Vom Teammitglied zur Leitung – der Rollenwechsel ist heikel. Diese Strategien helfen, Haltung zu finden und Vertrauen zu behalten.
Was für ein Umbruch: Eben noch Teil des Teams, in vertrauter und kollegialer Runde, entscheidet man plötzlich über Einsätze und Urlaubszeiten, führt Mitarbeitergespräche. Wer aus den eigenen Reihen in eine Führungsposition aufsteigt, erlebt einen tiefgreifenden Rollenwechsel. "Die Beziehungen zu den Kolleg:innen verändern sich gravierend", sagt Silke Wüstholz, "das wird von vielen unterschätzt." Die ehemalige Pflegerin begleitet als Coach Pflegekräfte auf ihrem Weg in Leitungsfunktionen. "Man muss einen guten Umgang finden", sagt sie, "vor allem eine gute Idee entwickeln, wie man künftig auftreten und kommunizieren will."
Wertvolles Insiderwissen
Wer aus dem Team heraus Verantwortung übernimmt, bringt zunächst etwas sehr Wertvolles mit: Vertrauen und Wissen. "Man kennt die Strukturen", so Wüstholz, "kann vieles über den kurzen Dienstweg regeln, weiß, an wen man sich wenden kann." "Kulturelles Wissen" nennt das der Psychologe Jörg Felfe, Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und Buchautor ("In Führung gehen", mit Hans-Jürgen Resetka, Haufe 2021). Bedeutet: Wer aus dem eigenen Haus kommt, versteht die unausgesprochenen Regeln, kennt die Beziehungen der Menschen untereinander, die Historie. Und kann das Wissen nutzen.
Plötzlich heißt es: Ansagen machen
Gleichzeitig kann genau diese Nähe zur Belastung werden, warnt Felfe: "Mit dem Wechsel in die Führungsposition übernimmt man eine Führungsrolle und definiert damit die Beziehungen zu den ehemaligen Kollegen neu." Aus dem Team heraus sei man plötzlich nicht mehr die Kollegin, die alles mit einem teilt oder teilen kann, ergänzt Silke Wüstholz.
Das hat auch Kristen Vargo erlebt. Sie war über mehrere Jahre klinische Pflegekraft, bevor sie die Rolle der Pflegedirektorin übernahm. Plötzlich musste sie ehemaligen Kolleg:innen Wünsche abschlagen – darunter auch einer engen Freundin. "Da hat meine Hand ganz schön gezittert", berichtet sie im Podcast "Nurse Essentials" der Cleveland Clinic ("Successfully Transitioning from Nursing Peer to Leader"). Gerade am Anfang falle es vielen schwer, den ehemaligen Kolleg:innen Ansagen zu machen, beobachtet Wüstholz. Manche versuchten, "alles beim Alten" zu lassen, möglichst "gefällig" zu handeln, andere grenzten sich übermäßig ab. "Beides kann fatale Folgen haben."
Haltung zeigen – offen bleiben
Der Schlüssel sei Kommunikation, sagt Wüstholz: "In der Anfangsphase muss vieles ausgesprochen werden – was bleibt, was sich ändert, wie man die neue Rolle versteht." Wer das verschweigt, riskiert Missverständnisse. Auch der Arbeitspsychologe Jörg Felfe betont, wie prägend die erste Ansprache ist: "Die erste Teamsitzung als neuer Chef ist eine entscheidende Veranstaltung." Schon vorher sollte klar sein, wie man führen will. Wer noch unsicher ist, dem hilft vielleicht dieser Rat: "Führen Sie so, wie Sie selbst geführt werden möchten."
Keine Scheu vor Konflikten
Bitte keine Illusion: Es wird Konflikte geben. Reibungen seien natürlich, sogar notwendig, so Wüstholz: "Man muss sich neu zusammenfinden, neue Regeln für das Team ausmachen, auch mal um etwas streiten können – und dürfen." Einen reinen Kuschelkurs zu fahren, bringt eine Station oder Abteilung nicht weiter. Führung bedeute, auch Unangenehmes ansprechen zu müssen, hartnäckig zu bleiben. "Und aushalten zu können, unbequem zu sein."
Nicht zurück ans Bett
Kommt häufiger vor, als man annehmen mag: Personalausfall, die Station voller Patient:innen, also stellt man sich, Stationsleitungsposten hin oder her, wieder selbst ans Bett. Besser nicht, sagt Silke Wüstholz: "Gerade am Anfang fühlen sich viele frische Stationsleitungen verpflichtet, am Bett mitzuarbeiten." Doch das sei tückisch: Die eigenen Leitungsaufgaben bleiben liegen, Überstunden häufen sich. "Als Leitung hat man andere Aufgaben als zuvor als Teammitglied. Das gilt es klarzumachen: den anderen – aber auch immer wieder sich selbst gegenüber."
Nähe zu anderen Leitungen suchen
Die erste Zeit als frisch gebackene Führungskraft kann einsam sein: So lange war man Teil des Teams, plötzlich steht man außen vor, mit neuen Aufgaben, neuer Verantwortung. Auch der Pflegedirektorin Kristen Vargo ging es so, wie sie im Podcast der Cleveland Clinic verrät. Ihr half der Austausch mit anderen Führungskräften. Überhaupt hält sie Selbstreflexion für eine Erfolgsstrategie: "Nach jedem schwierigen Gespräch frage ich mich: Was habe ich gesagt, warum, und wie kam es an?" So konnte sie Stück für Stück in ihre neue Rolle hineinwachsen.
Nur Geduld!
Silke Wüstholz rät schließlich zu einem sanften Umgang mit sich selbst – und zu Geduld. "Nehmen Sie sich nicht zu viel auf einmal vor", so ihre Empfehlung. Ein Mentoringprogramm oder Coaching könne helfen, um sich bei all den neuen Ansprüchen nicht selbst zu vergessen oder gar "gleich am Anfang unter die Räder zu kommen", wie sie sagt. Selbstfürsorge tut gut. Denn: Schließlich habe man ja noch viel vor.