Die Arbeit mit Pflanzen findet in Heimen nicht immer die nötige Aufmerksamkeit. Dabei lohnt es sich, pflanzengestützte Aktivitäten systematisch in den Alltag einzubauen. Sie vermindern Agitation, bauen Stress ab und fördern das soziale Miteinander.
Herr M. ist ein verschlossener Bewohner, dessen Versorgung die meisten Pflegenden des Wohnbereichs als belastend und spannungsgeladen empfinden. Eines Tages erhält er von seiner Tochter einen Rosenstrauß – genau der gleiche, den er einst seiner verstorbenen Frau geschenkt hatte. Als ihn eine Pflegefachfrau auf den Strauß anspricht, beginnt der Mann, ausführlich von seinem Leben und der schönen Zeit mit seiner Frau zu berichten. Auf die Erinnerungen und Gefühle der Trauer reagiert die Pflegefachfrau mit dem Versprechen, gemeinsam mit dem Bewohner für eine möglichst lange Haltbarkeit der Blumen zu sorgen. Diese Situation war der Beginn einer positiven Beziehung zwischen der Mitarbeiterin und dem alten Herrn. Die pflegerischen Handlungen konnten von nun an in einer deutlich angenehmeren Atmosphäre durchgeführt werden.
Unermesslicher Fundus
Das Fallbeispiel zeigt, dass Pflanzen prädestiniert sind als Türöffner für eine gute Pflege. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass die große Mehrheit älterer Menschen eine starke, in der Biografie verankerte Beziehung zu Pflanzen hat. Sie bringen persönliche Erfahrungen und Erinnerungen mit ihnen in Verbindung. Häufig werden Gerüche, Rituale und Handlungen mit Pflanzen assoziiert.
So gesehen sind Pflanzen ein unermesslicher Fundus für pflegerische Interventionen. Ein alltagsnahes Beispiel für eine Integration von Pflanzen im Heimalltag ist die gemeinsam durchgeführte Pflanzenpflege. Die älteren Menschen erfahren durch gärtnerische Handlungen sinnvolle Beschäftigung, Wertschätzung und Selbstwirksamkeit. Häufig erhöht sich dadurch das Wohlbefinden. Zudem lenken pflanzengestützte Handlungen von Unpässlichkeiten und Schmerzen ab. Aufgrund der notwendigen Konzentration und Aufmerksamkeit eignet sich die Arbeit mit Pflanzen auch als kognitives Training, das von den Betroffenen gerne angenommen wird – denn die Arbeit mit Pflanzen macht den meisten Menschen Spaß.
Um das besondere Potenzial von Pflanzen in Pflegesettings wissenschaftlich zu betrachten, wurde an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) von 2011 bis 2015 das Projekt „Integrative Indoorbepflanzung von Alterszentren und pflanzengestützte Gesundheits- und Krankenpflege“ durchgeführt. Ziel war, Interventionen für pflegebedürftige Menschen zu entwickeln und Wege zu identifizieren, um pflanzengestützte Interventionen sinnhaft in den Heimalltag zu integrieren. Über 100 Bewohnende nahmen an der Praxisphase teil. Ergebnis der wissenschaftlichen Auswertung sind 15 leicht nachzuahmende pflanzengestützte Interventionen. Darunter befinden sich sowohl kurze als auch lange Tätigkeiten, um Heimbewohnern je nach Situation und individuellen Ressourcen ein passgenaues Angebot machen zu können.
Die 15 Pflegeinterventionen lassen sich in vier Bereiche einteilen: Pflanzen wachsen lassen, Pflanzen pflegen, mit Pflanzen gestalten, Pflanzen erfahren. Die Handlungen integrieren pflegerische und gärtnerische Elemente. Sie dienen dazu, die Beziehung zu gestalten, die Zusammenarbeit festzulegen, gemeinsam zu handeln und Maßnahmen miteinander abzuschließen.
Zu den Pflegeinterventionen im Bereich „Pflanzen wachsen lassen“ gehören gärtnerische Aktivitäten, wie Pflanzen aussäen (Abb. 1), Jungpflanzen topfen, Pflanzen vermehren und Blumenzwiebeln topfen. Diese Interventionen sind für pflegebedürftige Menschen geeignet, die Freude an der Arbeit mit Erde und dem Hegen und Pflegen von jungen Pflanzen haben.

Bewohner, die eigene Pflanzen haben, können diese mit Unterstützung der Pflegepersonen pflegen. Zu den Interventionen des Bereichs „Pflanzen pflegen“ gehören Handlungen wie: Pflanzen tauchen, Pflanzen besprühen, Pflanzenwünsche mitteilen und eigene Pflanzen pflegen.
Pflanzengestützte Interventionen des Bereichs „Mit Pflanzen gestalten“, wie Blumensträuße und Gestecke gestalten und auffrischen, bieten sich als einmalige Handlungen ohne Regelmäßigkeit an. Nach Abschluss der Maßnahme kann ein Bild vom Resultat gemacht werden, das an die erlebten Stunden erinnert.
Ziel des Bereichs „Pflanzen erfahren“ ist es, Pflanzen mit den eigenen Sinnen zu erfahren. Die Bewohner können im Rahmen der Handlungen die Pflanzen ertasten und an ihnen riechen. Die Interventionen dieses Bereichs eignen sich für alle Lebenslagen, um das Wohlbefinden positiv zu unterstützen.
Interventionen in Pflegealltag integrieren
Die pflanzengestützten Interventionen sollen Bestandteil des Heimalltags werden und sind dementsprechend auch in der Pflegeplanung zu berücksichtigen. Ausgangspunkt der pflanzengestützten Pflege sollten Assessments und Anamnesen sein, um bereits im Vorfeld Informationen zur Bedeutung von Pflanzen der jeweiligen Person zu sammeln. Empfehlenswert hierbei sind folgende Fragen:
- Hat/hatte die/der Bewohner/in einen Garten, Balkon und Zimmerpflanzen?
- Hat/hatte die/der Bewohner/in Rituale oder Gewohnheiten mit Pflanzen?
- Hatte/hat die/der Bewohner/in Vorlieben oder Abneigungen bezüglich Pflanzen?
- Ist die/der Bewohner/in interessiert an Aktivitäten mit Pflanzen?
Der genaue Ablauf der pflanzengestützten Intervention sollte gemeinsam mit dem Bewohner und Angehörigen festgelegt und die benötigten Materialien zusammen organisiert werden. Der Zeitaufwand orientiert sich am Ergebnis von Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen mit dem Bewohner und seinen Angehörigen.
Damit Bewohnende und Angehörige von Interventionen mit Pflanzen profitieren können, müssen sie über das Angebot informiert werden und eine Anlaufstelle für etwaige Fragen innerhalb der Institution haben. Zur Information eignen sich Poster oder Flyer.
Nach einer Intervention mit Pflanzen ist es bedeutsam, das Erreichen der pflegerischen Ziele – etwa Förderung der Beziehungsgestaltung zwischen Pflegebedürftigem und Pflegefachperson oder Förderung der Konzentration – zu evaluieren. Auf dieser Basis können Maßnahmen neu geplant und durchgeführt werden.
Grundvoraussetzung für das Gelingen pflanzengestützter Pflege ist ein wertschätzender Umgang miteinander, der von Respekt gekennzeichnet ist. Auf dieser Basis stehen die Chancen gut, dass Pflegeinterventionen mit Pflanzen zu einer gelingenden Alltagsgestaltung beitragen, die vom Betroffenen als sinnstiftend erlebt wird.
Die Autoren: Veronika Waldboth; Susanne Suter-Riederer, Dozentin am Institut für Pflege der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW); Martina Föhn, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pflege der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW); Renata Schneiter-Ulmann, ehem. Dozentin für Biologie, ZHAW; Dr. Lorenz Imhof, Professor für gemeindenahe, integrierte Pflege, Nursing Science & Care GmbH.