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Engagement für die Profession Pflege

"Wir müssen in der Pflege mehr differenzieren"

Marc Bennerscheidt ist seit 1994 examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger und hat seitdem viele Jahre als Pflegedienstleiter sowie Inhaber eines Intensivpflegedienstes gearbeitet. Aktuell coacht er vorrangig Pflegende in Stress- und Konfliktsituationen.

Den Pflegeberuf aus einer positiven Perspektive zeigen, das ist das Ziel der seit Mai einmal im Monat erscheinenden Videos von Marc Bennerscheidt. Der 47-Jährige ist seit 1994 examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger und hat seitdem viele Jahre als Pflegedienstleiter sowie Inhaber eines Intensivpflegedienstes gearbeitet. Aktuell coacht er vorrangig Pflegende in Stress- und Konfliktsituationen. Wir haben mit ihm gesprochen, was ihn antreibt und warum ihm das Projekt so am Herzen liegt.

Herr Bennerscheidt, was wollen Sie mit Ihrem Projekt "Der beste Job der Welt" erreichen?

Mir geht es darum, den Pflegeberuf aus einem positiven Blickwinkel zu zeigen. Wir sehen in den meisten Fällen – egal ob in den Medien oder von Pflege-Influencerinnen und -Influencern – fast nur die negativen Seiten dieses Berufs. Mir fehlte hier die andere Seite der Waage, und so habe ich entschieden, diese Seite befüllen zu wollen. Ich möchte junge Menschen motivieren, sich dem Beruf Pflege nicht zu verschließen, sondern ihn als Option in Erwägung zu ziehen. Dafür brauchen sie Einblicke in die Arbeit. Und gleichzeitig hilft es Kolleginnen und Kollegen in der Pflege, zu sehen, dass es auch Arbeitsplätze gibt, in denen die Umstände "stimmen". Denn jede Pflegefachperson hat meiner Meinung nach die Wahl, wo sie arbeiten möchte. Das soll auch ein sanfter "Tritt in den Hintern" an die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sein, sich endlich zu bewegen und die Bedingungen zu verändern.

Sie greifen in jeder Videofolge ein Vorurteil der Gesellschaft zum Pflegeberuf auf und suchen Gegenmodelle dazu. Können Sie Beispiele nennen?

Als ich mit dem Projekt gestartet bin, hat mir eine Freundin – die bei einer TV-Produktion arbeitet – konzeptionell unter die Arme gegriffen. Wie transportiert man Themen in eine Folge? Und da es zum Beruf der Pflegenden viele Vorurteile aus der Gesellschaft gibt, aber auch unter den Pflegenden selbst, war das die Idee. Den Klassiker unter allen Vorurteilen zum Beruf "Das ist doch nur Hintern abwischen!" habe ich in Folge drei aufgegriffen und einen Blick auf die professionelle Altenpflege geworfen.

Zum einen ist das Netz voll mit Vorurteilen, zum anderen schreiben mir mittlerweile einige Pflegende, welche Vorurteile sie kennen oder selbst erleben. Ich überlege dann, ob das etwas für eine der nächsten Folgen wäre. In einigen der Folgen möchte ich auch Bereiche zeigen, die mehr den Blick hinter die Kulissen zulassen und weniger einem Vorurteil folgen, zum Beispiel in der Zentralen Notaufnahme. Folge vier dazu wird im August erscheinen. Ein Blick in die Onkologie ist für Herbst vorgesehen. Hier sind die Pflegefachpersonen noch stärker im Porträt. Ich möchte mehr darüber erfahren, wie und warum sie diesen Job gern machen.

Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen aus den Folgen?

Ich wurde bislang in allen Einrichtungen sehr herzlich und offen empfangen. Man spürt die Lust der Menschen dort, an dem Projekt "positive Blickwinkel der Pflege zeigen" mitwirken zu können. Ich selbst erlebe dort auch eine Menge Antworten auf meine Fragen. Beispielsweise hatte ich während meiner beruflichen Laufbahn wirklich große Sorge davor, todkranke Kinder zu pflegen und zu begleiten. Nach dem Tag im Kinderhaus Viersen für Folge eins hat sich tatsächlich eine so wundervolle und beruhigende Antwort daraus für mich entwickelt, dass ich mir aus heutiger Sicht vorstellen könnte, in diesem Bereich zu arbeiten.

Oder Folge drei zur professionellen Altenpflege. Ich habe natürlich gewusst, dass Altenpflege selbstverständlich auch eine Profession ist, aber wie diese genau funktioniert, dass wusste ich nicht. Durch den Dreh habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, diese Seiten zu zeigen. Denn wer hat schon eine Vorstellung davon, wie es "hinter den Kulissen" in einem Pflegeheim läuft.

Vor allem Bezahlung und Personalschlüssel müssen sich bessern in der Pflege. Schwingen diese Missstände nicht in jeder Folge mit, auch wenn die Protagonistinnen und Protagonisten grundsätzlich ihren Job gern ausüben?

Tatsächlich ist meine Haltung dazu sehr deutlich: Ich finde, es braucht eine deutliche Aufwertung des Berufs über eine angemessene und höhere Bezahlung. Das wissen meine Protagonistinnen und Protagonisten natürlich auch von mir. Würden sie das sagen wollen, so können sie das gern tun. Aber sie tun es nicht! In keinem Dreh kam es bislang zu dieser Diskussion. Vielmehr geht es um den Personalschlüssel, der allen Bereichen zu schaffen macht. Aber genau da möchte ich ja ansetzen. Wie sollen wir motivierte Menschen finden – egal welchen Alters –, die diesen Beruf erlernen, wenn wir nicht zeigen, was der Beruf bereithält? Nämlich, dass Pflege ein Beruf ist, der auf der Grundlage einer pflegewissenschaftlichen Basis erlernt wird. Ich spüre in den Folgen, wie die Protagonistinnen und Protagonisten auch gern Menschen mit ihrer Begeisterung für den Pflegeberuf "anstecken" wollen.

Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?

Ich habe im März 2020 in einem Altenheim ausgeholfen, weil dort – bis auf zwei weitere examinierte Pflegende – alle anderen in Quarantäne waren. Viele Bewohnerinnen und Bewohner waren Corona positiv, es herrschte eine große Anspannung. Ein Freund, der dort im Beirat ist, rief mich an und fragte, ob ich helfe könne. Einen Tag später startete ich mit einem Spätdienst nach dem anderen bis schrittweise das Stammpersonal wieder zurückkam. Eine sehr intensive Zeit für uns alle. Ich hatte jeden Tag ganz wunderbares Pflegeassistenzpersonal an meiner Seite. Das war ein großes Glück, denn sie kannten die Bewohnerinnen und Bewohner. Jeden Tag starb eine Bewohnerin oder ein Bewohner, sogar eine Kollegin starb mit 51 Jahren an Corona.

"Jeden Tag starb eine Bewohnerin oder ein Bewohner, sogar eine Kollegin starb mit 51 Jahren an Corona."

Einige Monate später rief mich die Heimleiterin wieder an, ob ich nochmal helfen könne. Sie müssten so viel testen und schafften es kaum allein. Selbstverständlich war ich wieder mit dabei. Als ich nach meinem ersten Dienst im Dezember nach Hause kam, war mir klar, dass ich die Pflege zeigen möchte. Der Abstand von über einem halben Jahr im gleichen Haus hat mir gezeigt, welch hässliche Spuren diese Pandemie dort bei allen Menschen hinterlassen hatte. Gleichzeitig zeigte mir die Situation aber auch, welche Kraft das Team aus den Umständen gezogen hat, um gemeinsam durch die Krise zu kommen. Das hat mich so stark beeindruckt, dass ich den Beruf Pflege mit all seinen Facetten in die Öffentlichkeit tragen wollte. Mein Format soll zeigen: "Schaut her, was diese Menschen jeden Tag leisten. Und sie lieben ihren Job!"

Auch viele prominente Paten unterstützen Ihre Aktion. Wer beispielsweise und wie kam es dazu?

Allein ein paar Videos zu machen, reicht natürlich nicht. Die Frage war für mich, wie ich Reichweite erzielen kann. Mein Slogan #PflegeGehtUnsAlleAn war da ein guter Aufhänger. Ich überlegte einfach, dass prominente Menschen das Thema zeigen könnten. So fing ich an, zu suchen. Ich kenne ein paar Menschen privat, die wiederum mit Promis zu tun haben. Die habe ich einfach gefragt. Und dann, es ging ganz schnell, meldeten sie sich zurück und sagten, die Promis seien dabei, ich solle mich bei ihnen melden. Da sind so bekannte Namen dabei wie Bruce Darnell, Mirja Boes, Kai Schumann, Johann von Bülow, Tanja Lanäus oder Vladimir Kornéev. Aber eben auch bekannte Influencerinnen und Influencer aus dem Umfeld des Pflegeberufs, wie Jimboy, einfach_Jean, Doc Caro, Marc Raschke – für mich stehen diese Personen auf Augenhöhe mit den Promis. Es kommen immer wieder neue Paten hinzu. Das freut mich und schafft weiterhin Aufmerksamkeit für das Format. Sie unterstützen insofern nicht mich als Person, sondern das Projekt, das für die Pflege steht.

"Promis wie Bruce Darnell, Mirja Boes, Kai Schumann oder Tanja Lanäus unterstützen das Projekt und damit die Pflege."

Sie haben selbst viele Jahre in der Pflege gearbeitet, arbeiten mittlerweile aber als Coach. Ist die praktische Pflege also doch nicht der "beste Job"?

Gute Frage! Doch, das ist sie auf jeden Fall. Ich arbeite tatsächlich den größten Teil meiner Zeit als Coach, vor allen Dingen in der Pflege. Einrichtungen buchen mich, wenn sie Konflikte oder Krisen im Team haben, irgendwie nicht wissen, wie sie weitermachen sollen. Zusätzlich arbeite ich auch noch in besagtem Heim für ein paar Dienste im Monat. Das ist ehrlich gesagt schwer unter einen Hut zu bekommen, denn das Projekt ist ziemlich zeitintensiv. Ich habe das Gefühl, dass ich nach wie vor in der Pflege arbeite, ich fühle mich immer noch als Krankenpfleger und denke oft zusätzlich als Coach. Das hilft mir bei meinem Format ungemein. Und es hilft mir beim Coaching in Einrichtungen, denn dort kann ich durch mein Wirken tatsächlich Pflege verbessern helfen. Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hören meiner Erfahrung nach meistens mehr auf einen Coach als auf die internen Personen aus dem Management. Und da ich gern positive Veränderungen schaffen möchte, habe ich hier eine riesige Chance, bei den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern anzusetzen.

Was glauben Sie: Wie sieht professionelle Pflege im Jahr 2040 aus? Gehören Vorurteile und schlechte Arbeitsbedingungen der Vergangenheit an?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. In meiner Vision müssen wir in der Pflege viel mehr differenzieren. Wir müssen weg von der Idee "Alle müssen alles können! Alle werden gleich beurteilt!". Das führt zu massivem Stress unter vielen Pflegenden. Meiner Meinung nach braucht es clevere Arbeitsbedingungen und -strukturen, die Menschen dort abholen, wo sie sind. Das betrifft einerseits die Lebensphase und die daraus resultierenden Möglichkeiten, die Arbeitszeit zu gestalten. Andererseits braucht es Möglichkeiten, sich selbst in der Verantwortung entfalten zu können, ohne direkt in Führungspositionen gehen zu müssen. Hier greift für mich mehr der Ansatz von selbstverantworteten Einheiten, in denen jede Person mit den eigenen Ressourcen wirken kann. Ich hoffe sehr, dass sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber aufmachen, für neue Strukturen zu sorgen, dass die Politik endlich den Beruf wirtschaftlich aufwertet und dass Pflegende ihr berufliches Leben gestalten, anstatt hinzunehmen und dem Gefühl "Ich kann es sowieso nicht ändern!" zu erliegen. Unter diesen Voraussetzungen kann Pflege im Jahr 2040 sehr gut funktionieren!

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