Personalmangel, Arbeitsverdichtung, Überlastung – häufig entsteht der Eindruck, als sei es mit deutlich mehr Nachteilen als Vorteilen verbunden, in der Intensivpflege zu arbeiten. Humor kann hilfreich sein, sich stärker auf das Positive zu fokussieren. Es gilt, das Witzige und Kuriose im Alltag einer Intensivstation zuzulassen.
Für Außenstehende sind es erst einmal zwei Gegensätze: Arbeiten in der Intensivpflege, und das auch noch mit Humor. „Hier wird nicht gelacht, wir sind hier auf einer Intensivstation!“ – dies ist ein Originalzitat, das mir selber einmal zu Ohren kam.
Die Anforderungen auf einer Intensivstation steigen ständig, das kann wohl jeder bestätigen – multikomplexe Therapien, ethisch grenzwertige Entscheidungen –, und das alles mit einer hauchdünnen Personaldecke. Aus dieser Perspektive kommt es einem schnell oberflächlich, lächerlich und zynisch vor, Humor auf einer Intensivstation zuzulassen. Aber alle, die sich die Mühe machen, etwas genauer hinzuschauen, werden merken, dass es genau in diesem hochsensiblen Bereich ohne Humor gar nicht funktionieren würde. Wenn Sie einige wenige Grundregeln beachten, kann Humor – dosiert und mit der nötigen Achtsamkeit – viel bewirken.
Auf sich selbst achten
Damit Sie die Vorteile eines humorvollen Arbeits- und Lebensalltags erleben können, richtet sich der Blick primär auf Sie persönlich und Ihr privates Umfeld. Sie füllen im Leben verschiedenste Rollen aus: Sie sind Arbeitskollege, Vater, Mutter, Bruder oder Schwester, Verkehrsteilnehmer, Pflegeperson, Ansprechpartner und so weiter. Sie haben Hobbys, Interessen, Verantwortung, einen ganz normalen Alltag eben. Gewürzt mit einer Prise „Drei-Schicht-System“, flambiert mit Diensten in Unterbesetzung, garniert mit zwei schlecht gelaunten Kollegen im Dienst und fein abgeschmeckt mit zwei Patienten im Isolierzimmer – natürlich 4-MRGN und Norovirus.
Ach ja, Sie sollten natürlich auch noch Zeit für sich haben. Ein Buch lesen, chillen oder mal eben nach Santiago de Compostela wandern. Damit Sie auf diesem Meer, das Leben heißt, Ihr eigenes Boot lenken und das Steuerrad in der Hand behalten können, benötigen Sie ein gutes Konzept und eine klare Strategie. Achten Sie auf sich und Ihre Ressourcen und machen Sie sich bewusst, dass nur Sie allein aktiv auf Ihre eigene Gefühlswelt Einfluss nehmen können. Sie entscheiden, mit welcher Einstellung Sie zur Arbeit kommen, wie Sie Ihren Arbeitskollegen begegnen und mit einer gelebten Selbstverantwortung Ihren Tag gestalten.
Wenn Sie also auf sich achten, können Sie bewusst andere beachten. Empathie ist eine wesentliche Voraussetzung, damit ein wertschätzender, sozialer Humor gelingen kann. Nur eine gemeinsame Basis zu Ihrem Gegenüber ermöglicht Ihnen, die vielen Vorteile, die Ihnen Humor bietet, zu nutzen.
Prinzipiell möchte ich Folgendes in den Mittelpunkt stellen: Gute Laune sollte guten Leistungen entsprechen. Wenn also die Fachlichkeit und die gute Qualität bei der Arbeit stimmen, hat auch Humor seinen Platz. Fehler, die belächelt werden, oder das Überspielen von Missständen führen dazu, dass Sie nicht mehr ernstgenommen werden. Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass Humor seine Wirkung nur dann entfalten kann, wenn Sie authentisch und ehrlich sind.
Humor hat viele Vorteile
Humor im Berufsalltag – auch und gerade auf einer Intensivstation – hat viele positive Auswirkungen.
Humor ist ein Ventil
Folgende Situation, die Sie sicherlich auch kennen, habe ich selbst erlebt: Ich komme zum Frühdienst, und anstatt der erwarteten fünf Kollegen sind wir nur zu dritt. Die Station ist vollbesetzt. Nach der Übergabe bemerkt eine Kollegin mürrisch: „Na toll, dann melde ich mich morgen auch krank!“ Ich sagte daraufhin im Rausgehen: „Ich gehe erstmal auf die andere Intensivstation, da ist es vielleicht etwas ruhiger!“ Ironie kann helfen!
Humor kann Spannungen lösen
Beispiel: Ich betreute eine beidseits unterschenkelamputierte Patientin. Während der Körperpflege lief der Fernseher, in der Werbepause wurde ein Spot über ein Mittel gegen Fußpilz ausgestrahlt. Die Patientin sah erst zum Fernseher, dann zu mir und sagte: „Schau Matthias, es gibt Dinge, die erledigen sich von selbst!“ Achten Sie darauf, wer einen Witz machen darf und wer lieber warten sollte, dass ihm der Ball zugespielt wird. Eine gelebte achtsame Haltung ist extrem hilfreich.
Eine Prise Sarkasmus lockert die Stimmung
„Lügen haben kurze Beine, lügende Diabetiker haben gar keine Beine“ – mit einem gesunden Maß an Sarkasmus verletzen Sie niemanden, aber achten Sie auf das Umfeld und die Dosis. Die Gefahr beim Sarkasmus ist schnell ein Abrutschen in den Zynismus. Dauerhafter Zynismus ist ein Warnsignal.
Humor bewirkt einen Perspektivwechsel
Beispiel: Im OP erhält eine 90-jährige, demenzkranke Patientin eine Spinalanästhesie, damit sie eine Hüft-TEP bekommt. Der Operateur hat zunehmend Schwierigkeiten, den Hüftkopf zu platzieren, laute Hämmergeräusche schallen durch den OP. Die Lage ist angespannt, die Stimmung ist schlecht, genervter Operateur, gereiztes Team. Nach einer Weile sagte die Patientin: „Wer hämmert hier in meiner Wohnung?“ Kurze Pause – dann schallendes Gelächter. Die OP wurde für zehn Minuten unterbrochen und alle haben sichtlich gelöst die OP erfolgreich beendet.
Weiteres Beispiel: Sie sollen ein Medikament aus dem Schrank holen und greifen erneut ins Leere. Tausendmal erlebt, tausendmal ändert sich nichts. Neue Idee: Erwarten Sie mindestens eine leere Schachtel pro Schicht! Wenn Sie eine finden, feiern Sie diese! Sie können sich natürlich auch noch weiterhin ärgern, meckern und schimpfen. Aber was ändern Sie an der Situation? Versuchen Sie es mit etwas mehr Gelassenheit und überlegen Sie, ob diese Schachtel in zehn Minuten noch wichtig für Sie ist.
Humor trainieren
Die gute Nachricht lautet: Humor kann trainiert werden. Es gibt dafür zwar keine gezielte Muskelgruppe oder bestimmte Areale im Gehirn, aber wenn Sie Humor als Haltung einnehmen wollen, setzen Sie sich mit Ihrem Humor und Ihrem Humorstil auseinander. Es gibt etwa ein Humor-Trainingsprogramm des US-amerikanischen Psychologen Professor Paul McGhee und Kollegen (2013).
Sie können täglich viel tun, um Humor als innere Haltung und Bewältigungsstrategie für sich zu nutzen. Grundsätzlich lautet der Ansatz, dass Sie die verschiedenen Fähigkeiten an solchen Tagen üben, wo Sie den täglichen Anforderungen entspannt und gelassen gegenüberstehen. So verstärken Sie Ihre Wahrnehmung auf positive Umstände und können infolgedessen souveräner auf eine Belastungs-situation reagieren.
Überlegen Sie bitte, was Sie positiv mit Ihrem Arbeitsplatz verbinden:
- Sie haben tolle Kollegen.
- Sie arbeiten in einem interessanten Fachgebiet.
- Sie sind auf Station gut organisiert.
- Ihre Arbeitsstelle liegt in der Nähe des Wohnorts.
- Mit Ihrem Gehalt, das Sie pünktlich bekommen, können Sie Ihr Leben positiv gestalten.
Traf etwas zu? Ok, das waren schon fünf positive Punkte. Jetzt kommt die allseits bekannte Belastungssituation, der berüchtigte Anruf am Freitagvormittag: „Kannst Du am Wochenende einspringen?“ Aufgrund der vorherigen positiven Wahrnehmung Ihres Arbeitsplatzes steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Ihrer Stationsleitung eine Lösung anbieten oder ein alternatives Angebot machen: Viele Stationsleitungen sind häufig dankbar für Interimslösungen. Wenn Sie jedoch schon beim Gedanken an Ihre Arbeit ein negatives Gefühl haben, springen Sie garantiert nicht ein.
Natürlich ist es noch von anderen Faktoren abhängig, ob Sie Ihr freies Wochenende „opfern“. Sie sollten unbedingt auf Ihre persönliche Work-Life-Balance achten und nicht unreflektiert jeden Dienst annehmen. Dennoch bedenken Sie: Wenn der Stein der negativen Emotionen erst einmal ins Rollen gebracht wurde, läuft die „Abwärtsspirale“. Diese Form der Wahrnehmung generiert negative Zukunftsvorstellungen.
Es gibt einen schönen Vers aus dem jüdischen Talmund: Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.
Üben Sie die Gewohnheiten ein, bis sie zu einem festen Bestandteil Ihrer inneren Haltung geworden sind. Sie werden in der Lage sein, in Momenten, wenn lauter negative Dinge passieren, positive Gefühle aus dem Boden zu stampfen. Mit Humor lassen sich schnell positive Emotionen erzeugen, und dennoch verschwindet er meist, wenn wir ihn am nötigsten brauchen, wie bei Wut, Anspannung, Angst oder Depression. Es ist wichtig, in guten Zeiten grundlegende Humorfähigkeiten und Humorgewohnheiten aufzubauen. Humor ist eine erlernbare Charaktereigenschaft! Das Hauptziel ist die Stärkung der Fähigkeit, Humor zur alltäglichen Stressbewältigung oder, besser gesagt, zur Bewältigung des Alltags zu nutzen.
Sich mit Humor umgeben
Es gibt es schönes Zitat von Klaus Klages (Lauer et al. 2003): „Wenn Du den Tag mit einem Lächeln beginnst, hat Deine Seele gut gefrühstückt!“
Na dann, guten Appetit! Vielen Menschen fehlt im Alltag der Blick für das Komische, und sie halten auch nicht viel davon. Das Blickfeld verengt sich, Scheuklappen versperren die Sicht, der Fokus liegt auf den Sorgen, den Problemen und dem erdrückenden Alltag. Daher ist es wichtig, über die Art des eigenen Humors nachzudenken – einschließlich früherer und aktueller Einflüsse. Welchen Humor lebe und liebe ich täglich? Lachen die anderen mit mir oder über mich? Versteht jeder meine Ironie (habe ich diese Ironie überhaupt?), oder verletze ich jemanden mit meinem Zynismus? Gedanken, die Sie sich im Alltag bestimmt nicht so häufig stellen, oder? Über wen können Sie lachen? Überlegen Sie, wer Sie zum Lachen bringt. Sind es Arbeitskollegen, Partner, Comedians oder Kabarettisten? Für viele ist es ungewohnt, sich darüber Gedanken zu machen. Ich persönlich habe jedoch die Erfahrung gemacht: Egal, welche Art von „Katastrophe“ auch passiert, alles ist nur noch halb so schlimm, wenn ich mit Menschen zusammen bin, mit denen ich viel gemeinsam lachen kann.
Ebenso verhält es sich mit humorvollen Partnern. Ich vermute, dass, wenn Paare, die schon 20 Jahre glücklich verheiratet sind, gefragt werden, wie sie das geschafft haben, die häufigste Antwort lautet: „Weil wir viel gemeinsam lachen und den gleichen Humor haben.“ Das ist viel nachhaltiger, als Geld zu haben, ein Haus, zwei Autos und dreimal im Jahr in den Urlaub zu fliegen. Eine Bekannte sagte mir: „Ich war mal mit einem Zahnarzt zusammen. Der war zwar reich, aber doof! Nach sechs Monaten habe ich ihn wieder verlassen.“ Das zeigt: Geld ist für eine glückliche Beziehung eben nicht alles.
Ein Tipp: Wenn Sie wissen, wer Sie zum Lachen bringt, schauen Sie nach, wann der Comedian oder Kabarettist das nächste Mal in Ihrer Nähe auftritt, und kaufen Sie sich (oder wünschen sich von Ihrem Partner) Karten.
Humor als ein Spiel mit Ideen ansehen
Für Menschen, die den Sinn für Humor verloren oder zeitweise verlegt haben, ist die spielerische Entdeckung der Freude und des Spaßes am Spiel am wichtigsten. Die spielerische Haltung bezieht sich auf einen Gemütszustand, der zu Spaß und Spiel aufgelegt ist. In einem Umfeld, wo Sie sich wohlfühlen, nichts zu befürchten haben und einfach so sein können, wie Sie sind, gelingt es am besten.
Sehen Sie Humor als ein Spiel mit Ideen an. Denn im Stress verlieren wir den Zugang zum spielerischen Gemütszustand. Wer von Ihnen hat schon einmal mit Patienten oder Bewohnern gesungen oder getanzt? Vielleicht im Rahmen der Mobilisation oder bei der Körperpflege? Viele Pflegende kennen Beispiele und integrieren dieses spielerische Element häufig in den Alltag. Ein Ansatz, der für mich persönlich im Alltag leicht umsetzbar ist, beginnt mit dem Einnehmen einer eigenen spielerischen Haltung.
Ich kann im Pflegearbeitsraum stehen und stumpf eine ganze Batterie von Antibiosen mit Lösungsmitteln herstellen. Zum Beispiel Ciproflocaxin mit NaCl 0,9%. Morgens um drei, stupide, leise und schlecht gelaunt. Oder ich lege eine Hand auf die Hüfte, wippe mit dem Becken, mache Bewegungen wie ein Barmixer und singe: Ciprofloxacin, Ciprobaaayyy, Ciprobaaaayyyy, Ciprofloxacin, Ciprobaaayyy!
Bist du verrückt, Matthias? Vielleicht. Auf jeden Fall war ich etwas aus dem Alltagsschema entrückt. Ich empfand alles bei der Arbeit deutlich leichter, und in anstrengenden Situationen blieb ich häufiger gelassen.
Ein weiterer Ansatz, Humor gezielt als Strategie zur Stressbewältigung zu nutzen, besteht darin, die heitere Seite ihres Alltags zu entdecken. Lustige Sachen bleiben unbemerkt, weil Sie zu sehr auf Ihre Aufgaben konzentriert sind oder es einfach ungewohnt ist, das Augenmerk auf skurrile und komische Dinge zu richten.
Beispiel: Während der Visite auf der Intensivstation werden die Arrhythmien eines Patienten besprochen. Jeder Beteiligte der Visite hält ein EKG in der Hand. Auch der Chirurg …
Weiteres Beispiel: Bei der Übergabe an den Frühdienst berichtet die Kollegin, dass der Patient mit der Trisomie 21 in der Nacht gar nicht geschlafen hat. Originalzitat: „Also Maxi, der ist heute wirklich etwas down.“
Beispiel Nummer drei: Ein Patient mit vorgeschrittener Leberzirrhose und typischem Krankheitsbild wie Ikterus, Spider naevi und so weiter wird von zwei Pflegenden versorgt. Bei einem zwanglosen Gespräch über Müll, Entsorgung und Mülltrennung fällt die Bemerkung: „Gell, Herr Fischer, Sie haben ja auch einen gelben Sack!“
Sie sehen, das Lustige ist manchmal zum Greifen nah – Sie müssen nur zupacken! Fazit: Es kann Ihnen jeden Tag viel Humor begegnen. Halten Sie Augen und Ohren offen. Auch im privaten Bereich sind die Möglichkeiten unbegrenzt.