• 17.01.2020
  • Praxis
Hygienemanagement

Umgang mit MRE in der ambulanten Pflege

Eine aktuelle Untersuchung liefert wertvolle Hinweise, um das Hygienemanagement ambulanter Pflegedienste zu verbessern und die Patientensicherheit zu erhöhen.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 9/2019

Seite 18

Ein wirksames Hygienemanagement soll Infektionen mit und Übertragungen von multiresistenten Erregern (MRE) in der ambulanten Versorgung pflege­bedürftiger Menschen vermeiden. Eine Untersuchung der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Forschungsgruppe Geriatrie – AG Pflegeforschung, und des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) liefert wertvolle Hinweise, um das Hygienemanagement ambulanter Pflegedienste zu verbessern sowie die Patientensicherheit und somit die Versorgungsqualität zu erhöhen. 

Die Zahl pflegebedürftiger Menschen in der ambulanten Versorgung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – von 2,5 Millionen im Jahr 2011 auf 2,86 Millionen im Jahr 2015 [1] – und wird auch künftig weiter ansteigen. Im Zuge der Pflegestärkungsgesetze und der damit verbundenen Einführung des neuen, weiter gefassten Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Pflegegrade erhöhte sich die Zahl Pflegebedürftiger bis Dezember 2017 auf insgesamt 3,41 Millionen [2].

Aktuell werden etwas mehr als drei Viertel (76 Prozent bzw. 2,59 Millionen) der Betroffenen in der eigenen Häuslichkeit versorgt [1]. So hat in den vergangenen Jahren das Thema Hygiene – insbesondere in der ambulanten Versorgung Pflegebedürftiger – zunehmend an Bedeutung gewonnen. Denn ambulante Pflegedienste versorgen immer mehr schwer und mehrfach Erkrankte mit bereits grundsätzlich erhöhtem Infektionsrisiko [3]. Und auch die Zahl der von multiresistenten Erregern (Textkasten: Healthcareassoziierte Infektionen) im ambulanten Bereich betroffenen Pflegebedürftigen wächst [4].

Eine solche Infektion mit MRE kann für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben: V. a. geschwächte Menschen sind stark gefährdet, wenn Medikamente gegen bestimmte Erreger kaum noch wirken. Studien haben gezeigt, dass Pflegeempfänger längere Heilungsverläufe, eine höhere infektionsbedingte Morbidität sowie (direkte und indirekte) Mortalität – besonders im Zusammenhang mit MRSA – aufweisen [5, 6].

Healthcareassoziierte Infektionen

Healthcareassoziierte Infektionen (HAI) sind in Europa ein ernst zu nehmendes Problem. Diese ziehen sich Betroffene im Rahmen eines Aufenthalts oder einer Behandlung in bzw. durch Gesundheitseinrichtungen zu. Vielfach spielen multiresistente Erreger eine besondere Rolle, insbesondere der sog. „Problemkeim“ Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) [8] sowie andere antibiotikaresistente Keime wie ESBL-bildende Bakterien (ESBL= Extended Spectrum Betalactamase). Europaweit sind jährlich ca. 37.000 Todesfälle direkt auf HAI zurückzuführen, bei weiteren 110.000 waren HAI involviert [9]. Bei konsequenter Einhaltung entsprechender Hygienevorschriften wäre die Zahl der Todesfälle deutlich geringer [10]. Nicht vermiedene Infektionen führen zu unnötigem Leid der Betroffenen und zu bedeutenden Mehrkosten, die in der EU pro MRSA-Patient, je nach Infektionsdauer und Schweregrad, zwischen 3.000 und 20.000 Euro betragen [11–13

 

Neue Herausforderungen für ambulante Pflegedienste

Veränderte Versorgungsstrukturen bedingen besonders für ambulante Pflegedienste und niedergelassene Praxen neue Anforderungen an das Hygienemanagement. Die Umsetzung von Hygienestandards soll als wichtige und wirksame Präventionsmaßnahme die Zahl der multiresistenten Erreger vermindern. MRSA-Sanierungen, -Protokollierungen und -Verfahrensanweisungen gelten in Zusammenhang mit MRSA als effektive Maßnahme eines angemessenen Hygienemanagements [7]. Für den ambulanten Bereich lagen in Bezug auf Prävalenz und Umsetzung eines standardisierten Hygienemanagements bisher nur begrenzt Untersuchungsergebnisse vor. Daher befasste sich die gemeinsame Studie von Charité und ZQP mit folgenden Fragestellungen:

  1. Verfügen ambulante Pflegedienste über feste MRSA-Sanierungsschemata sowie Verfahrensanweisungen zum Umgang mit speziellen Erregern (MRSA, ESBL) und werden MRSA-Sanierungen protokolliert?
  2. Haben die Mitarbeitenden der teilnehmenden ambulanten Pflegedienste entsprechende Kenntnisse über das Vorhandensein fester MRSA-Sanierungsschemata, die Protokollierung der MRSA-Sanierungen und den Umgang mit speziellen Erregern?
  3. Welchen Einfluss haben Berufserfahrung, Qualifikation, Arbeitszeitmodelle und Hygieneschulungen der Mitarbeitenden darauf?

Für die deutschlandweite Erhebung in den Jahren 2016 und 2017 ermittelte eine computergestützte Zufallsauswahl je Bundesland 30 ambulante Pflegedienste, von denen je zehn an der Untersuchung teilnehmen sollten. Um die Strukturqualität zu erfassen, wurden die Pflegedienstleitungen der teilnehmenden ambulanten Pflegedienste befragt. Zur Erfassung der Prozessqualität sollten pro ambulantem Dienst zehn Pflegekräfte an der Befragung teilnehmen. Von den angestrebten 160 ambulanten Diensten nahmen 107 mit insgesamt 656 Mitarbeitern an der Erhebung teil.

Standards und Vorschriften bekannter machen. 71 Prozent der ambulanten Dienste verfügen über ein festes MRSA-Sanierungsschema, aber nur 74,4 Prozent der Pflegekräfte dieser Einrichtungen wissen davon. Ein nahezu vergleichbarer Anteil (70,7 Prozent) der Pflegedienste gibt an, dass MRSA-Sanierungen protokolliert werden, wovon jedoch lediglich 73,2 Prozent der Mitarbeitenden entsprechende Kenntnis haben. Bei 95,7 Prozent der Pflegedienste liegen Verfahrensanweisungen zum Umgang mit speziellen Erregern vor, was allerdings nur 88,7 Prozent der Pflegekräfte bekannt ist (Abb. 1 und 2).

Auch wenn in über 95 Prozent der ambulanten Pflegedienste Verfahrensanweisungen zum Umgang mit speziellen Erregern existieren und fast 90 Prozent der Mit­arbeitenden auf Verfahrensanweisungen zurückgreifen können, weisen die Ergebnisse auf bestehenden Verbesserungsbedarf hin. Da nur bei etwas mehr als zwei Dritteln der ambulanten Pflegedienste ein festes MRSA-Sanierungsschema bzw. ein Protokoll zur MRSA-Sanierung vorliegt, und innerhalb dieser Dienste nur knapp drei Viertel der Mitarbeitenden entsprechende Kenntnis darüber haben, bedeutet dies, dass nur bei knapp der Hälfte der MRSA-Fälle eine fachgerechte Versorgung erfolgen kann.

Hygieneschulungen forcieren und das Hygienemanagement verbessern. Hygieneschulungen haben großen Einfluss auf den Kenntnisstand der Mitarbeitenden zum Hygienemanagement. So zeigt die Auswertung der Studie: Je länger die Hygieneschulungen zurückliegen (mehr als zwölf Monate), desto weniger Kenntnis haben Pflegekräfte über MRSA-Sanierungsschemata, Protokollierungen der MRSA-Sanierungen und Verfahrensanweisungen zum Umgang mit speziellen Erregern. Auch Berufserfahrung und Qualifikation spielen eine Rolle für das Wissen in Bezug auf das Hygienemanagement: Pflegekräfte mit längerer Berufserfahrung und „voller Quali­fikation“ (dreijährige Pflegeausbildung) haben häufiger Kenntnis von Verfahrensanweisungen mit speziellen Erregern. Ein Einfluss der Arbeitszeitmodelle auf das Hygienemanagement konnte nicht nachgewiesen werden.

Da Pflegeempfänger aus dem ambulanten Setting oft in die stationäre Akut- und Langzeitpflege wechseln, ist die hohe Verbreitung von MRSA in anderen Settings leicht erklärbar. Im Sinne einer sicheren Patientenversorgung, einer qualitätsgesicherten Pflege und der damit in Zusammenhang stehenden Infektionsprävention bedarf es eines besseren Hygienemanagements im ambulanten Bereich. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen darauf hin, dass Hygieneschulungen, die nicht länger als zwölf Monate zurückliegen, ein suffizientes Hygienemanagement positiv beeinflussen. Hygieneschulungen verbessern ferner sowohl die Kenntnisse über das Vorhandensein fester MRSA-Sanierungsschemata und die Verfahrensanweisungen im Umgang mit speziellen Erregern als auch zur Protokollierung von MRSA-Sanierungen.

Mitarbeitende zur Einhaltung von Hygienevorschriften anhalten. Aus den Daten der Untersuchung lassen sich auch Schlüsse ziehen für die Gründe einer fehlerhaften Händedesinfektion oder das Fehlen der Händedesinfektion bzw. anderer hygienischer Maßnahmen. So ist der häufigste benannte Grund für eine inkorrekte, insuffiziente oder fehlende Durchführung der Händedesinfektion mangelnde Disziplin. Fast neun Prozent der Befragten machen diese für tägliches Auftreten einer inkorrekten oder fehlenden Händedesinfektion verantwortlich. Nur 43 Prozent der befragten Mitarbeitenden geben an, dass mangelnde Disziplin noch nie zu einer inkorrekten oder gar zum Unterlassen der Händedesinfektion geführt hat.

Dies kann ein Hinweis auf ein mangelndes Problembewusstsein im Umgang mit MRE sein. Die konsequente und korrekte Desinfektion der Hände ist eine unerlässliche Hygienemaßnahme, die wesentlicher Bestandteil eines suffizienten Hygienemanagements ist.

Empfehlungen für die Pflegepraxis

Um das Hygienemanagement im ambulanten Bereich zu verbessern, bedarf es einer kontinuierlichen, fachgerechten Umsetzung von Hygienemaßnahmen. Da eine fachgerechte Versorgung im ambulanten Bereich aktuell nicht hinlänglich gegeben ist, sollten nachfolgende Empfehlungen in der ambulanten Versorgung Anwendung finden:

  • regelmäßige Teilnahme der Mitarbeitenden an standardisierten Hygieneschulungen (mindestens einmal jährlich)
  • Einführung eines suffizienten Hygienemanagementsystems
  • Erhöhung der Compliance und des Problembewusstseins unter allen Mitarbeitenden

Da von informell Pflegenden (zumeist Angehörige) der überwiegende Teil der häuslichen Pflege erbracht wird, ist auch diese Gruppe zum Thema Hygiene entsprechend zu schulen, anzuleiten und zu beraten.

[1] Statistisches Bundesamt. Pflegestatistik/Deutschlandergebnisse; 2018. Im Internet: bit.ly/2GuYodR; Zugriff: 19.07.2019

[2] Statistisches Bundesamt. Pflegestatistik/Deutschlandergebnisse 2015; 2017. Im Internet: bit.ly/2YpVEso; Zugriff: 19.07.2019

[3] Kottner J, Rahn Y, Blume-Peytavi U et al. Skin care practice in German nursing homes: a German-wide cross-sectional study. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 2013; 11: 329–336

[4] Neumann N, Mischler D, Cuny C et al. Multiresistente Erreger bei Patienten ambulanter Pflegedienste im Rhein-Main-Gebiet 2014. Prävalenz und Risikofaktoren. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2016; 59: 292–300

[5] Adler AC, Spegel H, Wilke J et al. Präventionsstrategien zur Vermeidung der Übertragung multiresistenter Erreger und praktische Umsetzung in der ambulanten Pflege. Gesundheitswesen 2012; 74 (10): 653–660

[6] Gesundheitsamt Pankow. Maßnahmenplan für MRSA in Gesundheitseinrichtungen. Berlin: Abteilung Hygiene und Umweltmedizin; 2011. Im Internet: bit.ly/2YkPIww; Zugriff: 19.07.2019

[7] Deutsche Krankenhausgesellschaft. Maßnahmenplan für MRSA in Gesundheitseinrichtungen; 2009. Im Internet: bit.ly/2yemncM; Zugriff: 19.07.2019

[8] Vettori A, Angst V, von Stokar T. Nationale Strategie zur Überwachung, Verhütung und Bekämpfung von healthcare-assoziierten Infektionen im nichtstationären Bereich – Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG); 2016. Im Internet: bit.ly/2OiOQc1; Zugriff: 19.07.2019

[9] Biomerieux. Healthcare-Associated Infections (HAI); 2018. Im Internet: bit.ly/2OABwQH; Zugriff: 19.07.2019

[10] Exner M, Gebel J, Heudorf U et al. Risk of infection in the home environment. Plea for a new risk assessment. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2008; 51: 1247–1257

[11] Gavalda L, Masuet C, Beltran J et al. Comparative cost of selective screening to prevent transmission of methicillin-resistent Staphylococcus aureus (MRSA), compared with the attributable costs of MRSA infection. Infection control and hospital epidemiology. The Society for Healthcare Epidemiology of America 2008; 27: 1264–1266

[12] Kunori T, Cookson B, Roberts JA et al. Cost effectiveness of different MRSA screening methods. Journal of hospital infection 2002; 51: 189–200

[13] Huebner C, Roggelin M, Flessa S. Economic burden of multidrug-resistent bacteria in nursing homes in Germany: a cost analysis based on empirical data. BMJ open 2016. doi: 10.1136/bmjopen-2015–008458

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