Jeder Patient hat Anspruch auf eine professionelle Schmerzbehandlung. Es muss jedoch nicht immer ein Medikament sein – zahlreiche komplementäre Pflegemaßnahmen versprechen eine deutliche Linderung bei Schmerzen. Es kommt jedoch auf das richtige Know-how an.
Pflegerisches Wissen um nicht-medikamentöse Schmerzbehandlung ist bei den meisten Pflegenden nur lückenhaft oder gar nicht vorhanden. Von der Heilkraft der Pflanzen bis hin zum Quarkwickel – oft ist es altes Wissen, das in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen zu sein scheint. In der von der Pharmaindustrie geprägten Krankenhauslandschaft werden nicht-medikamentöse Maßnahmen eher stiefmütterlich behandelt und nicht gefördert. In der Ausbildung von Pflegenden kommen komplementäre Maßnahmen kaum oder nur in sehr geringen Umfang vor. Bislang existierten auch keine gezielten Weiterbildungen zu diesem Thema.
Erfolgreich ist eine Anwendung, wenn der Patient sie als hilfreich erlebt
Wissenschaftliche Studien und evidenzbasierte Erkenntnisse zur Wirksamkeit nicht-medikamentöser Maßnahmen zur Schmerzbekämpfung sind bislang sehr rar. Dennoch interessieren sich immer mehr Patienten für dieses Thema. Viele reagieren sehr positiv auf die sanften Methoden, und es steigert ihre Zufriedenheit, wenn komplementäre Pflegemaßnahmen angeboten werden. Entscheidend ist folgender Grundsatz: Erfolgreich ist eine Anwendung immer dann, wenn der Patient sie als hilfreich erlebt. Denn die Schmerzlinderung ist oftmals eine indirekte Wirkung.
Der Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen“ des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) fordert explizit, dass Pflegende über ein zielgruppenspezifisches Wissen zu nicht-medikamentösen Maßnahmen zur Schmerzlinderung und deren Kontraindikationen verfügen sollen. Damit sich nicht-medikamentöse Methoden etablieren können, ist es wichtig, dass dies von der Leitungsebene unterstützt wird.
Die adäquate Behandlung von Schmerzen erfordert immer eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Es sollen eben nicht nur Medikamente zum Einsatz kommen – aber auch nicht nur die nicht-medikamentösen Maßnahmen. Die Mischung machts – das eine sollte das andere nicht ausschließen und sich gegenseitig sinnvoll ergänzen. Ein wichtiger Aspekt hin zu einer guten Schmerztherapie ist es darüber hinaus, den Menschen als Ganzes zu sehen und ihn nicht auf seine Krankheit oder das Symptom Schmerz zu reduzieren.
Natürlich darf auch die Wichtigkeit einer guten Schmerzanamnese und einer adäquaten Schmerzmessung nicht vergessen werden. Auch die Unterscheidung, ob ein akutes oder chronisches Schmerzgeschehen vorliegt, spielt bei der Auswahl eines geeigneten Therapieverfahrenes eine Rolle, da chronische Schmerzen eher mit multimodalen Konzepten behandelt werden.
Welche Maßnahmen sind für die sanfte Behandlung von Schmerzen geeignet?
Musik: Musik erzeugt eine Fülle von positiven Einflüssen im menschlichen Körper. Die Beeinflussung von Opioid-Signalen und die Erhöhung der Dopamin-Produktion sind nur zwei Beispiele für die Wirkansätze von Musik. Die Senkung des Opiatbedarfs durch Musik ist evidenzbasiert. Gerade zur Entspannung und Reduktion von Stress ist Musik sehr gut geeignet. Entspannungsmusik beispielsweise ist für viele Patienten hilfreich, um sich gedanklich vom Schmerzgeschehen zu entfernen.
Aromapflege: Speziell bei Schmerzen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, mit ätherischen Ölen einen positiven und präventiven Einfluss auf das Schmerzempfinden zu nehmen. Pflegende können mit der Aromapflege zum Wohlbefinden des Patienten effektiv beitragen. Einreibungen, aromatisierte Wickel und Auflagen, Waschungen sowie eine Verbesserung des Raumklimas sind nur einige Anwendungen, die nebenwirkungsfrei helfen können, Schmerzen zu reduzieren.
Akupressur: Durch einen stumpfen Druck auf bestimmte Punkte, die aus der Akupunktur bekannt sind, können positive Effekte auf das Schmerzgeschehen erzielt werden. Die Akupressur basiert auf dem Phänomen, dass Menschen instinktiv auf schmerzhafte Köperstellen drücken oder diese reiben. Auch Hilfsmittel, wie Pflaster mit kleinen Magnetkügelchen, können gut mit eingesetzt werden. Bei dieser Methode kann der Patient auch selbst aktiv mitwirken. Gerade diese Möglichkeit macht die Akupressur so interessant für die Schmerzbehandlung.
TENS: Bei der Transcutanen Elektrischen Nervenstimulation (TENS) werden mittels Strom elektrische Impulse in der Körperperipherie erzeugt. Diese künstlich herbeigeführten Reize aktivieren das körpereigene schmerzhemmende System, indem über Nervenbahnverknüpfungen die Schmerzweiterleitung auf Rückenmarksebene blockiert wird. So erreichen weniger Schmerzimpulse Thalamus und Großhirn.
Licht und Farben: Das ganze menschliche Leben ist von Licht und Farben umgeben, die die Emotionen bestimmen. Daher können sich Licht und Farben positiv auf das Gemüt auswirken und helfen, Schmerzen zu reduzieren. Auch Tageslicht und Natur sind für Patienten im Krankenhaus sehr wichtig. Ein farbig gestalteter Raum oder das Aufstellen geeigneter Farblampen sind weitere Möglichkeiten, durch Farben positive Effekte zu erzielen. Das Schaffen einer positiven Patientenumgebung und eines Wohlfühleffekts ist das Ziel.
Ablenkung und Imagination: Eine adäquate Ablenkung kann den Patienten vom Schmerzgeschehen wegführen. Hier gibt es viele Möglichkeiten. Vom Fernsehen über taktile Reize bis hin zur Imagination – die Methoden sind sehr vielfältig. Einfach mal den Schmerz „vergessen“ – ein Benefit für die Schmerztherapie.
Wärme und Kälte: Ob der Coolpack bei Sportverletzungen oder ein warmer Wickel bei Verspannungen: Die Möglichkeiten der Anwendung von Wärme und Kälte sind sehr vielfältig. Oft können damit gute Ergebnisse zur Schmerzreduktion erzielt werden. Dies setzt jedoch ein profundes Fachwissen voraus.
Haltung und Gesprächsstrategien: Eine positive Haltung ist eine wichtige Eigenschaft, die Pflegende im Umgang mit Schmerzpatienten brauchen. Im Mittelpunkt steht der Patient. Ein emphatisches Verhalten ist oft eine zentrale Voraussetzung, um mit Schmerzpatienten positiv umgehen zu können. Aber auch die Kenntnis über spezielle Wortbausteine, aktives Zuhören und Strategien für schwierige Gespräche sollten zum Handwerkzeug aller Pflegenden, die Umgang mit Schmerzpatienten haben, gehören.
Taping: Beim Taping können mittels elastischen und selbstklebenden Pflastern mit unterschiedlichen Techniken schmerzhafte Erkrankungen des Muskel-, Sehnen und Skelettapparates behandelt werden. Diese Methode fällt zwar eher in den Zuständigkeitsbereich der Physiotherapie. Es ist jedoch wichtig, dass im Sinne eines interprofessionellen Schmerzmanagements auch Pflegende über Grundlagen des Tapings Bescheid wissen.
Schmerzreduzierende Lagerungen und Mobilisation: Die Veränderung der Lageposition ist eine in der Pflege häufig anzutreffende Maßnahme. Mit diversen Lagerungshilfen und den richtigen Handgriffen ist es oft sehr gut möglich, Schmerzen zu reduzieren. Auch kann die Vermittlung schmerzarmer Bewegungsabläufe für den Patienten sehr hilfreich sein.
Kombination verschiedener nicht-medikamentöser Anwendungen: Um die Effektivität der einzelnen Methoden zu erhöhen, macht es sehr häufig Sinn, mehrere nicht-medikamentöse Maßnahmen miteinander zu kombinieren. Musik und Aroma lassen sich beispielsweise mit vielen anderen Prozeduren zusammenführen. Ein harmonisches Miteinander, um Körper, Geist und Seele des Schmerz-patienten zu stärken, ist das Ziel. Ist ein Patient entspannt und fühlt sich wohl, wird sich aller Voraussicht nach auch eine Schmerzreduktion einstellen.
Erste Weiterbildung ins Leben gerufen
Einige Anwendungsmöglichkeiten zur nicht-medikamentösen Schmerzbehandlung können mit einfachen Mitteln durch den Patienten selbst durchgeführt werden. Andere bedürfen das Wissen von Physiotherapeuten. Gerade aber die Berufsgruppe der Pflegenden kann im Rahmen einer verantwortungsvollen Patientenversorgung viele dieser beschriebenen Maßnahmen durchführen. Auch das Managen der Schmerzproblematik, also das Organisieren von schmerzlindernden Maßnahmen, kann eine pflegerische Aufgabe sein. Voraussetzung dafür ist ein fundiertes Wissen über die Möglichkeiten, Kontraindikationen und Wirkweisen.
Um die häufig anzutreffende Wissenslücke zu diesem Thema bei Pflegenden zu schließen, haben die Mitarbeiter des Akutschmerzdienstes der Klinikum Bayreuth GmbH eine neue Weiterbildung zum/zur Pflegeexperten/in für Nicht-Medikamentöses Schmerzmanagement – P.N.M.S.® ins Leben gerufen. Über fünf Tage werden den Teilnehmern in 45 Unterrichtseinheiten die Möglichkeiten zur sanften Schmerzreduktion in Theorie und Praxis erläutert. Neben den Anwendungen stehen auch administrative Themenbereiche, wie adäquate Schmerzmessung, Projektimplementierung und die Erstellung eines Gesamtkonzepts, auf der Agenda. Am Ende erfolgt ein schriftlicher Abschlusstest.
Die ersten 28 Teilnehmer aus ganz Deutschland schlossen im Januar dieses Jahres die Weiterbildung erfolgreich ab. Die Prüfung wurde von allen bestanden. Das Feedback war sehr gut. Ein schöner Nebeneffekt war die Tatsache, dass viele Teilnehmer durch die Weiterbildungstage sich intensiv mit dem Thema Schmerz auseinandergesetzt haben und das „Problem Schmerz“ nun mit anderen Augen sehen. Einige möchten sich auch über die P.N.M.S.®-Weiterbildung hinaus qualifizieren und einzelne Schwerpunkte noch vertiefen, um sich für Schmerzpatienten noch besser einsetzen zu können. Das Ziel ist, die Versorgung von Schmerzpatienten zu verbessern – noch dazu nebenwirkungsfrei.
Nähere Informationen zur Weiterbildung zum/zur Pfegeexperten/in für Nicht-Medikamentöses Schmerzmanagement – P.N.M.S.® finden Sie unter: karriere.klinikum-bayreuth.de/weiterbildung/pnms