Hygienefachkräfte haben oft keinen leichten Stand. Tagtäglich machen sie andere auf Fehler aufmerksam und suchen akribisch nach potenziellen hygienischen Mängeln. Warum ergreift jemand einen solchen Beruf? Das fragten wir zwei Hygienefachkräfte vom Medizin Campus Bodensee.
Neun Uhr. Friedrichshafen. Medizin Campus Bodensee. Brigitte Rüstau, eine fröhliche Mittfünfzigerin mit blondem Long-Bob, der lange Pony pfeilgerade über der schwarz gerandeten Brille, eilt mit schnellen Schritten den Gang entlang. Vor der Tür mit einem großen roten Plakat mit der Aufschrift „Keime“ bleibt sie stehen. Im Büro wartet bereits Kollegin Carolin Timpe. Sie ist der Ruhepol der beiden Hygienefachkräfte – Schal, schlichter Blazer, mit ruhiger und deutlich leiserer Stimme als ihre Kollegin. An ihren gegenüberliegenden Schreibtischen wirken sie wie Yin und Yang. Fünf Jahre war sie Einzelkämpferin in der Hygiene, denkt Brigitte Rüstau zurück. Davon gebe es in der Branche viele. Seit vor zwei Jahren Carolin Timpe dazukam, sei vieles besser: „Es ist wichtig, dass man sich austauschen kann“, erklären die beiden fast unisono.
Viele Erfolgserlebnisse
Das helle Büro ist voller Aktenordner, Flyer und stapelweise Papier. Auf Rüstaus Tisch türmen sich ausgefüllte Papierbögen von Compliance-Messungen. Im ganzen Raum ist Desinfektionsmittel in sämtlichen Ausführungen verteilt – kleine Probeflaschen, Pumpspender, Tücher in kleinen und großen Boxen besetzen Schreibtische und Regale. Ein Armhebelspender ziert die Wand.
Zwölf Jahre habe sie als Pflegedienstleitung gearbeitet und sich dabei oft gefragt, ob sie diesen Beruf bis zur Rente durchhalten könne, beginnt Brigitte Rüstau zu erzählen. Weil sie sich auch als PDL schon um die Hygiene gekümmert hat, wusste sie schon, dass ihr das Thema liegt. Als sie dann berufsbegleitend die Weiterbildung zur Hygienefachkraft begann, war schnell klar, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte: Hygiene ist voll mein Thema, sagt Rüstau und lacht. Dass man bewusst etwas bewirken kann und viele Erfolgserlebnisse hat, faszinierte die Hygienefachkraft von Beginn an.
In Baden-Württemberg dauert die Ausbildung zwei Jahre, wenn man sie in Teilzeit absolviert, ein Jahr in Vollzeit. Jedoch gibt es keine bundesweite Regelung, Stunden und Dauer der Weiterbildung sind also in jedem Bundesland anders.
Während sich Rüstau mit Mitte 40 beruflich noch einmal neu aufstellt, weiß Carolin Timpe schon während ihrer Ausbildung in der Krankenpflege, dass sie ein anderes Aufgabenfeld anstrebt. „Ich habe freiwillige Praktika gemacht und gemerkt: Für die Hygiene bin ich Feuer und Flamme“, sagt die zierliche 29-Jährige mit Nachdruck in der Stimme. Praktika sind generell etwas, wozu die beiden dringend raten, bevor man sich für die Weiterbildung entscheidet, um nicht später desillusioniert im Berufsalltag zu stehen. Wirklich erfolgreich ist man als Hygienefachkraft nämlich nur, wenn man für das Thema brennt, sind sich Rüstau und Timpe sicher.
„Man muss sich selbst organisieren können“
Die wenigstens wüssten, wie viel eigene Bereitschaft und Arbeit der Job erfordert. Von alleine fliege einem nichts zu. Den Rahmen bilden nur die gesetzlichen Vorgaben, der Weg dorthin ist aber völlig offen. Jede Hygienefachkraft entscheidet deshalb selbst, wie sie die Hygiene bestmöglich an die Frau oder den Mann bringt. Das ist auch eine große Verantwortung: „Wenn es einen Hygiene-Skandal in einer Klinik gibt, wird immer zuerst die Hygienefachkraft befragt“, mahnen die beiden. Deshalb müsse man schon frühzeitig Probleme erkennen und darauf reagieren.
Weil ein fest vorgegebener Tagesablauf fehlt, muss eine Hygienefachkraft sehr gut planen und sich selbst organisieren können, erklärt das eingespielte Team. Das macht den Beruf besonders attraktiv, weil man komplett eigenständig arbeiten kann. Gleichzeitig liegt es nicht jedem, wenn eine Struktur völlig fehlt. Um auch Skeptiker zu überzeugen, brauche man darüber hinaus viel Wissen, um fachlich auf hohem Niveau argumentieren und Konter geben zu können.
Wer eine Weiterbildung anstrebt, dem dürfen auch eine gesunde Portion Selbstbewusstsein und ein „dickes Fell“ nicht fehlen: „Wir halten Vorträge, Schulungen, und legen den Finger in die Wunde“, macht Brigitte Rüstau deutlich. Berührungsängste seien da fehl am Platz. Auf Station wird eine Hygienefachkraft nach wie vor nicht immer mit Begeisterung empfangen, das Thema löst bei manch einem eher gequältes Stöhnen statt Jubelgeschrei aus. Die Lösung der beiden Hygienefachkräfte am Medizin Campus Bodensee ist, möglichst viele zu überzeugen: „Ein Drittel der Mitarbeiter findet Hygiene schon super, ein weiteres Drittel ist noch unentschlossen. Das letzte Drittel will mit dem Thema überhaupt nichts zu tun haben“, sagt Brigitte Rüstau. „Unser Ziel ist es, die Unentschlossenen auf unsere Seite zu ziehen. Wenn zwei Drittel überzeugt sind, hat es der Rest schwer, noch auf seinem Standpunkt zu beharren.“
Liebevoll verpackte Kontrolle
Wie man das erreichen kann? Mit viel Durchhaltevermögen, Energie und Optimismus: „Wir haben richtig Bock auf Hygiene“, sagt Carolin Timpe und strahlt. Die eigene positive Einstellung wollen die beiden weitergeben. Dazu gehört auch, dass man nicht bei jedem Fehler, den man sieht, laut aufschreit, sondern ihn auch mal „übersieht“. Gravierende Fehler müssten natürlich gleich angesprochen werden. Aber auch hier komme es auf den richtigen Ton an: „Liebevoll verpackte Kontrolle ist sehr hilfreich“, sagt Rüstau und lacht.
Die „Kontrollen“ führen die Hygienefachkräfte auch in Form von Compliance-Messungen auf den Stationen durch. Diese werden in der Regel angekündigt. Der Mitarbeiter weiß also Bescheid, dass er bei seinen Hygienemaßnahmen beobachtet wird. Da liegt es nahe, dass sich so manch einer lieber einmal mehr die Hände desinfiziert als er es normalerweise tun würde. Ob diese Zahlen trotzdem die Realität widerspiegeln? Ja, meinen die Hygienikerinnen. „Wer die fünf Momente der Händehygiene nicht kennt, der kennt sie auch dann nicht, wenn er beobachtet wird“, verdeutlichen Rüstau und Timpe. Natürlich gebe es auch welche, die sich die Hände besonders häufig desinfizieren, sagt Carolin Timpe und schmunzelt: „Denen müssen wir dann sagen, dass leider die Indikation fehlt und die überschüssigen Händedesinfektionen deswegen nicht aufgenommen werden können.“
Compliance-Messungen, mikrobiologische Befunde sichten und Empfehlungen schreiben, Sitzungen und Schulungen planen und durchführen, Stationsbegehungen – das ist das täglich Brot der beiden Hygienefachkräfte. Doch was macht den Beruf wirklich spannend? „Keine Routine“, sagt Carolin Timpe prompt und gerät dabei fast ins Schwärmen. „Manchmal komme ich morgens ins Büro, ohne zu wissen, was der Tag bringt“, sagt die sympathische Hygienikerin. Natürlich habe sie einen Plan, was an einem Tag erledigt werden muss. Es gebe aber auch vieles, was nicht planbar ist: ein neuer Erreger, ein akutes Problem auf Station. „Ein Anruf, und der Tag kann völlig anders verlaufen.“
Für Brigitte Rüstau machen vor allem die vielen Menschen, mit denen man zusammenkommt, den Beruf so spannend. „Wir sind mit dem ganzen Haus in Kontakt“, sagt der Hygienefan. Diese Freude merkt man ihr auch an: Hier ein Gruß auf dem Flur, da ein kurzer Austausch über das Treppenhaus – Brigitte Rüstau ist in der Klinik bekannt wie ein bunter Pudel. Schon fast mutet es an, als laufe es hier wie im Märchen. Doch dann passiert es doch: Eine automatische Schiebetür öffnet sich, in der davorliegenden Schleuse zwischen OP und Intensivstation stehen eine blaugekleidete Intensivpflegerin und ein Pfleger in grüner Aufmachung beim „Schwätzen“. „Die dürften hier eigentlich nicht zusammen stehen“, beginnt Rüstau gelassen zu erklären. Die Tür schließt sich. Geht wieder auf. Der Gang ist leer. „Und das wissen sie auch“, schließt sie und schmunzelt.
Konkrete Lösungen anbieten
Wird Hygiene je zum Trendthema? Da sind sich beide nicht sicher, wagen aber trotzdem eine positive Prognose: „Hygiene wird immer wichtiger“, sagt Carolin Timpe. „Ich habe schon den Eindruck, dass sich die jüngeren Generationen stärker für das Thema interessieren.“ Die beiden versuchen deshalb, die Hygiene schon möglichst von Beginn an schmackhaft zu machen und dafür zu sensibilisieren. Dafür gehen sie auch neue Wege, versenden Hygiene-Newsletter im Haus, versuchen trockene Themen mit Humor zu wässern und tauschen sich mit anderen Fachkräften regelmäßig aus.
„Die Kunst besteht darin, auch nüchterne Themen positiv zu vermitteln“, sind sich die beiden Fachfrauen einig. Dafür muss man sich etwas Gutes überlegen und von Beginn an in Dialog treten. Nicht nur immer kritisieren, sondern viel zuhören und nachhaken, warum etwas nicht so läuft wie man es sich wünscht. Das finden Brigitte Rüstau und Carolin Timpe besonders wichtig. Nur zu beraten, reiche einfach nicht aus, um andere zu überzeugen. „Wir bieten konkrete Lösungen an, um die Leute bei der Hygiene mitzunehmen.“