Das Universitätsklinikum Radboud im niederländischen Nimwegen hält für besonders schwer erkrankte Intensivpatienten ein spezielles Schwimmbecken vor, um in der Schwerelosigkeit des Wassers Bewegungsübungen durchführen zu können. Neben der wirkungsvollen Mobilisation haben diese Trainingseinheiten auch einen wertvollen psychologischen Effekt.
Intensivpatient Rob schaut anteilslos an die Decke. Um sein Krankenbett herum befinden sich zahlreiche medizinische Geräte, die einen Großteil seiner Körperfunktionen übernehmen. Das Beatmungsgerät gibt monotone Geräusche von sich, die Ventilation folgt einem festen Rhythmus.
Rob ist im richtigen Leben Berufsschullehrer. Doch nun liegt er seit sechs Wochen auf der Intensivstation des Universitätsklinikums Radboud (Radboud Universitair Medisch Centrum, kurz: Radboud UMC) im niederländischen Nimwegen. Den Kopf und die Schultern kann er nicht bewegen. Der Grund: Rob ist am Guillain-Barré-Syndrom (GBS) erkrankt, eine seltene Erkrankung, die in den Niederlanden nur 200- bis 300-mal im Jahr auftritt. Betroffen sind die Nervenbahnen, die vom Rückenmark zu den Muskeln oder anderen Organen zum Rückenmark ziehen. Am stärksten sind dabei in der Regel die längsten Nervenbahnen betroffen, die zum Bein ziehen. Lähmungen und Gefühlsstörungen sind die häufigsten Symptome.
GBS entsteht in den meisten Fällen infolge einer Magen-Darm-Infektion, einer Kehlkopfentzündung oder – wie bei Rob – nach einer Lungenentzündung. Die schwerwiegenden Folgen, die bis zu einer fast vollständigen Lähmung führen können, sind ebenso gravierend wie erschreckend. Die positive Nachricht ist jedoch, dass die meisten Betroffenen gute Chancen haben auf eine vollständige Genesung. Voraussetzung dafür ist jedoch eine professionelle physiotherapeutische Behandlung, die mehrere Monate in Anspruch nehmen kann.
Weltweites Alleinstellungsmerkmal
In der Intensivpflege hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass Patienten von einer möglichst frühen Mobilisation profitieren. Doch nicht alle kritisch Kranken sind in der Lage, aufzustehen, in Begleitung zu gehen oder in einem Stuhl zu sitzen. Die gefährliche Folge ist ein fortschreitender Abbau von Muskelmasse, die die Rehabilitation erschwert.
Professor Hans van der Hoeven hatte daher die Idee, für diese Patienten ein Trainingsschwimmbecken bauen zu lassen. Denn Wasser würde ihnen die Möglichkeit geben, sich trotz ihrer motorischen Einschränkungen frei bewegen zu können, so die Überzeugung des Abteilungsleiters der Intensivstation des UMC Radboud.
So wurde in der renommierten Klinik in Nimwegen ein spezielles Schwimmbecken gebaut, um kritisch kranke Menschen unter besonderen Rahmenbedingungen frühzeitig mobilisieren zu können. Der Bau wurde 2011 abgeschlossen. Damit ist das UMC Radboud die einzige Klinik weltweit, die ein solches Trainingsbecken für Intensivpatienten vorhält. Es bietet die Möglichkeit, die Muskeln der Patienten in der Schwerelosigkeit des Wassers effektiv zu trainieren.
Die Physiotherapeuten der Klinik verfügen hierbei über eine besondere Expertise. „Das Trainingsbecken ist in erster Linie für Patienten gedacht, die körperlich stark beeinträchtigt sind – etwa weil sie über eine längere Zeit beatmet wurden oder eine schwere Infektion hatten“, erläutert Physiotherapeut Peter-Paul Mazure, der die Bewegungsübungen im Wasser durchführt.
Die Trainingseinheiten finden bei allen Patienten, die für diese Form der Frühmobilisierung geeignet sind, zweimal pro Woche statt. Ein interdisziplinäres Team aus Physiotherapeuten, Pflegenden und Ärzten wählt die Patienten für die Übungen im Wasser sorgfältig aus und überwacht die Trainingseinheiten. Im Notfall kann jederzeit eingegriffen werden. Voraussetzung ist immer, dass die Vitalzeichen des Patienten stabil sind. Die Physiotherapeuten prüfen zudem, ob die körperliche Belastbarkeit des Betroffenen ausreichend ist.
Gute Krankenbeobachtung erforderlich
Nach zwei Wochen Aufenthalt auf der Intensivstation steht Rob das erste Training im Schwimmbecken bevor. Dafür muss er sorgfältig pflegerisch vorbereitet werden. Fachkrankenpfleger Ton Haan saugt Sekret des Patienten ab und überprüft die Sauerstoffsättigung. Die Beatmung wird auf das mobile Gerät umgestellt. Zusammen mit seinen pflegerischen Kollegen Peter-Paul Klaassen und Kim Ton überprüft er sicherheitsrelevante Aspekte anhand einer Checkliste.
Es ist ein erfahrenes Team, das Rob zu seiner ersten Trainingsstunde im Wasser begleitet. Auch seine Ehefrau Miranda ist anwesend. „Das Monitoring wird selbstverständlich auch im Wasser fortgeführt“, erklärt Haan. „Dennoch ist eine gute Krankenbeobachtung erforderlich. Die begleitenden Mitarbeiter müssen den Patienten gut kennen, um Komplikationen früh zu erkennen. Sie müssen ihn verstehen, auch wenn er nicht spricht. Deshalb werden ihm Voraus klare Signale vereinbart, sodass das Team weiß, wann der Patient aus dem Becken will.“
Rob wird von den Mitarbeitern vom Bett auf eine mobile Trage gehoben. Unter seinem Kopf wird ein leuchtend gelbes Schwimmkissen angebracht. Physiotherapeut Peter-Paul Mazure geht in die Umkleide und zieht sich eine Badehose an. Die anderen Mitarbeiter, die sich außerhalb des Beckens befinden, ziehen sich sogenannte Booties über die Schuhe, um sie vor Nässe zu schützen.
Das Bad hat einen beweglichen Boden, das per Knopfdruck hoch- und heruntergefahren werden kann. So kann die Trage in das noch ebenerdige Becken geschoben werden. Haan drückt eine Taste und die Trage sinkt langsam nach unten ab, bis sich Robs Körper im Wasser befindet. Mazure beschreibt dabei das Geschehen und kündigt sämtliche Maßnahmen an, damit der Patient weiß, was geschieht.
„Ich werde Ihnen jetzt helfen, sich zu bewegen“, sagt Mazure und beginnt behutsam damit, Robs Hände im Wasser zu bewegen. „Das klappt ja toll“, kommentiert Klaassen vom Beckenrand aus, um den Patienten zu ermutigen. Doch es ist genug für Rob. Er schüttelt zaghaft den Kopf – das ist das vereinbarte Zeichen, dass er aus dem Wasser will. „Ton, lassen Sie den Boden wieder hochkommen – die Schwimm-Session ist vorbei“, sagt Mazure.
Wertvoller psychologischer Effekt
Trotz der abgebrochenen Übung ziehen alle Beteiligten im Nachhinein ein positives Fazit. „Mein Mann hatte erstmals seit seiner Erkrankung das Gefühl, nicht nur krank zu sein, sondern auch etwas zu können“, sagt Ehefrau Miranda.
Auch Mazure beobachtet meist positive Reaktionen bei Patienten und ihren Familien. „Es ist ein Nervenkitzel für die Betroffenen, der sie anspornt. Zudem ist es ein wertvoller physiologischer Effekt, wenn sie in der Schwerelosigkeit wieder ein Gefühl für Bewegung erhalten.“
Miranda und Rob schauen weiter nach vorne. „Rob durchlebt eine schwere Phase, aber wir alle bleiben optimistisch“, sagt Miranda. „Ein Mitarbeiter der Intensivstation hat für uns ein Treffen mit einem ehemaligen GBS-Patienten arrangiert. Er hat auch zehn Wochen auf der Intensivstation gelegen, war bis zum Hals gelähmt. Heute ist er vollständig genesen. Für uns ist das ein Beweis, dass auch Rob es schaffen kann. Daran glauben wir ganz fest.“