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Pflege im Klimawandel

So gelingt Hitzeschutz im Pflegeberuf

Pflegende und Pflegebedürftige sind besonders gefährdet durch extreme Hitze – und der Sommer 2025 zeigt erneut, wie dringend nachhaltige Schutzmaßnahmen gebraucht werden. Was Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, ambulante Dienste und Politik jetzt tun müssen, um Leben zu schützen und Versorgung zu sichern, erläutert Gesundheits- und Krankenpfleger Kevin Galuszka im Interview.  

Herr Galuszka, warum ist Hitzeschutz in der Pflege aktuell ein so dringliches Thema – sowohl für Pflegebedürftige als auch für Pflegende?

Im Sommer 2023 sind in Deutschland mehr als 3.100 Menschen hitzebedingt gestorben – so viele wie seit Jahren nicht mehr. Diese Zahlen sollten niemanden überraschen, und doch fehlt es noch immer an der notwendigen Dringlichkeit in der politischen und pflegerischen Praxis. Anfang Juli wurden in Teilen Deutschlands bis zu 39 Grad gemessen und es bleibt abzuwarten, wie viele Menschen das letztlich das Leben kosten wird. So traurig es ist, wir müssen davon ausgehen, dass auch in diesem Sommer vermeidbare Todesfälle auftreten werden. Pflegebedürftige gehören zu den besonders gefährdeten Gruppen: Sie verspüren weniger Durst, sind häufig immobil, nehmen hitzeempfindliche Medikamente und können sich in vielen Fällen nicht ausreichend selbst helfen. Gleichzeitig arbeiten Pflegefachpersonen in einem Berufsfeld, das ohnehin mit hoher physischer und psychischer Belastung einhergeht. Hitze verschärft diese Bedingungen, erhöht das Risiko für Erschöpfung, Kreislaufprobleme sowie Fehler und belastet somit beide Seiten – die zu pflegenden Menschen und die, die täglich Verantwortung für deren Gesundheit übernehmen. Hitzeschutz ist deshalb nicht nur ein gesundheitliches Thema, sondern auch eine Frage der Fürsorgepflicht, der Personalverantwortung und der Resilienz unserer Versorgungssysteme.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit im Kontext von Hitzeschutzmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen?

Nachhaltigkeit und Hitzeschutz hängen unmittelbar miteinander zusammen. Wer heute in bauliche Maßnahmen investiert, die Innenräume kühl zu halten – etwa durch Verschattung, Dämmung, Begrünung oder natürliche Belüftung –, schützt nicht nur kurzfristig vor akuten Hitzebelastungen, sondern reduziert auch langfristig den Energieverbrauch und die Abhängigkeit von klimaschädlicher Technik. Einrichtungen, die Gründächer, Fassadenbegrünung oder ein Regenwassermanagement nach dem Schwammstadt-Prinzip integrieren, reduzieren nicht nur die Umgebungstemperatur, sondern fördern auch die Biodiversität und das Mikroklima. Das Zusammendenken von Klimaresilienz und nachhaltiger Infrastruktur wird somit zur Zukunftsaufgabe – auch für den Pflegebau. Klar ist aber auch: Solche Maßnahmen benötigen politischen Willen und Finanzierung. Ohne gezielte Investitionen in klimarobuste Pflegeeinrichtungen bleibt Nachhaltigkeit ein Papiertiger. Das gilt für Neubauten ebenso wie für energetische Sanierungen bestehender Gebäude. Pflegeeinrichtungen stehen hier oft vor massiven Herausforderungen, besonders wenn sie in gemeinnütziger oder kommunaler Trägerschaft sind. Deshalb sind klare Förderstrukturen, technische Beratung und langfristige Planungssicherheit notwendig. Entscheidend ist auch, dass die Kosten nicht wieder auf Pflegebedürftige oder deren Angehörige abgewälzt werden. Hitzeschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss daher auch über öffentliche Mittel aus den Bereichen Gesundheitswesen, Sozialpolitik und Klimaanpassungsförderung getragen werden. Nur so lassen sich faire und solidarische Lösungen in allen Versorgungssettings verwirklichen.

Welche konkreten Maßnahmen sollten Träger und Leitungspersonen ergreifen, um Hitzeschutz nachhaltig zu verankern?

Die Anforderungen an Hitzeschutz unterscheiden sich je nach Versorgungssetting, doch sie alle haben eines gemeinsam: die Notwendigkeit struktureller Vorbereitung. In stationären Pflegeeinrichtungen sind abgestimmte Hitzeaktionspläne, klar definierte Zuständigkeiten, bauliche Anpassungen sowie geschulte Teams, die im Ernstfall schnell und routiniert handeln können, erforderlich. In der ambulanten Pflege sind die Herausforderungen häufig größer, da Strukturen, personelle Ressourcen und finanzielle Mittel fehlen. Umso wichtiger ist es, Träger hier mit verbindlichen Vorgaben, Fortbildungsangeboten und kommunalen Unterstützungsstrukturen zu stärken. In Krankenhäusern stellen sich wiederum spezielle Anforderungen. Besonders betroffen sind Notaufnahmen, Intensivbereiche oder geriatrische Stationen. Diese erfordern spezifische Raumkonzepte, eine funktionierende Kühltechnik und eine vorausschauende Medikamentenlogistik. Hitzeschutz ist eine Aufgabe, die sektorenübergreifend strategisch zu denken, gesetzlich zu verankern und finanziell abzusichern ist.

Wie können Pflegefachpersonen hitzebedingte Gesundheitsrisiken im Alltag frühzeitig erkennen und darauf reagieren?

Pflegefachpersonen sind oft die Ersten, die hitzebedingte Gesundheitsrisiken erkennen – vorausgesetzt, sie haben die entsprechende Schulung erhalten und ausreichend Zeit. Symptome wie Verwirrtheit, Schwindel, Schwäche oder Kreislaufprobleme dürfen nicht bagatellisiert werden, sondern müssen sofortige Maßnahmen erforderlich machen. Dazu gehören gezielte Beobachtung, Flüssigkeitsgabe, Kühlung, Anpassung der Tagesstruktur und gegebenenfalls ärztliche Rücksprache. Auch die Medikation muss kritisch geprüft werden, denn viele Arzneimittel entfalten unter Hitze veränderte Wirkungen. Damit all dies gelingt, sind klare Abläufe im Team, eine offene Fehler- und Informationskultur sowie Leitlinien, an denen sich Pflegende orientieren können, unerlässlich. Hitzeschutz sollte auch Teil der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz sein – gerade im Gesundheits- und Pflegebereich.

Welche einfachen, aber wirksamen Hitzeschutzmaßnahmen lassen sich auch in ambulanten Settings umsetzen?

Auch im ambulanten Setting sind wirkungsvolle Hitzeschutzmaßnahmen möglich – etwa durch angepasste Einsatzzeiten, häusliche Abdunkelung, Trinkhilfen, Aufklärung der Angehörigen oder Nutzung mobiler Ventilatoren. Doch solche Maßnahmen allein reichen nicht aus, wenn es keine verlässlichen Strukturen gibt, die die Träger dabei unterstützen. Das ehemalige Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen, das inzwischen im neuen Landesamt für Gesundheit und Arbeitsschutz aufgegangen ist, hat Kommunen und stationäre Pflegeeinrichtungen bereits in der Vergangenheit beim Aufbau von Hitzeaktionsplänen unterstützt und Informationsmaterialien für die stationäre Pflege entwickelt. Nun soll der Fokus explizit auf den ambulanten Bereich ausgeweitet werden: Das Landesamt plant, auch hier Hilfen, Vorlagen und Materialien bereitzustellen. Als Pflegekammer NRW möchten wir diesen Prozess begleiten. Wir möchten unsere pflegefachliche Perspektive frühzeitig einbringen, damit praxistaugliche Materialien und Unterstützungsangebote für die ambulante Pflege entstehen. Entscheidend ist, dass die Stimme der beruflichen Praxis bei der Entwicklung solcher Instrumente von Anfang an Gehör findet.

Wie kann die Ausbildung von Pflegefachpersonen besser auf klimabedingte Herausforderungen wie Hitzewellen vorbereiten?

Die Klimakrise ist längst im Pflegealltag angekommen, doch es fehlen noch immer systematische Konzepte, um Pflegepersonal auf diese Herausforderungen vorzubereiten. Hitzeschutz muss verbindlicher Bestandteil der Ausbildung sein sowie ebenso in der Fort- und Weiterbildung verankert werden. Es reicht nicht aus, das Wissen einmalig zu vermitteln. Vielmehr muss das Fachwissen kontinuierlich in die Teams integriert werden – durch Schulungen, Praxisanleitungen, multiprofessionelle Fallbesprechungen oder digitale Lernangebote. Dies betrifft Auszubildende ebenso wie examinierte Pflegefachpersonen. Die Inhalte sollten verbindlich in Rahmenpläne und Prüfungsverordnungen integriert werden. Erste Modellversuche zeigen, wie sich Klimakompetenz in der Pflegeausbildung umsetzen lässt. Es braucht jedoch flächendeckende Standards.

Welche politischen Rahmenbedingungen braucht es, um Hitzeschutz in der Pflege flächendeckend umzusetzen?

Für einen effektiven Hitzeschutz braucht es eine klare gesetzliche Grundlage. Bisher existieren vor allem Empfehlungen, doch ohne verbindliche Vorgaben auf Landes- und Bundesebene wird sich der Schutz vor Hitzefolgen nicht flächendeckend durchsetzen. Die Landesregierung NRW unterstützt derzeit, wie erwähnt, Kommunen bei der Erstellung von Hitzeaktionsplänen – ein wichtiger Schritt. Doch viele Bundesländer und insbesondere viele Kommunen stehen noch ganz am Anfang und erhalten keine Unterstützung. Es braucht eine bundesweite Strategie, die klare Zuständigkeiten definiert, Fördermittel bereitstellt und Hitzeschutz als Teil der Daseinsvorsorge anerkennt. Gleichzeitig muss sich auch der pflegerische Alltag ändern. Aufgaben wie Temperaturdokumentation, Risikoeinschätzung, Flüssigkeitsmanagement und interprofessionelle Abstimmung müssen künftig zur pflegerischen Routine gehören. Hitzeschutz ist keine Zusatzaufgabe, sondern Bestandteil moderner Pflegequalität.

Was wünschen Sie sich von der Pflegepraxis, um das Thema Hitzeschutz nicht nur als kurzfristige Reaktion, sondern als Teil nachhaltiger Pflege zu etablieren?

Hitzeschutz darf nicht nur eine Reaktion auf Extremwetterlagen sein, sondern muss als Teil einer nachhaltigen, vorsorgenden Pflege verstanden werden. Dafür ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich: weg von kurzfristigen Maßnahmen, hin zu einer strukturellen Verankerung in Ausbildung, Praxis, Versorgungssystemen und politischen Rahmenbedingungen. Die Pflegepraxis kann hierbei eine treibende Kraft sein, insbesondere, wenn sie mutig neue Rollen annimmt, ihre Expertise sichtbar macht und sich aktiv in kommunale sowie gesundheitspolitische Prozesse einbringt. Benötigt werden Pflegefachpersonen, die nicht nur Symptome behandeln, sondern auch frühzeitig auf Risiken aufmerksam machen – sei es im Quartier, im Pflegeheim, im Krankenhaus oder in der ambulanten Versorgung. Dazu gehören neue Qualifikationsprofile wie Community Health Nurses und Advanced Practice Nurses mit klima- und umweltbezogener Spezialisierung, aber auch generalistisch ausgebildete Pflegefachpersonen, die sich als klimaresiliente Gesundheitsakteure begreifen. Wichtig sind auch die Akademisierung und ein pflegewissenschaftlicher Zugang, um pflegerisches Wissen mit evidenzbasierter Klimaanpassung zu verbinden. Darüber hinaus ist Pflege systematisch in kommunale Klimaanpassungsstrategien einzubinden, beispielsweise bei der Stadtplanung, der Ausgestaltung von Hitzeaktionsplänen oder der Entwicklung klimaresilienter Quartiere. Die Erfahrungen und Bedürfnisse aus der Pflegepraxis dürfen bei solchen Prozessen nicht länger am Rande stehen. Genau hier sehe ich eine besondere Rolle für die Pflegekammer. Sie kann als zentraler Knotenpunkt fungieren. Sie bündelt pflegebezogenes Wissen, bereitet wissenschaftliche Erkenntnisse praxisnah auf, wirkt in Netzwerke hinein und vertritt die Interessen der Pflege in Politik und Öffentlichkeit. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts hat sie zudem die Legitimation, langfristige Standards zu setzen und Innovationen anzustoßen. Wir begreifen Hitzeschutz nicht als Zusatzaufgabe, sondern als Teil eines umfassenden pflegepolitischen Strukturwandels und übernehmen diese Verantwortung. Die Klimakrise wird unseren Berufsalltag dauerhaft verändern. Es liegt an uns, ob wir diesen Wandel nur verwalten oder aktiv gestalten.

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