Das Klinikum der Universität München will mit einem 12-Punkte-Programm für den Pflege- und Funktionsdienst die Effizienz und Zufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen und gleichzeitig neues Personal anwerben. Wie das im Einzelnen gelingen soll, verrät Pflegedirektorin Helle Dokken.
Frau Dokken, Sie sind gebürtige Norwegerin. Dort betreut im Durchschnitt eine Pflegefachperson drei bis vier Patienten, hierzulande ist das Verhältnis eins zu zehn. Wollten Sie sich mit ihrem Programm bewusst an diesem Vorbild orientieren?
Die Pflege hat in Norwegen ein völlig anderes Renommee als in Deutschland und damit einhergehend auch eine andere Personalbemessung. Bereits seit Jahrzehnten ist der Pflegeberuf dort akademisch. Es ist erstaunlich – ich konnte es anfangs selbst nicht glauben –, aber in Norwegen sind mehr Pflegende in einem Verband organisiert, als es beruflich Pflegende in der Praxis gibt. Bereits Studenten sind Mitglied, und selbst jene, die schon verrentet sind, bleiben organisiert. Damit verschaffen sich die Pflegenden nicht nur Anerkennung, sondern das führt auch zu einem guten Stellenschlüssel und einem guten Gehalt.
Zielen Sie mit Ihrem neuen Konzept auch auf diese Entwicklung?
Die Krankenhausstruktur in Norwegen unterscheidet sich deutlich von jener in Deutschland. Die einzelnen Punkte in unserem Programm sind sehr klinikumsspezifisch und auf die Bedürfnisse bei uns im Haus zugeschnitten. In anderen Kliniken sind gegebenenfalls andere Maßnahmen geeignetere Mittel, um ausreichend Personal für eine sichere Versorgung zu generieren. Wir haben nach einem Weg gesucht, wie wir den Personalbedarf beheben können. Denn eine Unterbesetzung führt zu einer Überlastung im Klinikalltag und schließlich zur Abwanderung aus dem Beruf. Letztlich haben sich zwölf Bereiche herauskristallisiert, die wir systematisch angehen müssen, um zukunftsfähig zu bleiben.
Das 12-Punkte-Programm sieht im Kern eine adäquate Personalausstattung vor. Wie wollen Sie das konkret erreichen?
In deutschen Krankenhäusern gibt es keinen gesetzlich vorgeschriebenen Personalschlüssel für Pflegende. Gemäß der sogenannten RN4CAST-Studie ist in Deutschland eine examinierte Gesundheits- und Krankenpflegekraft im Schnitt für zehn Patienten pro Schicht zuständig. Wir haben für 2014 und 2015 jeweils eine Stichprobe an mehreren Tagen, auf das gesamte Jahr verteilt, vorgenommen, auf jeweils 15 und 21 Allgemeinpflegestationen.
Mit welchem Ergebnis?
Das Klinikum steht durchschnittlich gut da. Wir haben auf Allgemeinstationen im Frühdienst durchschnittlich einen Schlüssel von eins zu sieben umgesetzt, also eine Pflegefachperson pro sieben Patienten, und liegen damit im europäischen Durchschnitt.
Das klingt, als ob eigentlich alles im grünen Bereich ist.
Nur auf den ersten Blick. Leider ist der Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal derzeit am Klinikum – wie an vielen anderen Häusern auch – nicht vollständig gedeckt. Das führt unter anderem dazu, dass Betten wiederholt nicht betrieben werden können oder gesperrt werden müssen. Das ist nicht unser Ziel, aber die Patientensicherheit steht natürlich immer im Vordergrund. So werden beispielsweise auf operativen Intensivstationen nach Erstellung des Personaleinsatzplans die Möglichkeiten der Belegung mit den zuständigen Oberärzten sehr zeitnah kommuniziert, sodass dies bei OP-Planungen berücksichtigt werden kann. Uns geht es darum, Personalbedingungen zu schaffen, die der Patientenversorgung gerecht werden. Berufspolitische Aspekte stehen hier nicht im Vordergrund. Diese müssen durch die Vertreter der Verbände vertreten werden. Eine wichtige Rolle im Rahmen des 12-Punkte-Programms spielen zusätzlich unsere verschiedenen Anreizkonzepte zur Mitarbeiterbindung.
Welche Rolle spielt hier die neu gegründete Stellenkommission Pflege?
Die Kommission behandelt alle Anträge auf Veränderung der Vollkräfte. Die Personalberechnung ist immer im Fluss, sei es aufgrund eines schwankenden Patientenaufkommens oder weil Mitarbeiter ausfallen. Der Pflegeschlüssel steht für die Durchschnittsbesetzung, da müssen wir flexibel nachjustieren, und genau das läuft über die Kommission. Die Mitarbeiter und die Station sind somit keinem starren Stellenschlüssel ausgesetzt, wenn nachweisliche Leistungssteigerungen eintreten.
„Wir" heißt, dass über die Pflege hinaus Personen beteiligt sind?
Ja, denn es handelt sich um sehr komplexe Herausforderungen, die nicht allein durch den Pflegedienst bewerkstelligt werden können, sondern ein interdisziplinäres Zusammenwirken erfordern. Die Kommission etwa setzt sich aus Vertretern des Klinikvorstands, der Personalabteilung, der medizinischen Organisationsentwicklung und des Patientenmanagements zusammen. Alle Punkte des Konzepts werden gemeinsam mit dem Klinikvorstand angegangen. Letztendlich sind diese Maßnahmen nicht gänzlich neu, wohl aber die systematische Herangehensweise. Das neue Konzept war Gegenstand eines umfangreichen Projekts. In die Berechnungssystematik flossen viele verschiedene Faktoren ein, unter anderem erwartete Pflegeminuten pro Patient, durchschnittliche Liegedauer, aber auch bauliche Besonderheiten.
Wo liegen Ihre dringlichsten Probleme?
Eine angemessene Personalausstattung, in der ein Skillmix berücksichtigt wird, ist enorm wichtig für die Patientensicherheit, die Qualität der Versorgung sowie die Effizienz und Zufriedenheit der Mitarbeiter. Eng damit verknüpft ist die Verhinderung von Krankenhausinfektionen durch fachgerechte Hygienemaßnahmen. Diese und andere Maßnahmen kosten aber Zeit, das schaffen die Mitarbeiter nur bei guten Arbeitsbedingungen.
Was heißt das konkret?
Unsere Mitarbeiter sollen gerne bei uns arbeiten und das Gefühl haben, dass sie ihre Arbeit über mehrere Jahre ordentlich und auch zu ihrer eigenen Zufriedenheit gut schaffen und ausführen können. Das halte ich für einen sehr wichtigen Aspekt. Wir dürfen unser Personal nicht über Gebühr strapazieren, sonst wechseln sie den Arbeitgeber.
Auf welche Strategie setzen Sie dabei?
Der wichtigste Punkt in unserem 12-Punkte-Programm ist es, im Ballungsraum München für ausreichend Personalwohnungen zu sorgen.
Warum gerade Personalwohnheime?
München ist eine der teuersten Städte Deutschlands. Die Wohnheime sind fast schon eine Grundvoraussetzung, damit Pflegende überhaupt zu uns kommen. Dort wohnen sie zwar nicht umsonst, aber die Miete ist um ein Vielfaches niedriger, verglichen mit einem Apartment auf dem freien Wohnungsmarkt. Derzeit stellen wir knapp 1.700 Apartments zur Verfügung, und das ist noch zu wenig. Aufgrund der hohen Nachfrage und Auslastung kommt es regelmäßig vor, dass Pflegende von einer Einstellung absehen, wenn sie keine Wohnungszusage erhalten. Unser Ziel ist hier, dass alle Mitarbeiter im Pflege- und Funktionsdienst auf Wunsch zum Einstellungstermin eine Wohnung erhalten.
Wie wollen Sie das schaffen?
Kooperationen mit einer Wohnungsbaugesellschaft sind in die Wege geleitet. Zwar gilt das Angebot für alle Mitarbeiter des Freistaats Bayern, also auch für Lehrer oder Polizisten. Die Wohnungen werden dann nach einem Stufenkonzept vergeben – hier ist die Pflege aber vorne mit dabei.
Was unternehmen Sie darüber hinaus?
Wir setzen auf eine Vielzahl an Ausbildungsmöglichkeiten und fördern den Skillmix. Damit examinierte Pflegende sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können, setzen wir auch Stationshilfen ein sowie Pflegefachhelfer mit einjähriger Ausbildung. In den Räumen der Krankenpflegeschule am Standort Großhadern des Klinikums haben wir deshalb eigens die Pflegefachhelferausbildung etabliert. Jetzt im September starten die ersten 25 Auszubildenden.
Dabei gutes Gelingen und danke für das Gespräch, Frau Dokken.
12-Punkte-Programm
Das Konzept der Stellensteuerung im Pflege- und Funktionsdienst des Klinikums der Universität München umfasst folgende Aspekte:
- Personalwohnraum
- Personalanreizkonzepte
- Personalakquise und Personalmarketin
- Personalberechnung und Personalbesetzung
- Personalorganisation und Prozessgestaltung
- Pflegeberufe
- Fort- und Weiterbildung
- Personalentwicklung
- Akademisierung der Pflegeberufe
- EDV-Einsatz und Belegungsmanagement
- Betriebliches Gesundheits-, Konflikt- und Sozialmanagement
- Audit Beruf und Familie

Helle Dokken, 48, ist seit 2014 Pflegedirektorin am Klinikum der Universität München und damit für 3 000 Mitarbeiter verantwortlich. Sie ist gebürtige Norwegerin, ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin, hat in München Pflegemanagement studiert und ihren Masterabschluss Health Administration berufsbegleitend an der Universität Bielefeld absolviert. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt mit ihrer Familie in München.