten

Die Altenpflege entwickelt sich zu einem milliardenschweren Geschäft für internationale Konzerne und Finanzinvestoren. Das Gewinnstreben von Privatinvestoren führt aber gleichzeitig zu Fehlkalkulationen und Insolvenzen, die die pflegerische Versorgung gefährden. Erst vor wenigen Tagen ist wieder die Insolvenz eines kommerziellen Pflegeheimbetreibers bekannt geworden. Mitte Januar sorgte bereits die Insolvenz eines anderen Pflegeheimbetreibers für Schlagzeilen. Die Gewerkschaft Verdi nimmt das zum Anlass, zu fordern, Versorgungsverträge nur noch mit gemeinnützigen oder kommunalen Pflegeeinrichtungen zu schließen. Das Journalistennetzwerk Investigate Europe hatte Mitte 2021 herausgefunden, dass überarbeitete und unterbezahlte Pflegende Anbieterinnen und Anbietern gegenüberstehen, die immer mehr Profite erwirtschaften. Der Vorsitzende des Pflegebündnisses Mittelbaden und Mitglied im Landesvorstand Bundesverband Pflegemanagement Baden-Württemberg, Peter Koch, erläutert im Interview Hintergründe und zeigt Lösungsvorschläge auf.

"Zweistellige Renditen locken unseriöse Anbieter an"

Ist die pflegerische Versorgung nicht eigentlich als staatliche Aufgabe anzusehen, bei der Privatisierungen und Profitorientierung fehl am Platz sind? Schließlich stammt der überwiegende Teil der Leistungen aus der Pflege- und Sozialversicherung, also aus Beiträgen und Steuern.

Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung in Deutschland stellt einen wesentlichen Baustein der staatlichen Daseinsvorsorge dar. Der steigende Kostendruck und vor allem die zunehmende neoliberale Ausrichtung der Politik seit Ende der 1980er-Jahre, führte dazu, dass das Gesundheits- und Pflegesystem in weiten Teilen privatisiert und dem "Markt" überlassen wurde. Kommunale Einrichtungen, aber auch gemeinnützige Einrichtungen wurden von privaten Investoren aufgekauft. Viele Kommunen haben sich von den kostenintensiven Einrichtungen getrennt und so die pflegerische Versorgung und auch ihre Bedarfssteuerungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben.

Pflege wurde also zu einem lukrativen Geschäft...

Genau. Überall im Land wurden Investorenmodelle platziert, zum Teil mit Kapital aus Fonds, die zwischenzeitlich überwiegend aus dem Ausland gesteuert wurden. Skalierungseffekte wurden mit immer größeren Konzernen realisiert. Hier folgte die pflegerische Versorgung der Marktlogik, wie wir es aus anderen Wirtschaftszweigen kennen.

Welche Konsequenzen ergaben und ergeben sich daraus?

Nun, dies führte in den vergangenen Jahrzehnten teilweise zu mangelhafter Versorgungsqualität und zu diversen Pflegeskandalen, die durch das strikte Diktat der Effizienz- und Renditesteigerung ausgelöst und vor allem auf dem Rücken der Mitarbeitenden in der Pflege sowie den anderen Berufsgruppen in den Einrichtungen ausgetragen wurden. Letztendlich wurde der Berufsethos der Pflegenden ausgenutzt und so Gewinne aus unserem Sozialsystem in die Taschen von Großkonzernen und Aktionären geleitet. Da dies durch die Konstruktion der Pflegeversicherung und die Finanzierungsstruktur der sozialen Einrichtungen auch staatlich gewollt war, liegt hier meiner Meinung nach ein Politikversagen aller in den vergangenen 20 Jahren in Regierungsverantwortung befunden Parteien vor. Es gibt bis heute keine tragfähigen Lösungsansätze, die mehrheitsfähig sind. Weder die Union mit Jens Spahn, noch aktuell die SPD mit Karl Lauterbach scheinen sich der Tragweite der prekären Situation in den Einrichtungen und vor allem der betroffenen pflegebedürftigen Menschen bewusst zu sein. Wir haben jetzt schon Unterversorgungen, vor allem im ambulanten Bereich, die die Betroffenen zur Verzweiflung bringen. Man muss es deutlich sagen, im Jahr 2023 sterben Menschen in einem der reisten Länder der Welt, weil sie nicht pflegerisch versorgt werden können!

Warum sind Spekulationsgeschäfte in diesem sensiblen Markt überhaupt möglich?

Die Öffnung des Markts für Investoren sollte privates Kapital in den Pflegemarkt lenken. Mit Blick auf die demografische Entwicklung war schon Anfang der 1990er-Jahre klar, dass die Bedarfe deutlich steigen werden und immenser Investitionsbedarf, vor allem in die kostenintensiven stationären Einrichtungen, besteht. Man war sich sicher an der Stelle nicht bewusst, dass hier alle Marktmechanismen greifen. Es drängten nicht nur seriöse Kleinunternehmen und Familienbetriebe in den Markt, sondern auch immer mehr Großkonzerne. Dies wurde nicht zuletzt auch durch die rigide Verhandlungspraxis der Kostenträger in den Pflegesatzverhandlungen befördert. Je kleiner die Einrichtungen, desto größer der Kostendruck. Dem war nur mit immer größeren Trägerinnen und Trägern sowie Konzernstrukturen zu begegnen.

Die Altenpflege als Spielfeld privater, reicher Investorinnen und Investoren – wie ist das künftig zu verhindern? Reicht es, Renditen zum Beispiel zu deckeln? Denn deren Geld wird ja prinzipiell trotzdem benötigt für Investitionen in die Infrastruktur.

Unstrittig ist, dass wir vor einem großen Investitionsstau in veraltete Einrichtungen stehen und wir auch künftig neue Einrichtungen brauchen werden. Eine generelle Verstaatlichung von Einrichtungen, wie einige fordern, sehe ich nicht als sinnvoll und vor allem nicht als finanzierbar an. Pflege braucht einen gesunden Wettbewerb, jedoch muss der Staat hier regulierend eingreifen. Ich bin ein Freund der Deckelung von Renditen, die sich in einem ethisch vertretbaren Maß bewegen müssen. Es kann nicht sein, dass zu Zeiten einer Null-Zins-Politik im Gesundheitssektor teilweise zweistellige Renditen möglich waren und sind. Dies lockt unseriöse Anbieter und die Haifische der Finanzbranche an!

Mit welchen Maßnahmen sollte die Bundesregierung jetzt Einfluss nehmen?

Aktuell beobachten wir schon eine gewisse Marktbereinigung. Durch die Umsetzung des Tariftreuegesetzes, sind die Pflegeeinrichtungen seit September 2022 verpflichtet, Tariflöhne beziehungsweise an Tarifen orientierte Löhne für das Pflege- und Betreuungspersonal zu zahlen. Hierdurch wird eine Möglichkeit der Gewinnmaximierung auf Kosten der Mitarbeitenden in der Pflege weitgehend unterbunden. Nebeneffekt sind die deutlich steigenden Pflegesätze, die zulasten der Pflegebedürftigen gehen. Hier besteht dringend politischer Handlungsbedarf, auf den wir schon lange hinweisen. Als notwendige Maßnahmen bedarf es nun zum einen des schon angesprochenen Renditedeckels. Zum anderen muss die generelle Finanzierungsstruktur des Systems angegangenen werden. Wir brauchen jetzt schnellstmöglich die lang ersehnte Pflegereform. Vorschläge aus der Branche liegen vor, ich verweise hier nur auf die Initiative ProPflegereform und die Forderung des Sockel-Spitzen-Tauschs. Um die demografische Herausforderung zu meistern, brauchen wir mehr wohnortnahe und quartiersbezogene Pflegeangebote. Hier muss dringend mit weiteren Modellvorhaben und einer gezielten Förderung in den Kommunen gearbeitet werden. Auch die Länder und Kommunen sind dabei in der Pflicht. Alle Konzepte werden jedoch nur mit einem zielgerichteten Einsatz von Pflegefachpersonen und mit der Steigerung der Attraktivität des Berufsfelds möglich sein. Daher brauchen wir jetzt sektorenübergreifend einen "Masterplan-Pflege"!

Haben Sie im Bundesverband Pflegemanagement Handlungsmöglichkeiten?

Die Einflussmöglichkeiten des Bundesverbands und des Berufsstands an sich sind auch 2023 immer noch sehr begrenzt. Wir brauchen endlich entschlossenes politisches Handeln, um die Selbstverwaltung der Pflege aufzubauen und in die Entscheidungsgremien auf Bundes- sowie Landesebene verpflichtend zu integrieren. Nur wenn Pflege als größte Berufsgruppe entscheidungsberechtigt mit am Tisch sitzt, wird ein ganzheitlicher Fokus auf das System gelenkt werden. Wer es ernst meint mit einer guten Versorgung der hilfe- und pflegebedürftigen Menschen in unserem Land, muss jetzt ins Tun kommen. Über allem steht die gesamtgesellschaftliche Frage: "Was ist uns Pflege wert und was sind uns die Menschen wert, die diese wichtige Aufgabe in unserem Land übernehmen?"

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