Die aktuelle Reportage von "Team Wallraff" auf RTL hat in privatwirtschaftlich geführten Pflegeeinrichtungen teils schwere Missstände aufgedeckt. Undercover eingeschleust in 4 Heimen der privaten Träger Alloheim, Flora Marzina und Sereni Orizzonti berichtet das Reporterteam u. a. von schlechten baulichen Zuständen, reduzierten Mahlzeiten und fehlenden Pflegematerialien.
Bundesweit verbindliche Personalschlüssel nötig
Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, äußerte in einem schriftlichen Statement gegenüber RTL:
"Wenn so etwas vorkommt, dann ist es eine absolut vermeidbare Tragödie und ein kollektives Versagen des Einrichtungsbetreibers, der Kontrollbehörden und auch der dort arbeitenden Pflegekräfte."
Zwar gebe es genügend Vorschriften zur Qualitätssicherung, Kontrolle und für Sanktionen bei Pflegemängeln. Jedoch fänden Betreiber dennoch Möglichkeiten, diese zu umgehen, zitiert RTL Moll.
"Dazu gehört für mich definitiv kriminelle Energie."
Die Pflegebevollmächtigte wolle angesichts der Rechercheergebnisse nun gemeinsam mit anderen Ländern mögliche Lösungswege finden.
Damit sich etwas ändere, seien aber auch bundesweit verbindliche Personalschlüssel nötig. Diese vermieden nicht nur die Überlastung des Pflegepersonals, sondern könnten gleichsam dazu beitragen, Missstände schneller aufzudecken.
Wichtig sei jetzt, das "unnötige Leid" zu vermeiden, ohne alle Einrichtungen und Pflegenden unter einen "Generalverdacht zu stellen". Besonders wichtig sei dabei, für mehr Transparenz zu sorgen.
Nur 5 % der Heime in kommunaler Trägerschaft
Internationale Konzerne und Finanzinvestoren – wie die genannten in der RTL-Reportage – betreiben nach Angaben des Senders inzwischen knapp 45 % der Pflegeheime in Deutschland. 50 % entfielen auf freigemeinnützige Träger, wie Kirchen, Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt oder andere Wohlfahrtsverbände. Lediglich 5 % der Alten- und Pflegeheime seien noch in kommunaler Trägerschaft.
Von den 28 größten Pflegeheimkonzernen auf dem europäischen Markt seien ca. 40 % in Hand von Private-Equity-Gesellschaften, die die Pflegewirtschaft zum Vermögensaufbau nutzten. Ihre Devise: maximale Rendite in kürzester Zeit.
Sell: Pflegeimmobilien als Renditechance und als Geschäft – das ist die Realität
Die genannten Pflegeheime aus der Reportage bestreiten, dass sie zur Gewinnmaximierung an Qualitätsaspekten sparen. Nach Angaben von ntv seien die hohen Renditen der Private-Equity-Gesellschaften jedoch teils nur mit Einsparungen aller Ausgaben zu schaffen – sei es beim Personal, beim Essen oder bei Pflegemitteln. Der Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule in Koblenz, Stefan Sell, bestätigte das vergangenen Freitag dem Sender:
"Man spart an der Versorgung mit Lebensmitteln und erfüllt keine teuren 'Sonderwünsche' wie Obst. Man tauscht die Wäsche weniger oft, man kauft Windeln, die ein Fassungsvermögen von 20 Litern haben, damit man sie nur alle 24 Stunden wechseln muss."
Pflegeimmobilien als Renditechance und als Geschäft – das sei die Realität, so Sell weiter.
Zwar warnte Sell vor der pauschalen Annahme, dass private, gewinnorientierte Pflegeheimbetreiber schlecht und nicht private gut sind.
Neuere Studien aus den USA, Kanada oder Frankreich zeigen aber nach ntv-Angaben einen Zusammenhang zwischen Renditeorientierung und schlechterer Qualität. Der Sender zitiert eine Studie aus Oktober 2021 von Robert Tyler Brown und seinem Team vom New Yorker Weill Cornell Medical College:
"Pflegeheime, die sich im Besitz einer Private-Equity-Firma befinden, bieten eine geringere Qualität der Langzeitpflege bei gleichzeitig höheren Medicare-Gesamtkosten pro Pflegebedürftigem."
Eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zeigte im vergangenen Jahr, dass Pflegeheime sowie Objekte für betreutes und altersgerechtes Wohnen für Investoren immer interessanter werden.