MOOCs, Gamification, Mobiles Lernen – internetgestützte Lernformate sind in aller Munde. Auch Pflegeschulen folgen immer häufiger diesem Trend. Allerdings werden die vielfältigen Möglichkeiten, die modernes E-Learning heute bietet, bislang nur bruchstückhaft genutzt, wie eine neue Studie nun zeigt.
Bildungseinrichtungen sind seit Jahren auf der Suche nach der optimalen Mischung aus virtuellen Lerneinheiten und dem klassischen Präsenzunterricht. Ausbildungsstätten im Pflegebereich müssen mitziehen, schon allein um den begehrten Anschluss an akademische Bildungsangebote zu halten. Und E-Learning ist ein beliebtes Werkzeug für einen modernen Anstrich. Doch wie ist es tatsächlich um das E-Learning an den Ausbildungsstätten des Sozial- und Gesundheitswesens bestellt?
Um diese Frage zu beantworten, haben Medienwissenschaftler der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld eine Bestandsaufnahme für das Bundesland Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Gefördert im Rahmen des BMBF-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen" wollten die Forscher einen Blick auf die „andere Seite" werfen. Damit sind die potenziellen Partner der Hochschulen bei der Entwicklung von berufsintegrierten Studiengängen zur Weiterqualifizierung im Sozial- und Gesundheitswesen" gemeint – daher auch der Projekttitel „BEST WSG".
Zwischen Oktober und Dezember 2015 wurden 346 staatlich anerkannte Ausbildungsstätten für Fachberufe des Sozial- und Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen angeschrieben. Insgesamt füllten Vertreter von 118 Schulen den Online-Fragebogen aus – darunter vor allem solche Ausbildungsstätten, die Ausbildungsgänge in der Gesundheits- und Krankenpflege (46), Kinderkrankenpflege (17) sowie Altenpflege (13) anbieten.
Technische Infrastruktur fördert mobiles Lernen
Vor der eigentlichen Bestandserhebung legten die Forscher den Fokus auf die technische Ausstattung der Schulen. Hierbei zählen Beamer inzwischen zum Standard in allen Unterrichtsräumen, Schüler-PCs sind in den meisten Schulen zumindest in einzelnen Klassenzimmern bereit gestellt. Förderlich für die Verbreitung von E-Learning-Inhalten ist zweifelsohne auch die überraschend hohe Verfügbarkeit von kostenlosen WLAN-Netzwerken im schulischen Umfeld: Etwa jede zweite Schule bietet ein Schüler-WLAN flächendeckend an. Die Lehrkräfte werden von fast allen Schulen standardmäßig mit Dienst-Laptops ausgestattet, zudem verfügt etwa die Hälfte aller Schulen über einen Computerraum. Auch über WLAN oder LAN ist ein Großteil der Lehrkräfte in den Schulen vernetzt. Die Nutzung privater Endgeräte ist während der Arbeitszeit dagegen eher unüblich – kein Thema scheint hier das Konzept „Bring Your Own Device" (BYOD) zu sein, das den Versuch beschreibt, private mobile Endgeräte wie Laptops, Tablets oder Smartphones in die Netzwerke von Schulen und anderen Bildungsinstitutionen zu integrieren.
Immer mehr Schulen nutzen E-Learning
Die technische Infrastruktur an den befragten Schulen ist also durchaus förderlich für die Entwicklung von E-Learning-Szenarien – und offenbar wird diese Grundlage von den Schulen auch entsprechend genutzt: Jede zweite der befragten Schulen gab an, bereits E-Learning-Elemente einzusetzen – vor allem Lernplattformen wie Moodle und Illias, in der Befragung fast gleichauf, oder vereinzelt auch selbstgebaute Lösungen, Cloud-Speicherdienste sowie Lernsoftware auf externen Datenträgern. Zudem wird offenbar verstärkt auf Social-Media-Plattformen in der Ausbildung zurück gegriffen. Unter den Schulen befinden sich jedoch nur vereinzelt „Early Adopter" – vier Schulen gaben an, E-Learning bereits vor dem Jahr 2000 eingesetzt zu haben. Eine breite Mehrheit, nämlich drei von fünf Schulen, ist dagegen in den vergangenen fünf Jahren dem Trend gefolgt. Die E-Learning-Revolution hat weitreichende Auswirkungen auf die Lehrkräfte an den Pflegeschulen. Wie die Studie der Fachhochschule der Diakonie zeigt, sind es vor allem Einzelkämpfer, die E-Learning an den Schulen voran bringen. Nur zwei Schulen unterhalten eine eigene E-Learning-Abteilung mit mehreren Mitarbeitern, fünf Schulen haben einen hauptamtlichen E-Learning-Beauftragten. In den meisten Fällen (47 von 90 Nennungen) sind die jeweiligen Lehrkräfte für ihre E-Learning-Aktivitäten selbst verantwortlich. Etwa 25 Prozent der Schulen hat eine Lehrkraft benannt, welche diese Aufgabe neben ihrer eigentlichen Lehrtätigkeit wahrnimmt und die treibende Kraft ist. Bei der Frage nach den technischen Hilfsmitteln besteht offenbar noch Nachholbedarf: Ein Großteil der Schulen greift bei der Erstellung seiner E-Learning-Inhalte auf herkömmliche Office-Software sowie frei verfügbare Internet-Inhalte zurück. Eine moderne Autorensoftware für E-Learning-Inhalte kommt dagegen an keiner Schule zum Einsatz.
Chancen nur bruchstückhaft ausgeschöpft
Auch bei den weiteren Fragen entstand der Eindruck, dass die vielfältigen Möglichkeiten moderner E-Learning-Arrangements von den Ausbildungsschulen im Sozial- und Gesundheitswesens nur bruchstückhaft genutzt werden. So erklärte beispielsweise ein Großteil der Schulen, die über eine Lernplattform verfügen, dass sie diese vor allem folgendermaßen einsetzen:
- als Campus – Austauschbereich für organisatorische Informationen und Unterlagen,
- als Schwarzes Brett – für Nachrichten der Schüler/innen sowie
- zur Bereitstellung von Arbeitsmaterialien – zum Beispiel Powerpoint-Folien, PDF-Dateien.
E-Learning ist also bis heute noch eine sehr statische Angelegenheit. Nur zehn von 32 Schulen mit einer Lernplattform gaben an, dass sie auch die interaktiven Lernaktivitäten nutzen, zum Beispiel Forum, Wiki, Chat. Dabei gelten diese als Herzstück konstruktivistisch geprägter Lernplattformen wie Moodle. Das wird auch bei einem Blick auf die interaktiven Funktionen deutlich, die in einer Lernplattform an den Schulen überhaupt genutzt werden können. Hier waren für eine Mehrheit der Befragten die Funktionen „Datenbank" (zum Sammeln von Unterlagen), „Aufgabe" (zur Abgabe von Hausaufgaben) sowie „Test" (für automatisch ausgewertete Multiple-Choice-Tests) wichtig beziehungsweise sehr wichtig.
Auffällig ist, dass kommunikative Funktionen wie Forum, Chat oder Feedback eine untergeordnete Rolle spielen, ebenso kollaborative Werkzeuge wie das Wiki. Es entsteht der Eindruck, dass Lernplattformen vor allem zur Verbreitung von Unterlagen und zur Abfrage von Wissen eingesetzt werden.
Die Medienwissenschaftler der Fachhochschule der Diakonie interessierten sich auch für die generelle Einschätzung der Schulen zu E-Learning sowie für mögliche Chancen und Hürden bei dessen Einsatz. Die Antworten auf die Frage nach dem Stellenwert von E-Learning machen deutlich, dass die Ausbildungsstätten im Sozial- und Gesundheitswesen den Trend durchaus auf dem „Radar" haben – etwa jede dritte Lehrkraft hält E-Learning für „wichtig". Der Mittelwert aller Antworten liegt allerdings zwischen „wichtig" und „weniger wichtig". Das lässt darauf schließen, dass E-Learning aktuell nicht oberste Priorität an den Ausbildungseinrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens genießt. Auffällig ist, dass etwa jeder siebte Schulvertreter das Thema E-Learning für „überhaupt nicht wichtig" hält.
E-Learning als Mittel zur Imagepflege
Im Bereich der möglichen Chancen beim Einsatz und Ausbau von E-Learning-Angeboten wurde deutlich, dass vor allem der Marketing-Aspekt des Einsatzes von E-Learning wichtig ist. E-Learning wird von vielen Lehrenden als Mittel zur Imagepflege verstanden. Zudem erhoffen sich viele Lehrende eine stärkere Öffnung der Bildungseinrichtung und verstehen E-Learning als Reaktion auf geänderte Lebensgewohnheiten. Außerdem wird E-Learning als Möglichkeit gesehen, schüchterne Schülerinnen und Schüler besser in den Unterricht zu integrieren. Manche positiv konnotierte Thesen werden jedoch von den Lehrenden mehrheitlich abgelehnt, beispielsweise zu möglichen Kosteneinsparungen durch E-Learning oder die Kompensation von Unterrichtsausfall durch den vermehrten Einsatz von E-Learning-Aufgaben. Die Lehrenden weisen in ihren Freitextantworten zum Thema weitere Chancen des Einsatzes von E-Learning mehrfach darauf hin, dass E-Learning als methodische Er-gänzung zur Verstärkung des Theorie-Praxis-Transfers geeignet sei. Unterstrichen wird zudem die Möglichkeit des selbstgesteuerten Lernens und eine damit verbundene Steigerung der Personalkompetenz durch verbesserte Selbstorganisation. Diesen Chancen stehen jedoch zahlreiche Hürden und Probleme entgegen, die von den Vertretern der Schulen benannt wurden. Die überwältigende Mehrheit der Lehrenden versteht E-Learning zwar nicht als langfristige Bedrohung für die „eigene" Schule als Lernort. Mögliche Probleme werden jedoch in sozialen Aspekten wie der Isolation von Schülern sowie der Verstärkung sozialer Ungleichheit gesehen. Außerdem machen viele Lehrende deutlich, dass in den Schulen die nötige E-Learning-Kompetenz fehlt. Zudem wurde wiederholt auf fehlende personelle und zeitliche Ressourcen hingewiesen. Außerdem wird bemängelt, dass E-Learning für die praxisnahen Lerninhalte der Ausbildung nur bedingt geeignet sei. Unterm Strich versteht die überwältigende Mehrheit der befragten Schulvertreter, dass E-Learning offenbar als Ergänzung für einzelne Veranstaltungen dient oder lediglich für vereinzelte Seminarteile eingesetzt werden kann. Sie sprechen sich dafür aus, die Wissensvermittlung weiterhin schwerpunktmäßig in der Präsenzlehre abzuhalten. Einen ausschließlich virtuellen Ausbildungsgang hält kein Dozent für vorstellbar.
Einbindung neuer Medien mit Skepsis behaftet
Die Ergebnisse der Umfrage machen deutlich, dass die Fachschulen den „E-Learning"-Trend keinesfalls verschlafen haben. E-Learning-Elemente halten Einzug in die schulische Ausbildung innerhalb von NRW. Zwar ist davon auszugehen, dass an der Online-Befragung vor allem solche Schulen teilgenommen haben, die ohnehin eine gesteigerte Affinität zu „neuen Medien" und E-Learning aufweisen. Allerdings trägt der hohe Anteil der teilnehmenden Schulen, die noch keine Erfahrungen mit E-Learning gemacht haben, zu einem ausgewogenen Bild bei.
Beim Entwicklungsstand von E-Learning an den Schulen ist auffällig, dass sich diese in einem ähnlichen Entwicklungsstadium wie viele Hochschulen befinden: Es gibt einzelne Schulen, die in Bezug auf E-Learning weit entwickelt sind, eine eigene Abteilung für E-Learning haben und die gesamte Palette der modernen E-Learning-Werkzeuge einsetzen. Hierbei handelt es sich aber um absolute Ausnahmen. Etwa ein Drittel der befragten Schulen ist im Hinblick auf E-Learning als „fortgeschritten" einzustufen – sie setzen Lernplattformen oder ausgewählte andere Werkzeuge ein, können auf einzelne Kollegen als Spezialisten zurückgreifen und zeigen Interesse an einem Ausbau von E-Learning-Aktivitäten.
Die übrigen Schulen haben E-Learning durchaus im Blick und sind mit einer grundlegenden Infrastruktur zur Einbindung neuer Medien ausgestattet, stehen E-Learning aber eher skeptisch gegenüber. In den Freitextantworten sowie den Fragen zu Chancen und Hürden wird immer wieder deutlich, dass aus Sicht vieler Lehrkräfte eine klar trennbare Grenze zwischen dem klassischen Präsenzunterricht und E-Learning besteht. Häufig wird eingeworfen, dass E-Learning für die Ausbildungsinhalte nicht geeignet sei und der Präsenzunterricht nicht abgeschafft werden sollte. Der Stellenwert von E-Learning wird von den befragten Schulen im Mittel zwischen „wichtig" und „weniger wichtig" eingeschätzt – eine zögerliche Einschätzung, die bisweilen gleichgültig wirkt.
Diese Beobachtung ist jedoch von besonderer Bedeutung für das Bielefelder Forschungsprojekt, vor allem mit Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Hochschulen bei der Entwicklung von gemeinsamen Studienangeboten. Fakt ist: E-Learning ist als Megatrend in der Hochschullandschaft längst angekommen. Dass E-Learning in einer modernen Hochschullandschaft ein fester Baustein ist, insbesondere für berufsbegleitende Studiengänge, gilt als Konsens. Doch nicht immer ist E-Learning sinnvoll beziehungsweise wird es auch sinnvoll eingesetzt. Gerade Hochschulen neigen dazu, jeden „E-Trend" mit Vollgas mitzumachen.
Zudem lässt sich der Hochschulblick keinesfalls auf den Schulalltag übertragen – schon allein weil sich E-Learning bisher noch nicht in den schulischen Curricula abbilden lässt, während dafür an Hochschulen auch Credit Points vergeben werden können. Ein Austausch zwischen den staatlich anerkannten Ausbildungsstätten im Bereich des Sozial- und Gesundheitswesens und Hochschulen kann dazu beitragen, das Potenzial vorhandener sowie neuer E-Learning-Methoden für die Qualifikation in just diesen Fachberufen früher zu erkennen und dementsprechend zu entwickeln.
Der vollständige Forschungsbericht steht unter www.offene-fh.de zum Download bereit.
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Das Autorenteam: Sebastian Wieschowski, Marc Heinitz, Prof. Dr. Tim Hagemann