Es gibt immer mehr Bachelor-Absolventen in der Pflege – doch es mangelt an Konzepten, wie diese gewinnbringend in der Pflege eingesetzt werden können. Die Kliniken Bezirk Oberbayern (kbo) haben sich deshalb auf den Weg gemacht und führen ein wissenschaftlich begleitetes Praxisentwicklungsprojekt durch, um eine evidenzbasierte Pflege zu sichern.
Über Jahrhunderte wurde nur von der „ärztlichen Kunst" (Heilkunst) gesprochen (Porter 2000, 53ff.), weniger von der „pflegerischen Kunst". Dabei beschrieb schon Florence Nightingale, dass Krankenpflege keine Ferienarbeit ist: „(...) for this is no holiday work". Sie ist eine Kunst und fordert, wenn sie Kunst werden soll, eine ebenso große Hingabe, eine ebenso große Vorbereitung, wie das Werk eines Malers oder Bildhauers (Nightingale 1871: 6). Diese Worte haben auch heute noch Gültigkeit. Denn das Ziel der Pflege, Menschen auf einem hohen qualitativen Niveau zu pflegen, hat sich nicht geändert (Rester et al. 2015).
Die Kliniken Bezirk Oberbayern (kbo)
Die kbo arbeiten seit 2007 als ein Verbund von Kliniken und ambulanten Einrichtungen für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik sowie Neurologie und Sozialpädiatrie unter dem Dach eines Kommunalunternehmens. 5900 Mitarbeiter pflegen, betreuen und behandeln etwa 100.000 Patienten jährlich. Darüber hinaus bildet kbo an drei Standorten – kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost, kbo-Isar-Amper-Klinikum Taufkirchen (Vils) und kbo-Inn-Salzach-Klinikum – Pflegefachhelfer (Krankenpflege), Gesundheits- und Krankenpfleger sowie seit 2008 in Kooperation mit den Hochschulen München und seit 2015 auch Rosenheim Pflegefachkräfte mit Bachelorabschluss (B. Sc. Pflege) aus.
Immer wichtiger – die Akademisierung der Pflege
Im Jahr 2016 stellt die Akademisierung der Pflege kein Mysterium mehr dar, und es haben sich an Hochschulen und Universitäten zahlreiche Pflegestudiengänge etabliert. Dabei wird verstärkt mit der Einrichtung von dualen pflegeberufsqualifizierenden Studiengängen sowohl der originären Pflegetätigkeit (Friesacher 2014) als auch dem Anspruch evidenzbasierten pflegerischen Handelns (Nydahl et al. 2014) Rechnung getragen (Wissenschaftsrat 2012). Das kann wesentlich durch akademisch ausgebildete Pflegepersonen erreicht werden, wie sich exemplarisch an postoperativen Mortalitätsraten zeigt (Aiken et al. 2014).
Allerdings wurde der Verbleib der Absolventen, der Bachelorpflegenden, am Arbeitsmarkt bisher wenig untersucht (Büker, Strupeit 2016). Hinzu kommt, dass deren verändertes und höheres Qualifikationsniveau in Stellenbeschreibungen und Kompetenzprofilen des Pflege- und Gesundheitswesens kaum berücksichtigt wird. Bisher gibt es hierzu lediglich einige Best-Practice-Beispiele, wie Kliniken und Pflegeeinrichtungen Bachelorpflegende in die Organisation und in den Therapie- und Behandlungsprozess integrieren oder integrieren möchten (Löffert et al. 2012, Jahn, Becker 2014).
Die Kliniken Bezirk Oberbayern (kbo) standen ebenfalls vor dieser Herausforderung und haben hierzu von 2013 bis 2015 ein von der Privaten Universität UMIT (Hall in Tirol) wissenschaftlich begleitetes und dokumentiertes (Rester et al. 2015) sowie von der Hochschule München unterstütztes Praxisprojekt durchgeführt.
Praxisprojekt für eine evidenzbasierte Pflege
Ziel des Projektes war es, die evidenzbasierte Pflege und ihre Weiterentwicklung sowie ihre Qualität in den kbo-Gesellschaften sicherzustellen. Einerseits sind im Verhältnis zu allen Pflegemitarbeitern derzeit noch wenig akademisierte Pflegepersonen bei kbo tätig. Andererseits ist davon auszugehen, dass ihre Anzahl zunehmen wird (Büker 2014, Dokken 2014, Giese 2014). Darüber hinaus ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber künftig eine evidenzbasierte Pflege zunehmend einfordern (PflBRefG 2015) und sich das Wettbewerbsumfeld zur Personalgewinnung entsprechend verändern wird. Mit dem Start des Projektes waren im Projektauftrag drei termin- geplante Meilensteine beschrieben (Abb. 1).
Aufgaben von Bachelorabsolventen: Zu möglichen Aufgaben konnten zunächst sich gegenseitig beeinflussende Aufgabengebiete definiert werden. Dazu gehören „Prozesssteuerung", „Komplexe Fälle" sowie die „Weiterentwicklung der Praxis". Die „Prozesssteuerung" unterstützt hierbei die „Weiterentwicklung der Praxis", indem sie die Wirksamkeit von Prozessen mithilfe evidenz- basierter Erkenntnisse überprüft und evaluiert.
Verankerung von Nursing Development Units (NDU): Ein leitendes Ziel der NDU stellt die Integration der Bachelorpflegende bei kbo dar. Obwohl das kein leitendes Ziel für eine NDU ist, wurde die Formulierung beibehalten, damit eine Verzahnung der beiden ersten Meilensteine erfolgen kann. Ziel der NDU ist, eine evidenzbasierte Pflegepraxis sowie die Implementierung und Standardisierung von (Pflege-)Prozessen zu gewährleisten und evidenzbasierte Erkenntnisse aus der Pflegepraxis intern wie auch extern zu kommunizieren. Wie sieht das in der Umsetzung aus? Die NDU-Einheiten Station, Pflegeentwicklung Klinik und Pflegeentwicklung kbo tauschen Informationen und Empfehlungen zwischen allen Ebenen und in alle Richtungen aus (Abb. 2). Dabei nimmt die Einheit Pflegeentwicklung Klinik eine wichtige Stellung für die Kommunikation zwischen der Stations- und Pflegeentwicklungsebene kbo ein. Sie ist auch – ebenso wie die Stationsebene im Mikrobereich – für die Prozesssteuerung auf der Makroebene zuständig. Auf kbo-Ebene werden ebenso notwendige Prozessänderungen identifiziert und an die Pflegeentwicklungseinheiten der Kliniken weitergeleitet. Die Evidenzbasierung der erbrachten Pflegeleistungen wird durch alle drei NDU-Ebenen gesichert. Die kbo-Ebene wird auf jeden Fall mit einbezogen, wenn die Aufgabenstellungen auch für andere kbo-Kliniken relevant sind.
Die Projektarbeit wird in der nachfolgenden Umsetzungsphase durch Evaluations- und Aktionsforschung erweitert und für das Wissensmanagement bei kbo generiert, um die evidenzbasierte Pflege nachvollziehbar zu gestalten (Ullmann-Bremi et al. 2004).
Neuschaffung einer Referentenstelle Pflegewissenschaft: Im dritten Meilenstein ist die Stelle Pflegewissenschaft beschrieben. Aufgabe der Stelleninhaberin ist, formale Strukturen und inhaltliche Aufgaben der Pflegeentwicklung kbo zu erarbeiten sowie Unterstützung bei der Umsetzung der Meilensteine 1 und 2 in der Umsetzungsphase zu leisten und diesen Prozess zu evaluieren. Darüber hinaus leitet die Stelleninhaberin den kbo-Arbeitskreis Pflegewissenschaft (Pflegewissenschaftliche Vertreter aus den kbo-Kliniken) sowie den kbo-Arbeitskreis Pflegeschulen (Leiter der Bildungseinrichtungen/Pflegeschulen bei kbo).
Nächstes Ziel: die Weiterentwicklung der Pflegepraxis
Leitendes Ziel der nachfolgenden Projektphase 2016 bis 2017 ist, die Weiterentwicklung der Praxis bei kbo voranzubringen. Dabei wird die Praxisentwicklung nach McCormack et al. (2009: 44) als „(…) kontinuierlicher Prozess, der auf Effektivitätssteigerung in der patientenzentrierten Versorgung abzielt" definiert. Es geht um die „strategische, inhaltliche und wissenschaftliche Steuerung bzw. (Weiter-)Entwicklung der patientenorientierten Pflege" (vgl. McCormack et al. 2009: 39f.). Hierzu wurden Praxisprojekte an drei Klinikstandorten beschrieben, die in einem gemeinsamen Projektrahmen über Pflegewissenschaftler durchgeführt und evaluiert werden.
Aiken LH.; Sloane DM.; Bruyneel L.; van den Heede K.; Griffi P. et al. (2014): Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. The Lancet, http://dx.doi.org/10.1016/S0140–6736(13)62631–8 (06.03.2014)
Büker C. (2014): Integration von akademisch ausgebildeten Pflegenden als Auftrag für das Pflegemanagement. Vortrag am 12.11.2014 beim Stadtratshearing Pflege in die Zukunft führen. München.
Büker, C.; Strupeit, S. (2016): Pflege-dual-Absolventen: Potenzial wird genutzt. Die Schwester Der Pfleger (3), 92–95
Dokken H. (2014): Aktuelle Situation in der Klinikpraxis. Vortrag am 12.11.2014 beim Stadtratshearing Pflege in die Zukunft führen. München
Friesacher, H. (2014): Studiermöglichkeiten in der Pflege. Im OP (1), 34–44
Giese C. (2014): Mit dem Bachelor in die Pflegepraxis – Chancen der primärqualifizierenden Pflegestudiengänge für die Patientenversorgung. Vortrag am 12.11.2014 beim Stadtratshearing Pflege in die Zukunft führen. München
Hülsken-Giesler M.; Korporal J. (Hrsg.) (2013): Fachqualifikationsrahmen Pflege für die hochschulische Bildung. Berlin: Purschke Hensel
Jahn P.; Becker C. (2014): Integration akademischer Berufsrollen in die Pflegestruktur am Universitätsklinikum Halle (Saale). Vortrag im Rahmen des Fachtages Gesundheit und Pflege „Einsatz akademischer Pflegekräfte in Deutschland. Was verhilft zum Durchbruch?". Evangelische Hochschule Nürnberg, 16. Mai 2014
Löffert S.; Blum K.; Steffen P. (2012): Grundständige Ausbildungen in der Intensiv- und Psychiatriepflege. Gutachten des Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Düsseldorf: Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
McCormack, B.; Manley, K.; Garbett, R. (2009): Praxisentwicklung in der Pflege. Bern: Huber
Nightingale, F. (1871): UNA AND THE LION. Cambridge: Riverside Press
Nydahl, P.; Krotsetis, S.; Green, R.; Wulf, G. (2014): Pflegewissenschaft am Patientenbett. PflegenIntensiv (3), 38–41
Porter, R. (2000): Die Kunst des Heilens. Eine medizinische Geschichte der Menschheit von der Antike bis heute. Heidelberg: Spektrum
PflBRefG (2015): Gesetzesentwurf der Bundesregierung (15.01.2016). Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG). https://
www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0001-0100/20-16.pdf?__blob=publicationFilev=1 (letzter Abruf vom 02.02.2016)
Rester, D.; Witzmann, M.; Seeberger, B. (2015): Akademisierung der Pflege. kbo-Pflegeprojekt Pflegewissenschaft – Integration und Einsatz von Bachelorpflegenden. München: unveröffentlichter Projektbericht.
Schilder, M. (2010): Zur Bedeutung der klinischen Pflegewissenschaft für eine forschungsbasierte Praxisentwicklung. Pflege Gesellschaft 15 (1), 48–64
Ullmann-Bremi, A.; Spirig, R.; Ullmann, S. (2004): Eine Methodenkombination für pflegerische Praxisentwicklungsprojekte. Pflege (4), 262–269
Wissenschaftsrat (2012). Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen.
www.wissenschaftsrat.de/presse/veranstaltungen/gesundheitsberufe_der_zukunft_perspektiven_der_akademisierung.html (letzter Abruf vom 26.02.2016)
Die Autorengruppe: Prof. Dr. Markus Witzmann, Viktoria Lehrer, M.Sc., Dipl.-BerufsPäd., Stv. Schulleitung an der kbo-Berufsfachschule für Gesundheits- Krankenpflege am Isar-Amper-Klinikum Klinikum München-Ost, Dr. phil. David Rester, Dipl.-Pflegewirt, Vertretungsprofessur für Management im Gesundheits- und Pflegesystem, Westsächsische Hochschule Zwickau; Assoziierter Universitätsforscher, UMIT – Private Universität Hall in Tirol (AT)