Mit einer Evidence-based-Nursing-Gruppe unterstützen die Fachkliniken Wangen im Allgäu Pflegefachpersonen, die gerade ihr Studium absolviert haben, auf dem Weg zu ihrer Arbeit am Patientenbett. Ein systematisches Konzept sorgt dafür, dass sie bedarfsorientiert und vor allem kompetenzorientiert arbeiten und so ihre Expertise in die pflegerische Praxis integrieren können.
Die Fachkliniken Wangen wollen den Einsatz akademischen Personals fördern. Denn Wissenschaft und Forschung sind in der Patientenversorgung ein essenzieller Bestandteil, um den Pflegeberuf weiterzuentwickeln. Doch die Akademisierung der Pflegeberufe hat in der Praxis immer noch nicht genug Anklang gefunden. Deutschland ist aktuell Schlusslicht im internationalen Vergleich, wenn es um Pflegepersonal-Patienten-Schlüssel und akademische Pflegefachpersonen in der direkten Pflegepraxis geht [1]. Dabei sind aufgrund diverser Veränderungen von Versorgungsstrukturen, Abrechnungsverfahren und komplexer werdender Patientenversorgungen akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen im Hinblick auf den „Skill-Grade-Mix“ unabdingbar.
Mit der effektiven Nutzung akademischen Fachpersonals ist das Gesundheitssystem in der Lage, einheitliche wissenschaftsbasierte Strukturen zu etablieren sowie ökonomische und ökologische Denkansätze voranzubringen.
Potenziale hochschulischer Pflegeexpertise nutzen
In § 37 des Pflegeberufegesetzes werden klare Ziele der hochschulischen Pflegeausbildung beschrieben. Dabei wird die Steuerung und Gestaltung des Pflegeprozesses – Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung auf Basis von Pflegewissenschaft, Übertragung von forschungsgestützten Problemlösungen, Implementierung wissenschaftlicher Lösungsansätze und Mitwirkung im Qualitätsmanagement – benannt [2].
Um die sogenannte Generation Z in das Berufsfeld Pflege zu integrieren, sehen sich die Fachkliniken Wangen verpflichtet, Arbeitsfelder für Akademikerinnen und Akademiker in der Pflege zu schaffen. Die Generation Z wird beschrieben als Generation im Wandel der Akademisierung, leistungsorientiert und charakterisiert durch einen pragmatischen Optimismus [3].
Allerdings beschreiben Studierende Herausforderungen bezüglich der Identitätsfindung sowie im Hinblick auf potenzielle Arbeitsfelder mangelnde und unklare Berufsperspektiven in der direkten Patientenversorgung [4].
Leitfaden für Evidence-based Nursing
Die akademischen Pflegefachpersonen sollten nicht als Belastung, sondern vielmehr als Ressource verstanden werden. Dabei gilt es, diese Kolleginnen und Kollegen (im Folgenden: Kollegen) systematisch, bedarfsorientiert und vor allem kompetenzorientiert einzusetzen. Die Ängste und Befürchtungen von traditionell ausgebildeten, erfahrenen Pflegefachpersonen sollten jedoch nicht ignoriert oder bagatellisiert werden. Die Implementierung von akademischen Pflegefachpersonen stellt ohne Zweifel einen Change-Prozess dar, welcher mit Partizipation und „Bottom-up“ am sinnvollsten umzusetzen ist. Mit diesem Weg ist am wenigsten mit Widerständen zu rechnen.
Das Konzept für akademisches Pflegefachpersonal an den Fachkliniken Wangen ist ein Leitfaden, der von Beginn des Arbeitsverhältnisses bis zur selbstständigen wissenschaftlichen Projektarbeit unterstützt. Das Konzept für die Expertengruppe Evidence-based Nursing (EBN) besteht im Wesentlichen aus acht Schritten. Dabei handelt es sich in den ersten drei Schritten um die grundlegende Einarbeitung. Weitere fünf Schritte beschäftigen sich mit der Struktur der wissenschaftlichen Tätigkeit. Ziel der EBN-Expertengruppe ist die Entwicklung, Mitgestaltung und Implementierung wissenschaftsbasierter innovativer Lösungsansätze für die ganzheitliche Versorgung von Patientinnen und Patienten.
Die einzelnen Schritte im Detail:
Schritt 1: Onboarding
Die neuen Kollegen erhalten einen Einführungstag und lernen ihren Bereich oder ihre Station kennen. Stationsleitung oder Pflegebereichsleitung und eine Praxisanleiterin oder ein Praxisanleiter begleiten das Onboarding.
Schritt 2: Fachliche Einarbeitung
Je nach Komplexität und Aufgabengebiet erfolgt eine vier- bis achtwöchige fachliche Einarbeitung der Kollegen. Die Einarbeitung erscheint als zusätzlicher Dienst im Dienstplan.
Schritt 3: Detailwissen und Organisationsverständnis erlangen
Die Leitung der EBN-Gruppe unterstützt und schult die akademischen Pflegefachperson in Strukturfragen sowie Managementprozessen.
Schritt 4: Identifikation pflegespezifischer Themen
Die Identifikation pflegespezifischer Themen und ihre Priorisierung nach Dringlichkeit übernehmen akademische Pflegefachperson, Pflegebereichsleitung und EBN-Leitung gemeinsam.
Schritt 5: Planung von Umsetzungsstrategien
Auf Basis des wissenschaftlichen Kenntnisstands der akademischen Pflegefachperson sind Umsetzungsstrategien zu planen.
Schritt 6: Durchführung der Interventionen
Sind bei einem speziellen Thema Interventionen für die definierte Zielsetzung Voraussetzung, erfolgen diese in diesem Schritt. Das können etwa Schulungen, die Implementierung einer Verfahrensanweisung oder eine Ist- Analyse sein.
Schritt 7: Evaluation der Intervention
Um einen Effekt der getroffenen Maßnahmen sichtbar machen zu können, bedarf es einer Evaluation. Diese dient der eventuellen Ausweitung der getroffenen Maßnahmen auf weitere Stationen oder Bereiche und fördert die Akzeptanz im interprofessionellen Team.
Schritt 8: Eventuelle Veröffentlichung und Präsentation im Kollegium
Wissen und Erkenntnisse sind weiterzugeben. Dieser Theorie-Praxis-Transfer gelingt zum Beispiel über eine Ergebnispräsentation im Kollegium oder durch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften.
Mehr akademische Pflegefachpersonen ans Patientenbett bringen
Die Schritte vier bis acht sind als Zyklus zu verstehen, welcher nach Projektende erneut mit der Identifikationsphase beginnt. Eine ausreichende fachliche Einarbeitung vor Beginn der wissenschaftlichen Tätigkeit ist essenziell, um die pflegerische und wissenschaftliche Komponente im Nachgang vereinen zu können. Aktuell besteht die EBN-Gruppe aus drei Pflegefachpersonen mit jeweils Bachelor-Abschluss sowie der Stabstelle für Innovationsmanagement und Organisationsentwicklung in der Pflege. In einem Zwei-Monats-Rhythmus erfolgt ein wissenschaftlicher Austausch im Rahmen von „Journal Clubs“.
Mit der seit Kurzem bestehenden Möglichkeit, in den Fachkliniken Wangen ein ausbildungsintegriertes Studium zu belegen, erhofft sich das Haus einen Anstieg von akademischen Pflegefachpersonen in der direkten Patientenversorgung. Der erstellte Leitfaden soll diesen Ansatz unterstützen.
[1] Aiken L, Sloane D et al. Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study; 2014. The Lancet
[2] Darmann-Finck I, Reuschenbach B. Qualität und Qualifikation: Schwerpunkt Akademisierung der Pflege; 2018. In: Pflege Report 2018.
[3] Klaffke M. Millennials und Generation Z – Charakteristika der nachrückenden Arbeitnehmer-Generation. Generationen-Management; 2014: 57-82. doi: 10.1007/978-3-658-02325-6_3
[4] Belzner M. Pflege dual. Erfahrungen mit einem primärqualifizierten Studiengang; 2014.