Pflegenden kommt eine Schlüsselfunktion bei der frühzeitigen Erkennung einer Sepsis zu. Die kürzlich vorgenommene Neudefinition des gefährlichen Krankheitsbilds stärkt diese Rolle. Jede neu aufgetretene akute Verwirrtheit sollte bis zum Beweis des Gegenteils an eine Sepsis denken lassen.
Sepsis wird als eine Fehlreaktion des Immunsystems verstanden, die durch eindringende Mikroorganismen ausgelöst wird. Die Zellen des Immunsystems geraten in Alarmbereitschaft, es treten die typischen Zeichen einer überschießenden Entzündung auf.
Rund 60.000 Menschen erkranken jährlich an einer Sepsis. Viele können gerettet werden, wenn sie möglichst frühzeitig therapiert werden. Doch gerade diese Hilfe kommt häufig zu spät, wie Sepsisforscher des Universitätsklinikums Jena vor gut drei Jahren herausfanden. Seitdem ist die Information von Krankenhausmitarbeitern massiv vorangetrieben worden. Auch Pflegende auf Normalstationen sollten besser über das gefährliche Krankheitsbild Bescheid wissen. Denn gerade sie sind es, die den meisten Kontakt zu Patienten haben und Symptome frühzeitig erkennen können.
Sepsis neu definiert
Die Definition der Sepsis war jahrzehntelang auf fieberhafte klinische Zustände beschränkt, bei denen eine positive Blutkultur vorlag. Für dieses klinische Bild war der Begriff der Septikämie gebräuchlich. Im Jahr 1992 wurde der Bezug auf die Blutkultur als Diagnosekriterium verlassen. Stattdessen wurde der Begriff des SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrome, systemische inflammatorische Reaktion) etabliert (Bone et al. 1992). Ein SIRS lag vor, wenn zwei oder mehr der folgenden Entzündungszeichen nachgewiesen wurden:
- Fieber oder Hypothermie (Körpertemperatur über 38 oder unter 36 Grad Celsius),
- Tachykardie (Herzfrequenz über 90 pro Minute),
- Tachypnoe (Atemfrequenz über 20 pro Minute),
- Leukozyten > 12 3 109/l (Leukozytose) oder < 4 3 109/l (Leukopenie).
Eine Sepsis wurde nach Bone et al. angenommen, wenn mindestens zwei SIRS-Kriterien erfüllt waren und zusätzlich der Nachweis einer Infektion erfolgt war beziehungsweise der hochgradige Verdacht bestand.
Eine schwere Sepsis war definiert als Sepsis plus Organversagen, wie z. B. eine septische Enzephalopathie mit akuter Verwirrtheit, Dysfunktion von Nieren oder Lunge, arterielle Hypotension oder dergleichen. Ein septischer Schock erforderte die Kriterien der arteriellen Hypotension trotz adäquater Flüssigkeitszufuhr und die Notwendigkeit des Einsatzes eines Vasopressors zur Stabilisierung des Blutdrucks.
Im Laufe der Jahre zeigte sich jedoch, dass die diagnostischen Kriterien der Definition von Bone et al. (1992) nur einen Teil des septischen Krankheitsbilds erfassten. Die SIRS-Kriterien sind unspezifisch und zum Teil sehr schnell erfüllt, wie Tachykardie und Tachypnoe. Des Weiteren gibt es Patienten ohne SIRS-Kriterien, die trotzdem eine schwere Sepsis haben, weil ein Infektionsfokus vorliegt und eine Organdysfunktion besteht.
Vor diesem Hintergrund sind Anfang 2016 im „Journal of the American Medical Association" eine neue Sepsis-Definition und neue Kriterien zur Bewertung der Sepsis veröffentlicht worden (Singer et al. 2016). Die Publikation begründeten die Autoren damit, dass seit der letzten Überarbeitung der Definition vor 25 Jahren zahlreiche neue Erkenntnisse den Blick auf das Syndrom stark verändert und eine Aktualisierung nötig gemacht haben.
Sepsis ist künftig als lebensbedrohliche Organdysfunktion zu definieren, die als Folge einer fehlregulierten Antwort des Körpers auf eine Infektion auftritt. Von einem septischen Schock soll ab sofort die Rede sein, wenn besonders schwere Störungen der Zirkulation und des Stoffwechsels die Sterblichkeit erhöhen. Begriffe wie Septikämie und SIRS sollen nicht mehr verwendet werden.
Nach neueren pathophysiologischen Erkenntnissen liegt bei einer Sepsis immer eine Organdysfunktion vor. Solche Funktionsstörungen eines oder mehrerer Organe können zu Beginn des septischen Geschehens noch verdeckt ablaufen, jedoch bereits entscheidend die Prognose bestimmen. Die Aufnahme des Kriteriums „Organdysfunktion" schien der Arbeitsgruppe daher für eine neue Sepsis-Definition unabdingbar.
Die Arbeitsgruppe evaluierte verschiedene Möglichkeiten, um das Vorliegen von Organdysfunktionen objektiv zu erfassen. Sie kam zu der Auffassung, dass sich der seit den 1990er-Jahren etablierte SOFA-Score – kurz für Sepsis-related Organ Failure Assessment – am besten dafür eignet. Es handelt sich um einen Punktescore, der intensivmedizinische Parameter umfasst. Der SOFA-Score eignet sich vor allem für Patienten auf der Intensivstation, da er unter anderem die Durchführung einer Blutgasanalyse voraussetzt. Für Normalstationen ist nach Auffassung der Autoren ersatzweise der Quick-SOFA für eine rasche Identifikation von Sepsis-Patienten ohne Laborparameter und Blutgasanalyse geeignet. Er ist positiv, wenn zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt sind:
- Atemfrequenz höher als 22 pro Minute,
- veränderte Bewusstseinslage, zum Beispiel akute Verwirrtheit,
- systolischer Blutdruck unter 100 Millimeter Quecksilbersäule (mmHg).
Diagnosestellung oft schwierig
Beim Verdacht auf eine Sepsis muss sofort ein Arzt informiert werden. Pflegende, die Patienten mit fieberhaften Allgemeininfekten auf der Station betreuen, haben den intensivsten Kontakt mit den Betroffenen. Ihnen kommt daher eine Schlüsselfunktion bei der frühzeitigen Erkennung einer Sepsis zu. Jede neu aufgetretene akute Verwirrtheit sollte bis zum Beweis des Gegenteils an eine Sepsis denken lassen.
Pflegewissenschaftliche Studien haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt mit der Frage beschäftigt, ob Pflegende die Zeichen einer Sepsis frühzeitig erkennen können oder ob bestimmte klinische Konstellationen für sie schwierig zu interpretieren sind (Santos et al. 2015). Resümee der Forscher: Es kann für Pflegende durchaus schwierig sein, eine Sepsis von einer postoperativen systemischen Entzündungsreaktion zu unterscheiden. Weiter konstatieren die Wissenschaftler, dass die wesentlichen Frühzeichen einer Sepsis akute Verwirrtheit, Hypotonie, verminderte Urinausscheidung und respiratorische Insuffizienz sind. Sie sollten immer Anlass sein, eine Sepsis zu vermuten.
Besonders bei alten Menschen ist es schwer, eine Sepsis eindeutig festzustellen. Beim geriatrischen Patienten zeigt sich oftmals eine gering ausgeprägte klinische Symptomatik mit schleichendem Verlauf.
Klinisch atypische Verläufe schwerer Infektionen im Alter haben zur Folge, dass die schwerwiegende Erkrankung oftmals zu spät diagnostiziert und verzögert therapiert wird, was zu Komplikationen oder zum Tod des Patienten führen kann.
Das Kardinalsymptom des Fiebers – bei einer bakteriellen Infektion – ist in über 30 Prozent der Fälle beim älteren Patienten nicht vorhanden (Lamantia et al. 2014). Zur weiteren Abklärung mit Fokussuche dienen bildgebende Verfahren wie die Röntgenthoraxaufnahme, die Ultraschalluntersuchung und die Computertomografie. Zur mikrobiologischen Diagnostik erfolgen die Abnahme von Blutkulturen, die Gewinnung von Bronchialsekret und die Durchführung von Wundabstrichen.
Schnell handeln
Um ein rasches und strukturiertes Handeln zu erleichtern, führten Rivers und Mitarbeiter aus Detroit ein standardisiertes Vorgehen für die ersten sechs Stunden nach der Diagnosestellung eines septischen Schocks ein. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wurden 2012 von der internationalen Sepsiskampagne Surviving Sepsis Campaign (SSC) mit leichten Modifikationen übernommen (Abb. 1).

Im Wesentlichen sieht das Konzept vor, die parenterale Gabe von Flüssigkeit und Maßnahmen zur Optimierung des Sauerstoffangebots an festen pathophysiologischen Zielwerten auszurichten. Für das Bündel werden heute üblicherweise die Begriffe Early Goal Directed Therapy (EGDT, frühe zielorientierte Therapie) oder „Maßnahmenbündel der ersten sechs Stunden" verwendet. Ein wissenschaftlicher Beleg für die Wirksamkeit dieses Konzepts steht noch aus.
Die Sepsis-Mortalität hat sich in den vergangenen Jahren trotz Verbesserung antiinfektiver und intensivmedizinischer Therapien nicht wesentlich verändert. Sie ist weiterhin beängstigend hoch. Aufgrund des demografischen Wandels ist davon auszugehen, dass weiterhin gehäuft komplizierte septische Krankheitsbilder auftreten.
Es ist häufig schwierig, die Diagnose Sepsis zu stellen, da kein singulärer Laborparameter zur Verfügung steht, der eine Sepsis im Frühstadium voraussagen kann. Bei kritisch kranken älteren Patienten ist die Feststellung des Krankheitbilds erschwert, da die typischen Primärsymptome der Sepsis wie Fieber und Leukozytose oftmals fehlen.
Kernelemente einer erfolgreichen Sepsis-Therapie sind die Früherkennung inklusive Identifikation des Infektfokus. Wichtig sind weiterhin die früh einsetzende Antibiotikatherapie und eine zügige zielorientierte Stabilisierung der Hämodynamik. Die Vorbeugung nosokomialer Infektionen ist für viele Patienten entscheidend, da die meisten Fälle von Sepsis bis zum septischen Schock darauf zurückzuführen sind. Intensive Hygienemaßnahmen zielen darauf ab, Infektionen im Krankenhaus zu vermeiden. Vor allem für Intensivpatienten sollten alle effektiven Prophylaxe- und Therapiestrategien ausgeschöpft werden.
Bone RC et al. Definitions for sepsis and organ failure and guidelines for the use of innovative therapies in sepsis. Chest 1992; 101: 1644–1655
Lamantia MA et al. Screening for delirium in the emergency department: a systematic review. Ann Emerg Med 2014; 63: 551–552
Santos PS et al. A practical guide to the diagnosis, treatment and prevention of neonatal infections. Pediatr Clin North Amer 2015; 62: 491–508
Singer M et al. The Third International Consensus definitions for sepsis and septic shock (sepsis3). JAMA 2016; 315: 801–810
Die Autorengruppe: Hardy-Thorsten Panknin; Prof. Dr. med. Ursula Müller-Werdan, Evangelisches Geriatriezentrum Berlin gGmbH, Lehrstuhl für Geriatrie der Charité – Universitätsmedizin Berlin; Prof. Dr. med. Stefan Schröder, Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Krankenhaus Düren