• 02.05.2020
  • Praxis
Schutz für Pflegende in der Corona-Krise

Die psychische Gesundheit stärken

Diese institutionellen und individuellen Maßnahmen tragen während der COVID-19-Krise zur Gesunderhaltung des Pflegepersonals bei.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 5/2020

Seite 30

Pflegende leisten in der Versorgung von Patienten mit COVID-19 einen herausragenden Beitrag. Sie sind dabei jedoch auch immensen Belastungen ausgesetzt. Das Autorenteam fasst institutionelle und individuelle Maßnahmen zusammen, um zur Gesunderhaltung des Pflegepersonals beizutragen.

Befragungsergebnisse aus den von der Pandemie zuerst betroffenen Gebieten in China weisen auf eine erhöhte psychische Belastung von Pflegenden hin, die sich in Schlafproblemen sowie Symptomen von Depressionen und Angsterkrankungen äußert [1].

Auch hierzulande ist das medizinische Personal in der Versorgung von Patientinnen und Patienten (im Folgenden: Patienten) mit COVID-19 immensen Belastungen ausgesetzt. Pflegende müssen daher gerade in der gegenwärtigen Krise auf eine höchstmögliche Fürsorge seitens der Verantwortlichen von Gesundheitseinrichtungen vertrauen können. Das Bundesministerium für Gesundheit [2] sowie die Konzertierte Aktion Pflege [3] haben vielfältige Maßnahmen zum institutionellen Schutz von Pflegenden vorgestellt:

  • angemessene infektionsschützende Ausstattung (z. B. Mundschutz, Handschuhe, Arbeitskleidung, Desinfektionsmittel)
  • kontrollierte Arbeits- und Ruhezeiten
  • Vermeidung von Überstunden
  • weitere unterstützende Angebote für die eigene Lebensführung (z. B. Unterstützung im Bereich Arbeitswege, Lebensmittelversorgung)
  • kontinuierliche betriebliche Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken vor Ort
  • kontinuierliche betriebliche ärztliche Versorgung (regelmäßiger Kontakt zur eigenen ärzt- lichen/gesundheitlichen Versorgung)
  • Angebot von Massagen und physiotherapeutischen Maßnahmen vor Ort
  • Angebote von Supervision, Gesprächen zur persönlichen Lage und Begleitung in Glaubensfragen vor Ort
  • Einrichten von Ruhezonen und Ruheräumen, ggf. Übernachtungsmöglichkeiten in den Kliniken, wenn Pflegende ihre Angehörigen vor Infektion schützen wollen
  • Einrichtung von angemessenen Besprechungs- und Reflexionsräumen
  • Einrichtung eines psychologischen Teams, das Strategien zur psychologischen Unterstützung der Mitarbeitenden entwickelt und allgemeine und gezielte Hilfsangebote bereitstellt wie Onlinekurse zur Stressbewältigung, persönliche Beratung und Krisenintervention [5].

Was man selbst tun kann

Diese und weitere Angebote gibt es in einigen Gesundheitseinrichtungen bereits teilweise. Angesichts der aktuellen Situation ist es von besonderer Bedeutung, Schutzmaßnahmen schnellstmöglich in allen Einrichtungen anzuregen, wobei eine nachhaltige finanzielle Absicherung bedacht werden sollte. Die psychische und physische Gesunderhaltung von Pflegenden wird ganz wesentlich durch solche strukturellen Angebote sichergestellt.

Neben strukturellen Maßnahmen sollten Pflegende auch ihr eigenes Verhalten in diesen überaus belastenden Zeiten im Blick behalten. Zunächst ist zu beachten, dass die aktuelle Lage eine berufliche wie private Ausnahmesituation darstellt, bei deren Bewältigung die Mehrheit der Betroffenen bisher über keine persönlichen Erfahrungswerte verfügt.

Die Weltgesundheitsorganisation [5] weist im Rahmen einer „psychologischen Ersten Hilfe“ auf verschiedene Aspekte und Strategien hin, die kurzfristig bei der Bewältigung der aktuellen Anforderungen helfen können:

  • Sich bewusst machen, dass starkes Stresserleben der aktuellen Situation geschuldet ist. Daraus sind keine Rückschlüsse über die persönliche berufliche Eignung zu ziehen.
  • Auf die eigene psychische Gesundheit genauso sehr achten wie auf die körperliche Gesundheit.
  • Auf sich Acht geben und funktionale Bewältigungsstrategien nutzen. Hierzu gehören aus- reichend Ruhepausen und Erholungszeiten während der Arbeit und zwischen Arbeitsein-sätzen, ausgewogene Ernährung und gesunde Nahrungsmittel sowie körperliche Aktivität.
  • Dysfunktionale Bewältigungsstrategien wie Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum vermeiden, da diese gesundheitlich schädigen.
  • Auf regelmäßigen Kontakt zu Familienangehörigen und Freunden achten. Hierzu bietet sich auch die Kommunikation über die sozialen Medien an, falls das Risiko oder die Angst vor einer Ansteckung im sozialen Umfeld groß ist. Hilfreich kann auch sein, sich im beruflichen Umfeld über Eindrücke und Erfahrungen austauschen.

Resilienz kommt hohe Bedeutung zu

Nachrichten über die Coronavirus-Pandemie sollten mit Augenmaß konsumiert werden [5]. So ist es z. B. ausreichend, Informationen über aktuelle Veränderungen der Situation ein- bis zweimal täglich zu vorher festgelegten Tageszeiten, in festgelegter Dauer und über neutral berichtende, seriöse Medien zu verfolgen. Pflegende sollten versuchen, sich an Fakten zu orientieren. Falschmeldungen und Verschwörungsmythen führen bei den meisten Menschen zu erhöhter Angst.

Für Personen, die aktuell von der Arbeit freigestellt sind und sich in häuslicher Quarantäne befinden, empfiehlt es sich, auf die Wahrung der Tagesstruktur zu achten und z. B. die gewohnten Wach- und Schlafzeiten nicht zu sehr zu verändern.

Neben diesen kurzfristigen Notfallstrategien lassen sich aus der Literatur weitere, eher längerfristige Strategien ableiten. In diesem Zusammenhang kommt dem Konzept der Resilienz [6], der Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit während oder nach widrigen Ereignissen, eine hohe Bedeutung zu. In der wissenschaftlichen Literatur wird eine Vielzahl von Schutzfaktoren berichtet [7]. Tabelle 1 enthält eine zusammenfassende Aufstellung dieser sogenannten Resilienzfaktoren und gibt Anregungen zur praktischen Umsetzung [8].

Für Pflegende ist es sinnvoll zu reflektieren, welche dieser Übungen für sie selbst praktizierbar und gesundheitsfördernd sind. Einige Übungen bedürfen einer gewissen Einübung und zeigen ihre Wirkung erst, wenn sie häufiger erfolgt sind.

Förderlich bei der Umsetzung ist eine zuverlässige Unterstützung durch Führungspersonen, die dafür Sorge tragen sollten, dass die Pflegenden einige dieser Übungen auch tatsächlich arbeitsplatznah erlernen und ausführen können.

Auch dem Thema Achtsamkeit kommt in der aktuellen Situation eine besondere Bedeutung zu: Sie wird als Lenkung der Aufmerksamkeit auf die im gegenwärtigen Moment vorhandenen Wahrnehmungen – bewusst, absichtsvoll und nicht wertend – verstanden [9]. Die gerade in Belastungssituationen häufige Beschäftigung mit der Vergangenheit oder der Zukunft (sorgenvolles Grübeln) wird zumindest für eine begrenzte Zeit zugunsten der Wahrnehmung der aktuellen Situation zurückgestellt. Zumeist geht das Einüben von Achtsamkeit zunächst mit einem gewissen zeitlichen Aufwand einher.

Studien bei Pflegenden weisen auf die nachhaltige Wirksamkeit von Achtsamkeit bei Stressbelastung hin [10]. Da gerade in der aktuellen Situation Gruppenprogramme aus zeitlichen Gründen nicht in Anspruch genommen werden können oder nicht verfügbar sind, können einzelne Übungen durchgeführt werden, welche zunächst sehr einfach erscheinen mögen, aber deren Wirksamkeit sehr gut belegt ist: „Achtsames Gehen“ etwa bedeutet, während des Gehens seine Aufmerksamkeit auf den Akt des Gehens zu lenken – selbst wenn es „nur“ die eiligen Schritte von der Station zum Patientenzimmer sind.

Besondere Aufmerksamkeit sollte auch dem kollegialen Miteinander geschenkt werden: Zeiten hoher Anspannung führen dazu, dass die Nerven „blank liegen“ und automatisierte Reaktionen schneller angestoßen werden, was sowohl im privaten wie im beruf- lichen Kontext zu nichthilfreichen Auseinandersetzungen führen kann. Achtsamkeit kann in diesem Kontext dazu beitragen, die emotionalen Reaktionen zunächst wahrzunehmen und nicht automatisiert zu reagieren.

[1] Lai J, Ma S, Wang Y et al. Factors Associated With Mental Health Outcomes Among Health Care Workers Exposed to Coronavirus Disease 2019. JAMA Netw Open. 02 2020; 3 (3): e203976

[2] Bundesministerium für Gesundheit. Förderung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens am Arbeitsplatz. www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung/gesundheit-und-wohlbefinden-am-arbeitsplatz.html, Zugriff: 08.04.2020

[3] Konzertierte Aktion Pflege. Abschlussbericht 2019. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/ Dateien/3_Downloads/K/Konzertierte_Aktion_ Pflege/191129_KAP_Gesamttext__Stand_11.2019_3._ Auflage.pdf, Zugriff: 08.04.2020

[4] Kang L, Li Y, Hu S et al. The mental health of medical workers in Wuhan, China dealing with the 2019 novel coronavirus. Lancet Psychiatry. 2020; 7 (3): e14

[5] World Health Organisation. Mental Health Considerations during COVID-19 Outbreak. apps.who.int/iris/handle/ 10665/331490, Zugriff: 08.04.2020

[6] Bonanno GA, Westphal M, Mancini AD. Resilience to loss and potential trauma. Annu Rev Clin Psychol. 2011; 7: 511–535

[7] Bengel J, Lyssenko L. Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter [Resilience and protective psychological factors in adults]. 3.2. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Herausgeber. Köln; 2012

[8] Gilan DA, Kunzler A, Lieb K. Gesundheitsförderung und Resilienz. PSYCH Up2date. März 2018; 12 (02):155–169

[9] Michalak J, Heidenreich T, Williams J. Achtsamkeit. Göttingen: Hogrefe; 2012

[10] Spinelli C, Wisener M, Khoury B. Mindfulness training for healthcare professionals and trainees: A meta-analysis of randomized controlled trials. J Psychosom Res. 2019; 120: 29–38

 

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