Die professionelle Beziehung zum Patienten ist eines der Kernstücke im Berufsbild der Pflege. Ein 23-jähriger Gesundheits- und Krankenpfleger berichtet, was Pflege für ihn bedeutet und welche bereichernden zwischenmenschlichen Begegnungen der Pflegeberuf bereithält.
Worte haben eine große Kraft. Es sind diesmal die dankbaren Worte eines Patienten, die mich kurz vor Feierabend berühren: „Wissen Sie, ich war Ingenieur. Also ich könnte die Arbeit, die Sie hier tun, jedenfalls niemals machen. Haben Sie vielen, vielen Dank für all Ihre Bemühungen an mir. Ich werde Sie im Nachtgebet lobend erwähnen.“
Der Mann, der diese Worte zu mir spricht, hat kurz zuvor ein supraselläres Meningeom entfernt bekommen, einen gutartigen Tumor der Hirnhaut. Ein Druckverband liegt an seinem Kopf, die Augen sind noch blutunterlaufen. Doch was meint er genau damit, und was könnte er niemals machen?, frage ich mich, während ich mit einer mit Katheterurin gefüllten Urinflasche aus dem Patientenzimmer hinausgehe und mich dabei über das Lob an höchster Stelle freue. Doch der Gedanke bleibt hängen, und so beginne ich, mir Gedanken zu machen, was man denn eigentlich als Pflegender wirklich macht.
Rund 1,2 Millionen Menschen sind nach aktuellen Zahlen des Deutschen Pflegerats in Deutschland in der Pflege beschäftigt. Darunter gibt es viele verschiedene Berufsbilder. Doch was ist denn im Kern das Wesen der Pflege? Was mache ich genau, wenn ich bei der Arbeit andere Menschen pflege, sie dabei berühre und bewege, Bedürfnisse wahrnehme und Situationen einschätze, Sicherheit vermittle und Vertrauen aufbaue, sterile Katheter in fremde Harnröhren einführe, Gutenachtlieder singe und dabei gezielt die Atemzugtiefe beobachte und bei alledem den unterschiedlichsten Menschen ganz individuell in der Zeit ihrer Erkrankung zur Seite stehe?
Pflege bedeutet Beziehungsarbeit
All diese vielfältigen Tätigkeiten, die man als Pflegender ausübt, bedürfen den Rahmen einer zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient. Der Beziehungsaufbau und die Erfassung der Bedürfnisse des Patienten sind meiner Meinung nach mit die wichtigsten Kompetenzen als Pflegender. Sie stellen die Grundlage dar, um Menschen verantwortungsvoll in ihren durch Krankheit eingeschränkten Lebensbereichen unterstützen zu können. Und so ist Pflege für mich sehr eng mit Beziehungsarbeit verknüpft.
Meine subjektive Einschätzung ist, dass es sich im stark betriebswirtschaftlich ausgerichteten System der Kliniken, Pflegeheime oder der ambulanten Pflege durch den wachsenden ökonomischen Druck zunehmend schwieriger gestaltet, eine zwischenmenschliche Beziehung zum Patienten aufzubauen und seine Bedürfnisse möglichst ganzheitlich wahrzunehmen.
Wer kennt es nicht, den vielen verschiedenen Erwartungen und Interessen von Patienten, Angehörigen, den Mitarbeitenden anderer Disziplinen von Medizin, Physio- und Ergotherapie, Logopädie, Fall- und Belegungsmanagement, Funktionsdiensten oder Verwaltung im Stationsalltag gerecht werden zu müssen? Dabei soll man dann noch ganz nebenbei als Pädagoge in der Schüleranleitung fungieren, die hygienischen Richtlinien korrekt umsetzen und die zunehmend strenger werdende Vorschriften von Dokumentation und Datenschutz beachten.
„Aufmerksamkeit ist in der Klinik zu einem knappen Gut geworden“, so beschrieb eine ehemalige Dozentin von mir, Gabriele Gürschke, diesen Zustand. Da ist es naheliegend, als Pflegender die Frage zu stellen, wo denn bitte bei der Fülle dieser Aufgaben noch die Zeit bleiben soll, eine zwischenmenschliche Beziehung zum Patienten zu gestalten oder ob dies unter diesen Umständen überhaupt möglich ist?
Ich finde, um diese komplexe Frage zu beantworten, bedarf es einer differenzierten Sichtweise. Unabhängig davon, wie viel Zeit man für eine Tätigkeit bei einem einzelnen Patienten zur Verfügung hat – der Patient nimmt zunächst in jedem Fall wahr, wie er sich in der Anwesenheit der Pflegeperson fühlt. Es ist doch zunächst wie in jeder anderen menschlichen Beziehung auch: Ein jeder Mensch spürt, ob er sich in der Gegenwart einer anderen Person wohl fühlt oder nicht.
Und so ist das Gestalten der zwischenmenschlichen Beziehung primär nicht an zeitliche Kapazitäten geknüpft, sondern immer auch ein Stück weit Ausdruck von Achtsamkeit und des eigenen Menschenbilds – der eigenen inneren Haltung sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber.
Was benötigt der kranke Mensch wirklich?
Es ist hilfreich, wenn man sich in der Thematik Patientenbeziehung mit der Bedeutung von Krankheit auseinandersetzt. Momentan habe ich den Eindruck, es stehen in der Klinik primär messbare Faktoren im Vordergrund, wie Phaseneinteilungen, Laborwerte oder Fallzahlen.
Krankheit geht für den Betroffenen aber immer auch mit einem individuellen psychosozialen Aspekt einher. Es kann das Befinden der Patienten und die Behandlungsqualität deshalb auch maßgeblich steigern, wenn wir uns gemeinsam mit ihnen auseinandersetzen, was eine Erkrankung für ihr Leben bedeutet.
Viele Menschen erleben beispielsweise durch Inkontinenz große Einschränkungen in ihrer Lebensqualität. Das erfordert von den Pflegenden Maßnahmen zum adäquaten Einsatz von Hilfsmitteln, Hautschutz oder zur Sturzprophylaxe. Doch ein Patient erlebt diese Einschränkung als Mensch anders. Für ihn bedeutet Inkontinenz häufig viel mehr auch Scham, ein verringertes Selbstwertgefühl und die Gefahr von sozialer Isolation. Wenn wir also einem Menschen einen selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Umgang mit einer Erkrankung ermöglichen wollen, bedarf es eines Blicks über die eigenen Krankenhauswände hinaus, um ihn bedürfnisorientiert zu unterstützen.
Ich mache im Berufsalltag sehr häufig die Erfahrung, leichter auf emotionaler Ebene Zugang zu Patienten zu bekommen, wenn diese die Bedeutung ihrer Krankheit äußern können und sich so an ihren Bedürfnissen orientiert, wahrgenommen fühlen. Dafür sind nicht sonderlich komplexe Assessmentinstrumente wie zur Einschätzung der Schmerzintensität oder der Frequenz der Stuhlausscheidung notwendig. Häufig genügen einfache Fragestellungen wie „Was beschäftigt Sie denn momentan am meisten?“ oder „Was bedeutet denn Ihre Erkrankung für Sie?“, um zu erkennen, welche Bedürfnisse für einen Patienten im Vordergrund stehen.
Mit diesen Mitteln wächst einerseits die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Pflegenden und Patienten, andererseits können diese daraus auch neuen Mut und Vertrauen schöpfen. Das kann sich wiederum positiv auf ihre Gesundheit auswirken. Schon der deutsche Kirchenhistoriker und Theologe Adolf von Harnack (1851–1930) beschrieb das treffend, als er sagte, dass „nichts den Mensch mehr stärke, als das Vertrauen, das man ihm entgegenbringt“.
Professionelle Beziehung als Kernkompetenz leben
Pflege trägt einen wichtigen Teil zur Gesundheit und zum Wohlbefinden eines Menschen bei. Für Patienten spielt es eine enorm wichtige Rolle, wie gut sie sich in ihrer Erkrankung begleitet fühlen oder ob eine Berührung als angenehm empfunden wird oder nicht.
Doch der Wert von Gesundheit, Wohlbefinden oder die Qualität einer zwischenmenschlichen Beziehung lässt sich mit monetären Mitteln nicht bemessen. Das hat leider zur Konsequenz, dass die Fähigkeit zur professionellen Beziehung, obwohl dies die Grundlage von Behandlungs- und Pflegeprozess ist, im Gesundheitssystem momentan wenig Bedeutung findet.
Ich sehe aber als Mitglied der mit Abstand größten Berufsgruppe im Gesundheitssystem auch die große Chance, diese Kernkompetenz der professionellen Beziehung viel stärker zur Geltung bringen zu können, wenn wir ein schärferes eigenes Berufsprofil zeichnen und uns berufspolitisch organisieren. Wir werden tagtäglich von einer Vielzahl kranker und pflegebedürftiger Menschen als fördernd, positiv und wichtig wahrgenommen. Was hindert uns eigentlich daran, uns als Berufsgruppe breit zu organisieren und uns auf genau diese Weise nach außen hin darzustellen?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir viel häufiger lobend im Nachtgebet erwähnt werden, als uns das bewusst ist. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass dieser Beruf neben Belastungen auch viele positive und einzigartige Seiten hat.
Welcher Berufstätige kann von sich behaupten, auf der Arbeitsstelle mit Körper, Geist und allen Sinnen aktiv zu sein und dabei in seinem Tun Sinnerfüllung zu erfahren? Wer kann denn von sich behaupten, durch seine tägliche Arbeit und den Beistand in existenziellen Krisen tiefe Spuren im Herzen anderer Menschen zu hinterlassen? Wer kann denn von sich behaupten, stets einen ganz individuellen, kurzweiligen und abwechslungsreichen Arbeitstag zu erleben? Wer kann denn schon als Persönlichkeit von der Lebenserfahrung und Lebensweisheit anderer Menschen profitieren, während er seinen Lebensunterhalt verdient? Wer trägt denn durch sein berufliches Tun dazu bei, dass sich ein Mensch wieder lebendig fühlen und sich spüren kann?
Da ist wohl kein zweiter Beruf, in dem sich im Rahmen einer professionellen zwischenmenschlichen Beziehung durch eine derartige Nähe zum Patienten solch bereichernde Begegnungen erleben lassen.
„Ein fröhliches Herz ist die beste Arznei.“
Welche Auswirkungen diese Begegnungen haben und wie wichtig das menschliche Bedürfnis nach Beziehungen für Patienten und Pflegende gleichermaßen ist, hat für mich neulich folgende Situation treffend zum Ausdruck gebracht: Eine ältere Patientin bedankte sich kurz vor ihrer geplanten Entlassung sehr herzlich bei mir für die Pflege. Sie war wegen einer schweren intrakraniellen Blutung bei uns gewesen und sagte, wie gut ihr die freundliche Begleitung getan habe und welch großen Anteil das an ihrer Genesung gehabt habe. „Ich konnte durch Sie neuen Lebensmut schöpfen. Denn so ein fröhliches Herz, das ist die beste Arznei.“
Mich haben diese Worte unheimlich gefreut und berührt. Worte haben eine große Kraft. Diese Situation hat mir wieder einmal gezeigt, wie viel Lebensfreude durch so eine lebendige zwischenmenschliche Beziehung und Begegnung entsteht. In einer Begegnung wie dieser bekommt man ein Gefühl von Lebendigkeit geschenkt.
Und so birgt dieser Beruf im Kern ein großes Potenzial zur Freude.