• 09.01.2018
  • Die Schwester Der Pfleger
Rechtsrat

Haften Auszubildende im Schadensfall?

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 11/2017

Seite 76

Müssen Auszubildende, die einen Schaden verursachen, dafür in vollem Umfang geradestehen? Gilt für sie ein milderer Maßstab? Muss der Arbeitgeber für sie aufkommen? Dieser Artikel gibt Aufschluss über die gesetzlichen Regelungen.

Folgender schlimmer Fall ereignete sich am Morgen des 24. Februar 2011: Ein 19-jähriger Auszubildender warf bei der Arbeit ohne Vorwarnung einen zehn Gramm schweren Gegenstand hinter sich. Dieser traf einen anderen Auszubildenden, 17 Jahre alt, am linken Auge, am Augenlid und an der linken Schläfe. Er musste in einer Augenklinik behandelt werden. Im Herbst 2011 und im Frühjahr 2012 unterzog er sich erneut Untersuchungen und Eingriffen, wobei eine Kunstlinse eingesetzt wurde. Einschränkungen aufgrund einer Hornhautnarbe verblieben. Er verlangte ein Schmerzensgeld, doch der andere Auszubildende lehnte ab. Der Vorfall habe sich im Rahmen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit ereignet. In einem derartigen Fall greife die gesetzliche Unfallversicherung, die alle Schadensfolgen übernehme. Er selbst sei zu weiteren Leistungen nicht verpflichtet. Kam er damit durch?

Auszubildende haften wie Arbeitnehmer

Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer zivilrechtlich auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden, und zwar vom Arbeitgeber, von Kollegen, von Patienten, von Besuchern und von anderen externen Personen. Die zentrale Vorschrift für die Haftung ist § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

Gegenüber dem Arbeitgeber kommt noch hinzu, dass der Arbeitnehmer mit diesem einen Vertrag abgeschlossen hat: den Arbeitsvertrag. Deswegen greift diesem gegenüber zusätzlich die vertragliche Haftung. Und zwar nach § 280 Abs. 1 BGB: Verletzt der Schuldner schuldhaft eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen.

Die Haftung von Auszubildenden unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der Haftung von Arbeitnehmern. Das ist ständige Rechtsprechung der zuständigen Gerichte. Und das, obwohl ein Berufsausbildungsverhältnis grundsätzlich etwas ganz anderes ist als ein Arbeitsverhältnis. Inhalt eines Arbeitsverhältnisses ist es, die vom Arbeitsvertrag geforderte Leistung zu erbringen. Dafür gibt es dann den Lohn. Anders beim Ausbildungsverhältnis: Hier schuldet der Auszubildende lediglich, dass er sich bemüht, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erwerben. Er bekommt deswegen auch keinen Lohn wie ein Arbeitnehmer, sondern lediglich eine – deutlich niedrigere – Ausbildungsvergütung.

Also: Auszubildende haften grundsätzlich wie Arbeitnehmer. Allerdings haben Auszubildende mitunter andere Pflichten. Oder die Pflichten der Auszubildenden sind noch nicht so ausgeprägt wie bei den fertig ausgebildeten Kollegen. Insofern gibt es dann schon Unterschiede. An der Haftung als solcher ändert das für Auszubildende aber erst einmal nichts.

Haftungserleichterung ist möglich

Sind Arbeitnehmer oder Auszubildende nach den zuvor geschilderten Grundsätzen haftbar, so können sie von einer Haftungserleichterung gegenüber dem Arbeitgeber profitieren. Allerdings kommt das nur dann in Frage, wenn es sich um eine betrieblich veranlasste Tätigkeit handelt. Das ist zum Beispiel nicht der Fall, wenn ein Auszubildender eine „Spaßfahrt“ mit einem Rollstuhl oder Dienstfahrzeug unternimmt.

Die Haftungserleichterung wurde von der Rechtsprechung unter dem Schlagwort des innerbetrieblichen Schadensausgleichs entwickelt. Danach kann der Arbeitnehmer oder Auszubildende den Schaden nach folgenden Grundsätzen auf den Arbeitgeber zumindest teilweise abwälzen:

  • Bei leichter Fahrlässigkeit („kann jedem mal passieren“) haftet alleine der Arbeitgeber.
  • Bei mittlerer Fahrlässigkeit („passiert nicht jedem, ist aber noch verständlich“) haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam (nach Quoten, im Zweifel hälftig).
  • Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit („völlig unverständliches Außerachtlassen jeder Sorgfalt“) haftet alleine

der Arbeitnehmer. Besonderheit: Wenn bei grober Fahrlässigkeit die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers gefährdet ist (Faustregel: Schaden von mehr als drei Bruttomonatsgehältern), dann muss er ausnahmsweise doch nicht haften.

Nach den gleichen Grundsätzen kann der Arbeitnehmer oder Auszubildende bei der Haftung gegenüber Außenstehenden, zum Beispiel Patienten oder Pflegebedürftigen, entlastet werden. Er hat dann einen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber, dass dieser ihn von der Haftung, etwa gegenüber eines Patienten, freistellt. War die Pflichtverletzung also beispielsweise nur leicht fahrlässig, dann muss auch hier der Arbeitgeber für den Schaden gegenüber dem Außenstehenden in vollem Umfang aufkommen.

Besonderheiten ergeben sich für den Auszubildenden bei mittlerer Fahrlässigkeit. Hier haften er und der Arbeitgeber grundsätzlich nach Quoten. Für Auszubildende ist aber dessen geringes Einkommen und mangelnde Berufserfahrung zu berücksichtigen. Auch subjektive Umstände wie Unerfahrenheit, Defizite bei der Risikoeinschätzung oder auch Übermüdung können zugunsten des Auszubildenden zu berücksichtigen sein.

Gleiches gilt, wenn andere Arbeitnehmer, insbesondere weisungsberechtigte Kollegen, Anleitungskräfte oder der Arbeitgeber selbst das Schadensereignis mitzuverantworten haben. Die Führungskräfte tragen eine besondere Verantwortung für die Auszubildenden. Wenn sie dabei Fehler machen – zum Beispiel Organisationsdefizite und Personalmangel zu verantworten haben –, kann das einerseits zu deren haftungsrechtlicher Inanspruchnahme nach § 831 BGB führen. Daneben kann dies aber auch den Auszubildenden haftungsrechtlich entlasten. Ähnlich sieht es aus, wenn nach Vorkommnissen in der Vergangenheit keine Maßnahmen ergriffen wurden, um das Verhalten des Auszubildenden zu verbessern. Oder wenn solche Maßnahmen zwar ergriffen, diese aber nicht ausreichend kontrolliert wurden.

Wann greift die gesetzliche Unfallversicherung?

Eine ganz andere Privilegierung ergibt sich, wenn die gesetzliche Unfallversicherung einspringt. Dann müssen Arbeitnehmer laut § 105 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) nicht für Personenschäden beim Arbeitgeber oder bei Kollegen aufkommen. Diese Regelung greift aber nicht, wenn der Arbeitnehmer den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder wenn es sich um einen Wegeunfall handelt, zum Beispiel bei einer Fahrgemeinschaft für den Weg zur Arbeit.

§ 106 Abs. 1 SGB VII erweitert diesen Schutz für Auszubildende auch noch auf solche Schadensereignisse, die nicht im Betrieb selbst stattfinden, sondern bei vorgeschriebenen Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen – soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlasst worden sind. In allen Fällen tritt die gesetzliche Unfallversicherung ein und übernimmt den Personenschaden. Der Auszubildende ist dann fein raus.

Selbst wenn die gesetzliche Unfallversicherung greift und die Schadensregulierung für den Arbeitnehmer übernimmt: In keinem Fall wird ein Schmerzensgeld bezahlt. Der Geschädigte kann dieses auch nicht auf einem anderen Weg geltend machen. Dies wird als Sperrwirkung der gesetzlichen Unfallversicherung bezeichnet.

An dieser Stelle lässt sich der Eingangsfall – Wurfgeschoss trifft einen Auszubildenden am Auge – gut auflösen. Der beklagte Auszubildende hatte eingewandt, die gesetzliche Unfallversicherung würde den Personenschaden begleichen, er müsse nichts mehr zahlen. Doch die Richter am Bundesarbeitsgericht urteilten, dass die Unfallversicherung laut Gesetz nur dann zahlen muss, wenn sich der Unfall im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit ereignet hat. Der Wurf sei aber eher eine „gefahrenträchtige Spielerei oder Neckerei unter Auszubildenden“. Sie stehe in keinem Zusammenhang mit der Ausbildung oder Entsorgung des Wuchtgewichts. Ergebnis: Mangels betrieblicher Veranlassung griff die gesetzliche Unfallversicherung nicht. Der beklagte Auszubildende musste für den Schaden haften und letztlich 25 000 Euro Schmerzensgeld berappen (Urteil vom 19.3.2015, Az. 8 AZR 67/14).

Minderjährige genießen besonderen Schutz

Eine sehr weitreichende Sonderregelung ergibt sich schließlich noch aus § 828 Abs. 3 BGB. Danach sind sieben- bis 17-jährige Minderjährige für Schäden, die sie einem anderen zufügen, dann nicht verantwortlich, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht ausreichend einsichtsfähig sind. Das gilt auch für jugendliche Auszubildende.

Letztlich kommt es immer auf die konkrete Situation und den jeweiligen Reifegrad des jugendlichen Auszubildenden an. So wurde ein 16-Jähriger, der eine Wunderkerze auf einen anderen warf und dadurch Brandverletzungen verursacht hatte, vom Bundesgerichtshof für haftbar gehalten. In einem anderen Fall hielt der Bundesgerichtshof einen 17-Jährigen nicht für haftbar, weil dieser in einer gefährlichen Situation zwar einen Fehler gemacht hatte, dies allerdings unter Anleitung und Aufsicht eines erfahrenen Arbeitskollegen.

Keine generelle Entlastung!

Resümierend ist festzuhalten, dass Auszubildende grundsätzlich wie Arbeitnehmer haften. Dennoch muss entlastend berücksichtigt werden, dass ihre Pflichten mangels Wissen und Erfahrung noch nicht so ausgeprägt sind. Außerdem genießen sie einige haftungsrechtliche Entlastungen, für Jugendliche ist außerdem auf § 828 Abs. 3 BGB zu achten. Auf keinen Fall können sich Auszubildende jedoch unter Berufung auf ihr (noch) mangelndes Können und Wissen generell aus der Verantwortung stehlen.

Ein Tipp zum Schluss: Sollte ein Auszubildender einmal haften müssen, so könnte ein Arbeitgeber auf die Idee verfallen, seinen Schadensersatzanspruch gegen die Ausbildungsvergütung des Auszubildenden aufzurechnen. Das ist rechtlich sogar erst einmal möglich (§ 397 BGB). Allerdings: Alles was unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegt, ist unantastbar (§ 394 BGB). Zurzeit liegt diese Schwelle bei 1 140 Euro (für Personen ohne Unterhaltspflichten). Kaum eine Ausbildungsvergütung wird aber darüberliegen, deswegen ist sie bis zu dieser Höhe vor einer Aufrechnung sicher.

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