Jüngst musste eine Reha-Klinik komplett schließen, weil ein SARS-CoV-2-positiver Vater weiterhin sein Kind besuchte hatte. In einem anderen Fall nahm ein Mitarbeiter des Pflegepersonals trotz entsprechender Symptome und auch trotz Kontakts mit Dritten aus Risikogebieten die Arbeit auf. Wie sind solche Verhalten rechtlich einzuordnen und welche Rechte hat das Pflegepersonal?
Noch 2015 hatten der Autor und Peter Jacobs in einem Beitrag in „Die Schwester | Der Pfleger“ Heft 2, S. 82-83 mit dem Titel: „‘Wenn Ebola kommt, dann melde ich mich krank‘ – Ist das rechtens?“ auszuführen gehabt, dass Ärzte und Pflegepersonal grundsätzlich Infektionsrisiken hinzunehmen haben, auch wenn solche Infektionen tödlich verlaufen können. Dies wurde schon vor etlichen Jahren auf dem Höhepunkt der „AIDS-Erkrankungen“ (heute: HIV-Infektionen) diskutiert. Da Ärzte und Pflegepersonen diesen Beruf erlernt haben, können sie nicht „willkürlich“ entscheiden, wen sie behandeln und pflegen und wen nicht.
Natürlich ist der Arbeitgeber verpflichtet, alle nur erdenklichen Maßnahmen zum Schutz seines Personals zur Verfügung zu stellen. Fehlt es an Schutzkleidung, hat das Personal ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB, kann also rechtswirksam die Arbeit verweigern. Dies gilt auch für andere Infektionen, z. B. Hepatitis, und stellt ggf. eine Berufserkrankung dar.
Trotz Ansteckung oder Verdacht arbeiten?
Wenn die Pflegeperson weiß, dass sie positiv infiziert ist oder Anhaltspunkte hierfür hat, stellt sich die Frage, ob es rechtens ist, dennoch weiterhin zu arbeiten.
Wer positiv getestet ist, muss in 14-tägige Quarantäne gehen. Allerdings muss auch in 14-tägige Quarantäne gehen, wer Kontakt zu einer positiv getesteten Person hatte. Im Fall des positiv getesteten Vaters musste deshalb die Reha-Klinik 14 Tage geschlossen werden. Das Robert Koch-Institut (RKI) hat nunmehr am 23. März mit der Richtlinie „Optionen zum Management von Kontaktpersonen unter medizinischem Personal bei Personalmangel“ die 14-Tagesfrist bei Kontakt zu positiv Getesteten gelockert (Internetabfrage: 24. März 2020).
Rechtsgrundlage für diese Quarantänemaßnahmen ist § 30 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Diese Quarantäne ordnet übrigens nicht das RKI an. Das Institut erteilt lediglich Empfehlungen, an die sich die zuständigen Landeseinrichtungen wie Gesundheitsämter in aller Regel aber auch halten. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Nur so viel Einschränkung wie nötig, aber lieber mehr als zu wenig. Da die Inkubationszeit des Virus bis zu 14 Tagen beträgt, wird die Quarantäne so lange angeordnet. Da die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ihr folgend das RKI diese Seuche bereits als Pandemie eingestuft hat, ergeben sich hieraus entsprechende Auswirkungen auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Bei positiver Testung und Kontakt zu positiv Getesten erfolgt die Quarantäne ausnahmslos.
Unter Umständen müssen Mitarbeiter hohe Strafen zahlen
Der Einnahmeausfall von 300.000 Euro wird dem Vater als Besucher der Einrichtung in Rechnung gestellt – und das zu Recht, denn er hätte nicht ausgehen dürfen, also zu Hause bleiben müssen und auf keinen Fall einen Risikobereich wie eine Gesundheitseinrichtung betreten dürfen. Hier haftet der Vater wegen unerlaubter Handlung nach § 823 BGB auf Schadensersatz. Eine Privathaftpflichtversicherung wird hier nicht eintreten, da der Verstoß wissentlich und in vollem Bewusstsein der damit verbundenen Gefahren erfolgte, also vorsätzlich. Auf die Motivation des Täters, den eigenen Sohn zu besuchen, kommt es nicht an.
Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für Mitarbeitende einer Einrichtung, die bei positiver Testung weiterarbeiten. Im konkreten Fall bleibt der Mitarbeiter auf den entstandenen Kosten sitzen. Weder wird eine etwaige Berufshaftpflichtversicherung noch eine Betriebshaftpflichtversicherung für Schäden von Patienten eintreten. Das kann also den Mitarbeiter viel Geld kosten.
In Beratungen und Foren wird zum Teil behauptet, beim „Täter“ läge bedingter Vorsatz oder Fahrlässigkeit vor, sodass er sich auch nach dem Strafgesetzbuch (StGB) wegen Körperverletzung oder Tötung strafbar machen könnte. In der Tat hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im Falle einer HIV-Infektion bereits so entschieden, allerdings bezogen auf den ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer ahnungslosen Person (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88).
Arbeitsrechtliche Folgen
Auf andere Infektionsfälle passt dieses Urteil aber nicht, weil sowohl die Verschuldensfrage als auch die Kausalitätsfrage völlig offen ist. In der Regel jedenfalls macht sich der positiv getestete Täter nicht strafbar, weil er nicht davon ausgeht, jemanden anzustecken und der Ursachenzusammenhang kaum nachweisbar ist.
Allerdings gibt es Strafvorschriften in § 75 Abs. 1 IfSG. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 30 Abs. 1 IfSG zuwiderhandelt. Als Ersttäter bekommt der gegen die Quarantäne Verstoßende eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. Im Wiederholungsfall dürfte es keine Bewährung mehr geben.
Arbeitsrechtlich wäre das Verhalten des genannten Mitarbeiters ein klarer Verstoß gegen die Treuepflicht aus dem Arbeitsvertrag. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind die Beschäftigten verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. In S. 2 steht: „Entsprechend Satz 1 haben die Beschäftigten auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen und Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.“ Demzufolge kann der Arbeitgeber den betreffenden Mitarbeiter abmahnen und im Wiederholungsfall sogar das Arbeitsverhältnis kündigen.
Weiterarbeit trotz auftretender Symptome
Nach den Empfehlungen des RKI zur Meldung von Verdachtsfällen von COVID-19 vom 14. Februar 2020 (Internetabruf: 22. März 2020) ist ein Verdachtsfall auf COVID-19 begründet, wenn bei Personen min. eine der beiden folgenden Konstellationen vorliegt:
- Personen mit akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere oder unspezifischen Allgemeinsymptomen und Kontakt mit einem bestätigten Fall von COVID-19
- Personen mit akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere und Aufenthalt in einem Risikogebiet.
Wegen der Inkubationszeit ist auch hier eine Frist von 14 Tagen maßgebend. Nach den jüngsten Richtlinien der Europäischen Union (Internetabfrage: 23.03.2020) erfolgt für den Fall, dass dem Labor Material ausgeht, eine Abstufung in fünf Schritten:
- Oberste Priorität haben Klinikpatientinnen und -patienten mit ernsten Atemwegerkrankungen.
- Es folgen Personen mit akuten Erkrankungen der Atemwege sowie Mitarbeitende im Gesundheitswesen.
- Weiterhin geht es um Menschen mit akuten Erkrankungen wie Lungenerkankungen, Krebs, Herzinsuffizienz, Nieren- oder Leberkrankheiten, Bluthochdruck, Diabetes und Immunschwäche.
- Dann kommen ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen.
- Schließlich geht es um Personen, die in Regionen leben, in denen die Pandemie bereits aufgetreten ist. In Fällen, in denen die medizinischen Ressourcen knapp werden, dürfen diese Betroffenen zunächst zurückgestellt werden.
Pflegende und andere medizinische Personen gehören also zur zweitwichtigsten Gruppe.
Aus § 15 Abs. 1 S. 2 ArbSchG ergibt sich die Verpflichtung der Mitarbeitenden, ihren Verdachtsfall unverzüglich, also ohne schuldhaftes Verzögern zu melden. Tun sie dies nicht und kommt es später zur positiven Testung, können etliche Arbeitskolleginnen und -kollegen sowie Patientinnen und Patienten infiziert sein. Das hat aber nicht so ohne Weiteres die haftungsrechtlichen Konsequenzen, wie in den Ausführungen zur Weiterarbeit positiv Getesteter dargestellt, und kann auch nicht so ohne Weiteres arbeitsrechtliche Folgen haben, weil weder zum Ursachenzusammenhang noch zum Verschulden der Nachweis so einfach möglich ist.
Das RKI gibt Empfehlungen heraus, die nur eine – zivilrechtliche – Beweisvermutung auslösen, wenn nicht danach gehandelt wird. Dennoch lehnt es die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung ab, auf einen Standard abzustellen; hinzukommen muss ein grober Behandlungsfehler. Im Strafrecht interessieren Standards und Empfehlungen nur am Rande, weil der Strafrichter allein auf ein Sachverständigengutachten abstellen wird.
Hinzukommt, dass die Corona-Pandemie nach ordnungsrechtlichen Regeln zu beurteilen ist, weil die Länder aufgrund der RKI-Empfehlungen und der Empfehlungen von Einzel-Experten und Gremien Handlungsanweisungen und Anordnungen im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes veröffentlichen.
Alles im Allem ist an die Vernunft der Akteure zu appellieren, sich selbst und andere nicht zu gefährden. Nicht alles, was falsch gemacht wird, ist justiziabel.
Zu geringe medizinische Ressourcen – was tun?
Wie die derzeitige Kliniksituation in Italien zeigt, kann es passieren, dass nicht genügend Intensivbetten zur Verfügung stehen und zwischen den Patientinnen und Patienten je nach Gesundheitszustand eine recht makabre Auswahl getroffen werden muss: Wer soll an Beatmungsgeräten angeschlossen werden und die Chance zum Überleben haben und wer soll ohne weitere Versorgung sterben?
Sollte auch in Deutschland eine solche Situation auftreten, ist zu beachten, dass die für einen solchen Fall vorgesehene Ethikkommission gar nicht schnell genug entscheiden kann; die Entscheidung wird also beim Behandlungsteam verbleiben. Die Diskussion zwischen den Teammitgliedern ist sehr wichtig. Es gibt aber keine kollektive Entscheidung. Die Entscheidung trifft der verantwortliche, behandelnde Arzt im Rahmen seiner Diagnosehoheit.
Aufweichen der arbeitsrechtlichen Vorschriften
Im Hinblick auf die Not- und Katastrophensituation sind nicht nur die persönlichen Freiheitsrechte durch § 30 IfSG eingeschränkt, sondern auch arbeitsrechtliche Regeln und Ansprüche aufgeweicht – angefangen bei Urlaubssperren über Ausdehnung der Arbeitszeitvorschriften im Rahmen der außergewöhnlichen Fälle nach § 14 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bis zur Umsetzung von anderen Stationen auf Intensivstationen. Pflegende müssen erhebliche persönliche Einschränkungen auf sich nehmen, die mit Hinweis auf die Krisensituation begründet werden. Hier wird darauf zu achten sein, dass Pflegende nicht überfordert werden. Wenn es der bzw. dem Pflegenden zu viel wird, kann sie bzw. er sich durchaus arbeitsunfähig krankschreiben lassen. Die Leitungskräfte müssen also ebenso maßvoll und verhältnismäßig mit ihren Mitarbeitenden umgehen wie die staatlichen Stellen mit der Einschränkung der Freiheitsrechte.
Recht in Grenzsituationen
Die Coronavirus-Pandemie ist für alle eine enorme Herausforderung. Es ist allen Pflegepersonen, Ärztinnen und Ärzten sowie anderen Personen an vorderster Front dafür zu danken, was sie in dieser schweren Zeit alles leisten. Rechtlich befinden wir uns in einer Grenzsituation, bei der Streit nicht sinnvoll ist, sondern miteinander angemessene Lösungen gefunden werden müssen. Es gibt Situationen, in denen das Recht zurücktreten muss. Jedoch ist nicht alles erlaubt, was sich einzelne vorstellen. Gewisse Grenzen sind dennoch zu beachten.
Anordnungen allein reichen nicht aus. Es muss das Engagement der Mitarbeitenden gefördert werden. Nur wer seine Mitarbeitenden pflegt, kann erwarten, dass neben der Rechtslage eine Ethik – gerade auch in Medizin und Pflege – nachhaltig gesichert wird.