Frage: Bei uns kommt es vor, dass Patienten nach einer ambulanten Behandlung mit dem Privatfahrzeug heimfahren, obwohl sie von uns im Vorfeld auf die Fahruntüchtigkeit hingewiesen werden. Wir haben im Team besprochen, in solchen Fällen die Polizei zu informieren. Dürfen wir das tun?
Auf keinen Fall dürfen Pflegefachkräfte die Polizei von sich aus informieren, wenn Patienten zum Beispiel nach einer Koloskopie trotz Fahruntauglichkeit ins Auto steigen möchten. Das gilt auch für Absprachen in einem Team. Die polizeiliche Meldung verbietet sich aus Gründen der Schweigepflicht und der Kompetenzverteilung zwischen Pflegenden und Ärzten.
In Gesundheitsberufen besteht eine umfassende Schweigepflicht hinsichtlich des Patienten und all seiner Eigenschaften. Das betrifft insbesondere seine Erkrankungen und damit auch die Fahrgeeignetheit. Wer gegen diese Schweigepflicht verstößt, dem drohen strafrechtliche Konsequenzen. Ausnahmen, in denen man eine Meldepflicht hat, sind selten – zum Beispiel bei einer Schussverletzung. Ganz ausnahmsweise ist ein Bruch der Schweigepflicht auch dann gerechtfertigt, wenn ein Fall des rechtfertigenden Notstands nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch vorliegt. Diese Vorschrift besagt: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, (…) das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“ Das bedeutet, ein Arzt darf seine Schweigepflicht nur dann brechen, wenn das Interesse, den Patienten vor einem möglichen Unfall zu bewahren, schwerer wiegt als das Vertrauensverhältnis des Patienten zu seinem Arzt.
Die Krux liegt bei dieser Vorschrift in der richtigen Abwägung zwischen den sich entgegenstehenden Interessen. Hier ist immer die Verhältnismäßigkeit zu beachten. In einem einschlägigen Strafprozess hat das Oberlandesgericht Düsseldorf an diesen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sehr hohe Anforderungen gestellt. Demnach muss der Arzt sinngemäß seinen Patienten zunächst auf dessen Gesundheitszustand und damit verbundene, drohende Gefahren durch das Autofahren hinweisen, wenn er Zweifel an dessen Fahrtauglichkeit hat. Erst dann darf er die Polizei verständigen. Eine Ausnahme ist es, wenn ein Zureden des Arztes von vornherein nicht zielführend ist, zum Beispiel wegen der Art der Erkrankung oder wenn der Patient uneinsichtig ist.
Die Information des Patienten und die Entscheidung, die Polizei zu rufen und damit die Schweigepflicht zu brechen, fällt ausschließlich in den Kompetenzbereich des Arztes. Eine Absprache im pflegerischen Team ist also in jedem Fall unzulässig. Der behandelnde Arzt muss eine Interessenabwägung vornehmen und zunächst sämtliche zusätzliche Vorkehrungen treffen, ansonsten macht er sich strafbar. Er alleine entscheidet, wie mit dem Patienten verfahren wird. Nur wenn es nicht anders geht, kann der Arzt aktiv werden und die Polizei verständigen. Er muss es aber im Übrigen nicht, weil keine Meldepflicht, sondern nur ein Melderecht besteht. Als Arbeitnehmer muss er dabei auch die Vorgaben des Arbeitgebers beachten.