• 28.04.2025
  • Bildung
Virtual Reality in der Pflegeausbildung

"Der Inbegriff moderner Lehre"

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 5/2025

Seite 30

Die Pflegeschule des St. Marien- und St. Annastiftskrankenhauses in Ludwigshafen setzt seit 2023 Virtual Reality im Unterricht ein. Wie das innovative Lernkonzept funktioniert und bei den Auszubildenden ankommt.

Herr Graber, wo genau setzen Sie Virtual Reality, kurz VR, im Unterricht ein?

Die Einsatzgebiete von VR sind im theoretischen Unterricht für die Ausbildungsberufe der Pflegefachfrau und des Pflegefachmanns, der Gesundheits- und Krankenpflegehilfe sowie der Operationstechnischen Assistenz angesiedelt. Über einen externen Dienstleister können wir auf über 50 Simulationen zurückgreifen, aktuell verwenden wir davon zwölf. Diese bilden unterschiedliche Realsituation in der Pflege von Pädiatrie bis Geriatrie virtuell ab.

Wie gestalten Sie den Unterricht mit der Technologie?

Insgesamt ist der theoretische Unterricht interaktiv, verteilt auf vier Lerninseln. Die Auszubildenden lernen in Kleingruppen und rotieren zwischen den Stationen. Die VR-Übung findet an einer der Inseln statt, eine andere erfolgt mit dem „Nursing Anne“-Simulator – einer modularen Plattform, die das Üben unterschiedlicher Pflegesituationen ermöglicht. Wird beispielsweise das Krankheitsbild Bronchitis oder Pneumonie ausgewählt, können die angehenden Pflegekräfte anhand der interaktiven Puppe mit einem Stethoskop Atmung und der Atemgeräusche messen. Das Anziehen von Schutzkitteln, Mundschutz und Handschuhen üben die Auszubildenden separat an einer anderen Lerninsel. Das liegt daran, dass VR die Haptik noch nicht abbilden kann; in der virtuellen Welt geht die angehende Pflegekraft zum Patienten, hat dabei schon die Handschuhe an. Eine weitere Lerninsel beinhaltet einen Lese- oder Arbeitsauftrag mit inhaltlichen Fragen. Alle 50 Minuten wechseln die Auszubildenden zur nächsten Station. Dazwischen gibt es eine zehnminütige Pause. Am Nachmittag werden alle Ergebnisse zusammengetragen.

Und wie funktioniert die VR-Insel?

Die Auszubildenden ziehen die digitalen Brillen in einem etwa zwei mal zwei mal zwei Meter großen Raum auf. Möglich ist die Verwendung aber in jedem beliebigen Raum, man braucht quasi keinen separaten Demoraum mehr. Dann wird eine Auswahlübersicht in der Simulation angezeigt. Durch Klicken auf „Start“ wird der Auszubildende dann in das virtuelle Krankenzimmer versetzt, wo ein Avatar als Patient vor ihm liegt. Ein großer Vorteil ist der Multiplayermodus, der das gemeinsame Arbeiten zu zweit ermöglicht. Dabei ist der Lehrer oder ein anderer Auszubildender als blaues Männlein ebenso in der Simulation dargestellt. Beide können miteinander sprechen, sich austauschen.

Was genau sehen die Auszubildenden denn in der Simulation?

In dem virtuellen Patientenzimmer findet sich alles Notwendige: ein höhenverstellbares Patientenbett, ein Sauerstoffanschluss, ein Medikamentenanschluss, Infusionen und ein Blutdruckmesser. Auch ein Stethoskop liegt bereit. Wenn der Patient Asthma hat, kann damit die Lunge abgehört werden. Bei einem simulierten Asthmaanfall ist ein Geräusch zu hören. Ebenso können die Auszubildenden den Puls messen, der Herzschlag ist über den Controller spürbar. Über dem Bett befindet sich die Patientenakte. Darin stehen alle notwendigen Daten, inklusive der konkreten Lernaufgabe. Der Lehrer schaltet sich per Laptop dazu und sieht aus der Vogelperspektive zu, was die Auszubildenden machen, gibt Hilfestellungen und Anweisungen.

Wie nehmen die übrigen Auszubildenden parallel an der simulierten Übung teil?

Per Live-Streaming verfolgen die anderen auf einem Smartboard all das, was der VR-Träger sieht. Theoretisch können sie auch helfen und ebenso Tipps geben, beispielsweise wo Medikamente zu finden sind.

Wie kommt das Lernkonzept bei den Auszubildenden an?

Sie finden die Lerninseln spannend. Die virtuelle Szenerie ist sehr realistisch gebaut. Die interaktive Lernmethode kommt gut an, das ist kein trockenes Lernen am Buch. Mit der VR-Brille fühlen sie sich wie auf einer Station. Sie sprechen dann mit dem virtuellen Patienten wie mit einem realen Patienten. Und auch Unvorhergesehenes ist jederzeit möglich. In manchen Szenarien kann auch ein Angehöriger auf dem Stuhl am Patientenbett sitzen – ein Avatar eines Angehörigen. Und wenn der Auszubildende nicht direkt reagiert, dann spricht der auch mal plötzlich los, weist auf Schmerzen des Patienten hin. Das Lernprogramm übt so realistisch wie möglich, ist von Pflegenden für Pflegende gemacht.

Spielt künstliche Intelligenz auch eine Rolle?

Ja, jede Antwort des Patientenavatars ist anders und wechselt. Es gibt eine Auswahl an verschiedenen Antworten in der Voreinstellung, die situationsbedingt kommen.

Wie lange dauert eine Unterrichtseinheit mit VR-Brille?

Eine Simulation dauert circa 20 bis 25 Minuten. Dann wird sie gestoppt und die Aufzeichnung abgespeichert. Die Auszubildenden können sich die gesamte Aufnahme zu Hause noch einmal ansehen und reflektieren. Für die persönliche Freischaltung erhalten sie einen Code, online ist das Video dann abrufbar.

Was sind die Vorteile von VR in der Pflegeausbildung?

VR allein macht die Ausbildung nicht besser, sondern ist stets ein ergänzender Teil. Ganz ohne Materialverbrauch oder Gefährdung von Patienten können die Auszubildenden essenzielle Praxisanteile so oft üben, wie notwendig. Manche schaffen die Aufgaben in zwei bis drei Versuchen, theoretisch haben sie aber unendlich viele Versuche in der Simulation.

Welche Funktionen bieten die VR-Brillen außerdem?

Die Modelle können auch Mixed Reality, kurz MR. Bei MR beschränkt sich die Simulation beispielsweise auf ein Organ, die Umgebung im realen Raum bleibt weiterhin gleich sichtbar. Ein schlagendes Herz kann größer und kleiner gezoomt werden, mit dem Kopf kann der MR-Träger sogar regelrecht eintauchen, Herzklappen oder -kammern im Detail betrachten und beobachten, wie das Herz das Blut pumpt. Veränderungen des Sauerstofftransports durch Rauchen oder fettige Ernährung können ebenso angezeigt werden.

Wie kam es überhaupt zu der Idee, VR in der Pflegeschule zu etablieren?

Privat habe ich mir im Jahr 2022 eine BR-Brille angeschafft. Durch Zufall bin ich auf das Potenzial gestoßen, die Technik auch im Pflegeschulunterricht einzusetzen. Als ich mit der Idee an die Klinikleitung herangetreten bin, die Hardware anzuschaffen, war Geschäftsführer Jürgen Will direkt begeistert.

Was waren die wichtigsten Meilensteine in der Implementierung?

Wir haben Anfang 2023 mit der Umsetzung begonnen. Seit Mitte 2023 haben wir die VR-Brillen fest im Programm und Curriculum verankert. In der zweiten Jahreshälfte 2023 haben wir mit der praktischen Umsetzung begonnen und bis Ende des Jahres die erste Projektphase erfolgreich abgeschlossen. Seither sind wir mitten im Prozess der Weiterentwicklung und Ausweitung.

Welche Learnings haben Sie bisher gesammelt?

Die klassischen Probleme, wie ein schwarzer Bildschirm oder Updates, traten immer wieder auf. Das sind bis heute zumeist ganz banale Themen. Bei der Anwendung der Simulationen ist es wichtig, die Kollegen nicht zu überfordern, da es sich um einen komplett neuen Unterrichtsteil, aber auch -ablauf handelt. Wir arbeiten schrittweise daran, die Inhalte in den Unterricht zu integrieren – bis heute.

Wie viele Lehrende arbeiten mit der Technik?

Drei Lehrkräfte, inklusive mir, haben im Moment den Hut rund um das Thema auf. Zwei Kolleginnen lehren aber inzwischen auch mit VR.

Was kosten die VR-Brillen in der Anschaffung?

Wir haben im Moment vier Stück, aber wollen bis zu sechs anschaffen, sodass wir mit drei Gruppen parallel in verschiedene Simulationen gehen können. Pro Stück haben wir 300 Euro gezahlt.

Welche laufenden Kosten kommen obendrauf?

Das Programm kostet zusätzlich eine Lizenzgebühr. Wartungskosten gibt es keine. Alle paar Wochen gibt es ein Update. Vor Vertragsabschluss gibt es einen zweiwöchigen Probezugang, um sich zu Beginn mit dem System auseinanderzusetzen. Anschließend kann mit der Firma über den Preis verhandelt werden. Das Preis-Leistungs-Verhältnis passt im Hinblick auf die Ersparnisse für Equipment.

Sollte VR fester Bestandteil in Pflege­schulen werden – wo geht da in Zukunft die Reise hin?

Absolut, VR ist zukunftsweisend in der Pflegeausbildung. Das ist der Inbegriff moderner Lehre. So können wir mehr Auszubildende in den Pflegeberuf locken. Der Nachwuchs findet Innovationen wie diese einfach spannend, ist direkt interessiert – ein doppelter Nutzen. Für uns hat sich damit herauskristallisiert, dass das Arbeiten mit digitalen Tools wie VR-Brillen einfach eine positivere Stimmung bei den Auszubildenden erzeugt. Genau das ist die Stellschraube, um mehr junge Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen.

*

Autor

WEITERE FACHARTIKEL AUS DEN KATEGORIEN