Im Rahmen des Pflegebonusgesetzes hat der Gesetzgeber in der Vorwoche auch die Regelungen zur Tariftreue in Pflegeeinrichtungen nachgeschärft. Doch die ab September geltende Tariftreueregelung in der Pflege sorgt weiter für Unmut unter privaten Pflegeheimbetreibenden. Der bisherige Umsetzungsprozess sei realitätsfern und chaotisch. Nach einer ersten Verfassungsbeschwerde im September vergangenen Jahres haben sich die beschwerdeführenden Unternehmen nun erneut mit einem ergänzenden Schriftsatz an das Bundesverfassungsgericht gewandt.
Bundesverfassungsgericht erneut angeschrieben
Unterstützt werden die Pflegeunternehmen von ihren Verbänden – Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB), Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und bpa Arbeitgeberverband. VDAB-Bundesvorsitzender Stephan Baumann sagte dazu:
"Die anzuwendenden gesetzlichen Regelungen und Richtlinien versetzen bisher nicht tarifgebundene Pflegeunternehmen in die Zwangslage, Tarifstrukturen verbindlich anzuwenden, die sie nicht kennen. Darüber hinaus sollen sie das sog. 'regional übliche Entgeltniveau' auf Landesebene als verbindliche Lohnuntergrenze gegen sich gelten (…) lassen, obwohl deren Datengrundlage völlig intransparent und nicht valide ist."
Selbst der Gesetzgeber weise in einem ergänzenden Gesetzentwurf darauf hin, dass "entgegen der gesetzlichen Verpflichtung" ein Teil der an Tarifverträge oder an kirchliche Arbeitsrechtsregelungen gebundenen Pflegeeinrichtungen "nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig alle angeforderten maßgeblichen Informationen gemeldet hat". Weiter heiße es in der Begründung zu dem Gesetzentwurf, dass "für die nicht tarif- oder kirchenarbeitsrechtlich gebundenen Pflegeinrichtungen der Zugang zu den Regelungen und Entgelttabellen von regional anwendbaren Tarifwerken und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zum Teil nur sehr eingeschränkt möglich ist".
Zeitdruck und Blindflug für Pflegeeinrichtungen
Damit würden Pflegeeinrichtungen und Pflegepersonal ins Chaos gestürzt, kritisierte bpa-Präsident Bernd Meurer. Sie müssten die handwerklichen Fehler im Gesetz ausbaden und eine "derart weitreichende Entscheidung über die zukünftige Entlohnungsgestaltung unter Zeitdruck und im Blindflug treffen".
"Das ist ein inakzeptables Vorgehen, das rechtlich zu überprüfen ist."
Mehr als 20.000 Pflegeeinrichtungen müssten nun innerhalb weniger Wochen eine neue versorgungsvertragliche Grundlage erhalten und eine Refinanzierungsvereinbarung mit den Kostenträgern verhandeln, die ebenso überlastet seien und sich für einen realistischen Umsetzungstermin eingesetzt hätten.
Entscheidung des Gerichts steht noch aus
Noch hat das Bundesverfassungsgericht keine Entscheidung in der Sache gefällt. Derzeit sei auch nicht absehbar, wann damit zu rechnen sei, sagte der stellvertretende Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts, Jonas Heimbach, gegenüber BibliomedPflege.
Während einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags Ende April hatte bereits der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe die Regelung zur Tariftreue als "unzureichend" kritisiert. Einerseits seien nicht alle Tarifverträge öffentlich zugänglich und andererseits die öffentlich zugänglichen Zahlen nicht valide und vergleichbar. Einrichtungsträgerinnen und -träger wüssten aktuell nicht, wie sie ihre Mitarbeitenden ab September langfristig bezahlen sollten.
Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung und der Deutsche Pflegerat sehen in der Verfassungsbeschwerde der Pflegeunternehmen allerdings den Versuch, höhere Löhne in der Pflege abzuwenden.