Schlafforscherin Andrea Rodenbeck erklärt, was Pflegepersonal mit Schichtdienst hilft, besser zu schlafen, was an bestimmten Schlafmythen dran ist und wann man bei Schlafstörungen einen Arzt aufsuchen sollte.
Frau Rodenbeck, was weiß man aus der Forschung, wie sich der Schichtdienst auf den Körper und die Psyche von Beschäftigten auswirkt?
Wir wissen, dass Nacht- und Schichtarbeit das Risiko für bestimmte Krebsarten erhöht, insbesondere für Brustkrebs und Prostatakrebs. Es gibt auch Meta-Analysen, die zeigen, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für Diabetes erhöht ist. Auch das Risiko für Depressionen und andere psychische Erkrankungen ist erhöht. Unklar ist jedoch, über welchen Zeitraum hinweg genau man im Schichtdienst tätigt sein muss und wie viele Nachtschichten es pro Jahr sein müssen, damit es tatsächlich zu gesundheitlichen Auswirkungen kommt.
Wie wirkt sich der Schichtdienst auf den Schlaf aus?
Das hängt davon ab, in welchem Schichtrhythmus man arbeitet. Wenn man zum Beispiel im Dreischichtdienst arbeitet – also mit Früh-, Spät- und Nachtschicht – sehen wir, dass die Schlafdauer in der Früh- und Spätschicht normal ist. In der Spätsicht sind es durchschnittlich etwas mehr als acht Stunden. Nach einer Nachtschicht beträgt die Schlafdauer hingegen im Durchschnitt weniger als sechs Stunden. Bei Beschäftigten, die laufend Nachtschichten machen, verringert sich die Schlafdauer jedoch nicht.

Die Übergänge, etwa vom Nacht- auf den Frühdienst, sind für Beschäftigte anstrengend. Wie wirken sich diese Übergänge auf den Schlaf aus?
Wir wissen durch Studien, dass es einen Unterschied macht, wie schnell die Schichten gewechselt werden. Bei sehr schnellen Wechseln zwischen den Schichten – also mit weniger als drei Tagen pro Schicht – nehmen Schlafstörungen zu. Bedeutsam ist auch die Reihenfolge. Uns Menschen fällt es in der Regel leichter, die Schichten im Uhrzeigersinn zu verändern – also von der Früh- zur Spät- und dann zur Nachtschicht mit anschließend freien Tagen.
Wie viel Schlaf benötigt ein Mensch überhaupt?
Das ist von Person zu Person unterschiedlich. Man muss nicht unbedingt acht Stunden schlafen, das ist ein Mythos. Sechs bis neun Stunden, ja sogar bis zu zehn Stunden sind normal. In Deutschland liegt der Durchschnitt seit vielen Jahren relativ gleichbleibend bei etwa sieben Stunden und 15 Minuten.
Es gibt einerseits Menschen, die schon früh fit sind – also Morgenlerchen – und andererseits Nachteulen, die gerne zu später Stunde aktiv sind. Und es gibt die Tauben, deren Rhythmus sich zwischen diesen beiden Typen einordnen lässt. Was können die unterschiedlichen Typen machen, um mit Blick auf den Schlaf besser mit dem Schichtdienst klarzukommen?
Gott sei Dank sind die meisten Menschen Tauben. Grundsätzlich sollte man darauf achten, dass man nicht allzu sehr gegen seinen eigenen Rhythmus arbeitet. Ein ausgesprochener "Spättyp", der gerne erst um zwei Uhr morgens ins Bett geht, dafür aber am liebsten lange schläft, wird sich immer mit der Frühschicht schwertun. Eine Morgenlerche kann sich nicht antrainieren, eine Nachteule zu sein. Was man aber unternehmen kann: Man kann beim Tausch von Schichten darauf achten, dass man die Schichten bekommt, die zum eigenen Typus passen.
Wie das Schichtsystem ausgestaltet ist, können Beschäftigte ja nur zum geringen Teil beeinflussen. Was können Schichtarbeitende dennoch tun, um besser zu schlafen?
Ganz wichtig ist es, das Schlafzimmer zu verdunkeln. Denn nur dann, wenn es dunkel ist, schüttet der Körper das Hormon Melatonin aus – was uns dabei hilft zu schlafen. Durch Studien ist zudem belegt, dass man gerade im Sommer, wenn man aus der Nachtschicht kommt, eine Sonnenbrille tragen sollte. Andernfalls bekommt der Körper das Signal: Es ist hell, jetzt ist es Zeit, wach zu sein. Was außerdem hilft: Wer in die Nachtschicht geht, kann seinen Schlaf ruhig in zwei Portionen aufteilen. Sprich: Erstens sollte man vor der Nachtschicht so lange schlafen wie möglich. Und zweitens kann man vor der nächsten Nachtschicht nochmal für ein oder zwei Stunden einen Erholungsschlaf einlegen.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass man sich nach der zweiten Schlafeinheit noch müder fühlt?
Das kann passieren, muss es aber nicht. Viele kommen gut damit zurecht. Das sollte man durchaus mal ausprobieren, damit man nicht den Schlafmangel in der Nacht mit sich herumschleppt.
Auch der gezielte Einsatz von bestimmtem Licht kann helfen, besser mit dem Schichtdienst klarzukommen. Wie lässt sich Licht sinnvoll einsetzen?
Wenn man in Wechselschicht oder in einem schnell rotierenden System – bei dem alle zwei, drei Tage die Schicht wechselt – arbeitet, sind Lichtimpulse mit einem hohen Blauanteil nützlich. Es hilft, wach zu bleiben, verhindert aber nicht den Nachtschlaf. Es gibt zum Beispiel Untersuchungen, die zeigen, dass eine Beleuchtung mit hohem Blaulichtanteil im Stationsflur sinnvoll ist.
Tipps für Schichtarbeitende
Der Patientenratgeber der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin zum Thema "Schlafprobleme bei Schichtarbeit" enthält weitere Hinweise zu Strategien für Personen, die im Schichtdienst arbeiten müssen.
Wie sieht es mit Kaffee aus? Einerseits hält er einen wach, andererseits kann er dazu führen, dass man schlechter einschläft. Worauf sollte man also beim Kaffeekonsum achten?
Kaffee genauso wie andere Getränke mit Koffein oder anderen wachmachenden Substanzen, wie etwa bei Energydrinks, machen zwar wach. Sie sind aber zugleich Gegenspieler von Mechanismen, die Schlaf auslösen. Wie lange man vor dem Schlafengehen keinen Kaffee mehr trinken sollte, lässt sich nicht genau sagen. Das kann jeder für sich selbst etwas ausprobieren. Als Richtwert kann man jedoch sagen: Vier Stunden sollten es wenigstens sein.
Zum Thema Schlaf gibt es ja auch so einigen Mythen – etwa, dass man sich ein Schlafpolster zulegen kann oder dass man Schlaf ohne Probleme nachholen kann. Was ist dran an dem Mythos?
Wir können nur in begrenztem Ausmaß vorschlafen oder den Schlaf nachholen. Wenn man beispielsweise unter der Woche insgesamt fünf Stunden weniger schläft als sonst üblich, lässt sich das am Wochenende nur zum Teil nachholen, weil die Schlafzeiten auch zu unserem inneren Rhythmus passen müssen. Generell ist es so, dass es jüngeren Menschen leichter fällt, Schlaf nachzuholen. Ältere Menschen haben damit mehr Schwierigkeiten.
Der Schichtdienst setzt manchen Beschäftigten derart zu, dass sie Schlafstörungen bekommen. Was empfehlen Sie? Wann ist der Punkt erreicht, dass man einen Arzt aufsuchen sollte?
Man sollte zu einem Arzt gehen, wenn die Schlafstörung im Durchschnitt an drei Tagen in der Woche über einen Zeitraum von drei Monaten besteht. Auch dann, wenn es zwar nicht drei Monate am Stück sind, aber die Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum immer wiederkehren, sollte man einen Arzt kontaktieren.
Was kann man gegen die Schlafstörungen unternehmen?
Bei Schlafstörungen hilft eine kognitive Verhaltenstherapie. Und das gilt auch für Menschen, die in Schichtarbeit tätig sind.
Was macht man im Rahmen dieser Verhaltenstherapie?
Wichtig ist zum einen, über einen längeren Zeitraum ein Schlaftagebuch zu führen. Darin notiert man unter anderem, bei welchen Schichten die Probleme auftreten. Das hilft dabei, sich besser kennenzulernen und herauszufinden, welche Auslöser für die Schlafstörungen verantwortlich sein könnten. Welche Schicht bereitet besonders viele Probleme? Ist es jedes Mal in der gleichen Schicht? Liegt es vielleicht an den Kolleginnen und Kollegen, mit denen man zusammenarbeitet? Im Rahmen der Verhaltenstherapie geht es zudem um grundsätzliche Fragen zum Schlaf wie etwa die Schlafdauer sowie Schlafmythen und den Teufelskreis, in dem man bei Schlafstörungen hineingerät.
Was genau meinen Sie damit?
Wer unter Schlafstörungen leidet, hat häufig Angst davor, nicht schlafen zu können. Durch die Angst steigt das Level an Stresshormonen. Das wiederum lässt einen dann noch schlechter einschlafen. Es gibt aber natürlich auch Mechanismen, die man im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapie lernt, die einem helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Dazu gehört es beispielsweise, nicht frustriert im Bett liegenzubleiben, wenn man nicht schlafen kann, sondern aufzustehen und etwas Entspannendes zu tun. Mittlerweile gibt es mit "Somnio", "HelloBetter Schlaf" sowie "Somnovia" auch digitale Gesundheitsanwendungen, die einem bei Schlafstörungen helfen können.