• 20.09.2017
  • Praxis
Kommentar

Raus aus dem Jammertal!

Ständiges Jammern bringt die Berufsgruppe nicht voran.

Die Schwester Der Pfleger

Ausgabe 5/2017

Jammern ist in der Pflege weit verbreitet. Das mag zwar kurzfristig entlasten, bringt die Berufsgruppe aber nicht voran. Höchste Zeit, dass auf das Klagen endlich konstruktives Handeln folgt.

Seit vielen Jahren bin ich mit Vorträgen und Seminaren in der Pflege unterwegs – fast überall beklagen die Pflegenden ihre Situation. Oft geht viel Zeit dabei verloren. Dennoch hat keinen Sinn, das Klagen zu übergehen, es kommt immer wieder durch. Deswegen plane ich inzwischen überall Zeit dafür ein. Vielleicht stellt das gemeinsame Jammern ja auch Einvernehmen her („im Leid vereint“).

Ich kenne keine andere Berufsgruppe, die sich ähnlich in einer Opferrolle wähnt wie die Pflege. Schon während der Ausbildung scheinen junge Menschen in diese Richtung sozialisiert zu werden. Sie folgen einem heimlichen Curriculum der „erlernten Hilfslosigkeit“. Mehrmals haben mir Kolleginnen und Kollegen gesagt, dass sie hoffen, durch Klagen Hilfe von Anderen zu erhalten, Aufmerksamkeit und Mitleid in Gesellschaft und Politik zu erregen. Jammern tröste.

Klagende Menschen werden gemieden

Aber ist das wirklich so? Jammern zeigt zwar kurzfristig einen „Entlastungsgewinn“. Es tut gut, es ist „ansteckend“, es wirkt solidarisch. Mittelfristig verstärkt es aber negative Gefühle wie Wut und Hilflosigkeit. Jammern ist auch nicht sexy, klagende Menschen werden gemieden. Vor allem ist es das Gegenteil von Kompetenz und Professionalität – also von dem, wie wir uns präsentieren möchten und sollten. Leider bedeutet das Klagen auch nicht, dass der Mensch sich für Veränderungen einsetzt. Im Gegenteil, er bleibt passiv – der Status quo wird aufrechterhalten. Es ist leichter, die unangenehme Lage zu ertragen, als sich aufzuraffen.

Pflege ist ein anspruchsvoller Beruf, wir hätten allen Grund, auf unsere Arbeit stolz zu sein. Tatsächlich sind die Rahmenbedingungen furchtbar. Dies liegt aber vor allem daran, dass wir uns keine Mitsprache nehmen und nicht organisiert sind. Auch fehlt oftmals Wissen über die Zusammenhänge im Gesundheitswesen. Im Vergleich zu anderen Ländern scheinen mir die Pflegende in Deutschland besonders verzagt zu sein – es ist wie die „stille Duldung“ der Schwestern aus früheren Zeiten. Beruflich Pflegende klagen dabei vor allem über die Arbeitsumstände und den Zeitdruck, nicht über die Patienten/Bewohner. Sie sind enttäuscht über die mangelnde Wertschätzung – von der Gesellschaft, den Kollegen und besonders von den Vorgesetzten.

Was können wir tun?

Ein erster Schritt könnte sein, dass wir uns klarmachen, dass Jammern nichts bringt. Das kann noch hundert Jahre so weitergehen. Ändern würde sich dadurch wohl nichts. Es ist also Zeit, dass auf das Jammern auch Aktionen folgen. Ich wünsche mir, dass Lehrende und Leitende darauf achten, dass nicht endlos Energie durch das Schimpfen vergeudet wird, dass Anti-Jammern-Kampagnen entstehen. Wie kann das gelingen?

Werten Sie die guten Seiten Ihrer Arbeit auf. Was macht Ihnen Spaß? Was funktioniert gut? Eine Lösungsorientierung führt auch „im Kleinen“ zu einer anderen Sichtweise. Möglicherweise kann auch ein Teamprozess angeregt werden, indem man sich gemeinsam über kurzfristige und erreichbare Ziele verständigt. Eine ähnliche Strategie könnte auch eine ganze Pflegeeinrichtung oder Klinik verfolgen.

Manches kann auch mit Humor angegangen werden. Wer anfängt zu jammern, muss beispielsweise Geld in eine gemeinsame Kasse werfen. Oder man sammelt die schlimmsten Aussagen an einer Klagemauer/Pinnwand. Anschließend sollte natürlich immer überlegt werden, wie damit umgegangen werden kann. Klageorte sind häufig Dienstzimmer. Eventuell kann es eine Jammer-Verhinderungs-Ausstattung geben mit positiven Entwürfen. Vielleicht hat eine Gruppe auch Lust, einen „Jammer-Rap“ zu verfassen oder einen „Klage-Poetry-Slam“ zu veranstalten. Wichtig ist es, „Momente guter Pflege“ wahrzunehmen, zu entwickeln und zu sammeln/präsentieren. Ich weiß, dass überall Zeitmangel herrscht. Trotzdem sind kleine Projekte denkbar, die kaum Zeit kosten, aber die Zufriedenheit steigern.

Und: Machen wir uns nichts vor! Strukturelle Verbesserungen geschehen nur über Einfluss in Öffentlichkeit und Politik. Eine wahrlich gewinnbringende Maßnahme wäre, dass in 2017 zigtausende Pflegende in Berufsverbände eintreten und diese dadurch stärken. Nur sieben Prozent der Pflegenden hierzulande sind organisiert – das ist ein Witz. Im Ausland sind Pflegende oft gleich in mehreren Verbänden Mitglied. Und das zu ihrem Vorteil.

Die Jammerkultur erlebe ich aber auch bei der Nachfrage, warum Pflegende nicht organisiert sind. „Was tun die denn für mich?“ wird gefragt, „das bringt doch alles nichts“. Daran wird deutlich, wie wenig Pflegende über Macht und Mitwirkung wissen. Mächtig sind die modernen Medien, da wünsche ich mir einen „Storm“ für die Pflege und die Pflegeberufe. Ich denke, dass es auch Zeit für Ausstände ist. Pflege kann nicht flächendeckend streiken, das ist klar – aber genau mit dieser Kenntnis werden die Pflegeberufe kleingehalten.

Wichtig ist, der fortwährenden Versuchung des Jammerns zu widerstehen. Es ändert nichts, und es vergrault auch den Berufsnachwuchs. Ich ärgere mich immer über die Skandalberichterstattung im TV. Da wird dann irgendeine Pflegende hervorgezogen, und sofort beginnt das Klagelied. Ich wundere mich darüber, dass Pflegende schlimme Situationen jahrelang mittragen, nicht an die Öffentlichkeit gehen und erst wenn von außen etwas passiert, den Mund aufmachen („Schon lange haben wir das nicht gut gefunden“). Hier fehlt es eindeutig an Zivilcourage. Auch dies ist ein Gegenentwurf zum ständigen Klagen.

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Hoffnung. Hoffnung liegt einer Klagekultur diametral gegenüber. Hoffnung aktiviert und bestärkt, lässt nach Wegen suchen. Ich hoffe sehr, dass die Pflegenden aufwachen und das Jammertal überwinden.

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